19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
30.07.05 / Auf dem Weg zum Rechtsstaat / Neuer rumänischer Staatspräsident droht seinem Vorgänger wegen dessen Vorgehen im Bergarbeiterstreik 1990 mit Prozeß

© Preußische Allgemeine Zeitung / 30. Juli 2005

Auf dem Weg zum Rechtsstaat
Neuer rumänischer Staatspräsident droht seinem Vorgänger wegen dessen Vorgehen im Bergarbeiterstreik 1990 mit Prozeß

Bei den sogenannten "Mineriaden", den Strafexpeditionen der rumänischen Bergarbeiter im Juni 1990, gab es mindestens sechs Tote und Dutzende Verletzte. Nun wird in Bukarest in diesem Zusammenhang ermittelt. Der ehemalige Staatspräsident Ion Iliescu wurde unter der Beschuldigung vorgeladen, die Bergarbeiterrevolte organisiert zu haben, um die antikommunistischen Demonstrationen am Bukarester Universitätsplatz zu ersticken. Doch Iliescu will sich den Ermittlungen der Militärstaatsanwaltschaft nicht unterziehen.

In Rumänien, diesem an Bodenschätzen reichen Land an der Nahtstelle zwischen Mitteleuropa und Balkan, spielt der Bergbau nach wie vor eine beachtliche Rolle. Rentabel sind die Gruben aber auch hier nur in den seltensten Fällen. War die Steinkohleförderung für die hastige und gescheiterte Industrialisierungspolitik der Kommunisten noch unentbehrlich, so lasten die in Rumänen gezahlten Subventionen seit dem Umbruch schwer auf den Staatskassen. Ein erheblicher Teil der im eigenen Land geförderten Kohle wird gar nicht mehr benötigt, da der Strombedarf nach dem Zusammenbruch vieler energieintensiver Großbetriebe aus der Ceauses-cu-Zeit massiv zurückgegangen ist.

Zu den Zentren des Bergbaus gehören heute unter anderem das Gebirgsdorf Rosia Montana in den Westkarpaten, wo ein rumänisch-kanadisches Firmenkonsortium dabei ist, das größte und zugleich wohl umstrittenste Goldbergwerk Europas aufzubauen, und das siebenbürgische Schiltal (rumänisch: Valea Jiului) in den südlichen Karpaten. Während in den Westkarpaten noch Gewinne locken, befindet sich der Abbau der an sich hochwertigen Steinkohle im Schiltal in einer schweren Krise. Die meisten Gruben mußten bereits schließen, und die Arbeitslosigkeit hat exorbitante Höhen erreicht. Das vor Jahrzehnten durch einen Massenzuzug aus allen Teilen Rumäniens belebte Schiltal, wo noch immer viele Deutsche leben, ist zum wirtschaftlichen Notstandsgebiet abgestiegen.

In der kommunistischen Zeit gehörten die Bergleute zu den privilegiertesten Bevölkerungsgruppen. Trotzdem hatten schon die Diktatoren Gheorghiu-Dej und Ceausescu mit den "rabiaten" Kumpeln ihre liebe Not. Wiederholt kam es zu blutigen Auseinandersetzungen, die sich nach der sogenannten Revolution vom Dezember 1989 zu regelrechten Revolten auswuchsen. Angeführt von

ehemaligen Securitate-Offizieren stürmten Bergarbeiter aus dem Schiltal vom 13. bis 15. Juni 1990 Bukarest. Sie waren mit Hacken, Knüppeln und Ketten bewaffnet und gingen mit äußerster Brutalität gegen überwiegend studentische Demonstranten vor, die auf dem Universitätsplatz seit Monaten mehr Demokratie einforderten. Außerdem verwüsteten die Kumpel Büros oppositioneller Parteien und mißliebiger Zeitungsredaktionen. Nach dem Eingreifen der Armee wurden vier Menschen erschossen.

Im September 1991 kam es unter der Ägide des selbstherrlichen Gewerkschaftsführers Miron Cozma zu einem zweiten Bergarbeitermarsch, der erneut Ausschreitungen zur Folge hatte. Der "Reformflügel" des Regierungskabinetts von Petre Roman trat damals zurück.

Kurz vor dem ersten Bergarbeitermarsch auf Bukarest hatte die seinerzeitige Regierung unter Federführung von Staatspräsident Jon Iliescu beschlossen, die lästige Dauerdemonstration auf dem Universitätsplatz aufzulösen. Die Kumpels wurden mit einem an die Arbeiterschaft gerichteten Appell zur "Wiederherstellung der Ordnung" und der Aussicht auf Lohnerhöhungen gezielt herbeigerufen, um den von Iliescu behaupteten Versuch eines "Staatsstreiches der Legionäre" - also eine angebliche Umsturzbewegung von Anhängern des rumänischen Faschismus - niederzuschlagen.

Tatsächlich beinhaltete der im Zentrum Bukarests artikulierte Wunsch nach mehr Demokratie die Sehnsucht nach einem eindeutigen Neuanfang ohne kommunistische Partei- und Geheimdienstkader. Letztere hielten sich trotz des Endes der Ceausescu-Ära überall in führenden Positionen, ja es ging die These um, daß es sich bei der "Revolution" vor allem um einen Putsch von Teilen der Securitate gegen den immer abgehobener regierenden KP-Chef Ceausescu gehandelt habe.

Vor dem Hintergrund der blutigen Krawalle vom Juni 1990 hat die rumänische Staatsanwaltschaft jetzt Klage gegen den von 1989 bis 96 und 2000 bis 2004 amtierenden Ex-Staatspräsidenten Iliescu eingereicht. Nach Angaben des ermittelnden Staatsanwaltes Dan Voinea führten iliescutreue Mitglieder des neu gegründeten Geheimdienstes der Polizei das Kommando über die Bergleute aus dem Schiltal.

Nachdem der Bergarbeiterführer Miron Cozma kurz nach den 1991er Unruhen festgenommen und zu einer Gefängnisstrafe wegen Landfriedensbruch verurteilt wurde (aus der er 1998 auf Bewährung frei kam, um nach abermaligen Bergarbeiterprotesten unter seinem Kommando gleich wieder hinter Gitter zu wandern), geht es nun möglicherweise den eigentlichen Hintermännern an den Kragen. Während Cozma, Täter und Sündenbock in einem, seit kurzem wieder auf freiem Fuß ist und somit einen Großteil seiner 18jährigen Strafe erlassen bekam, besteht nun die Chance, endlich Licht in die dunklen Tage des Juni 1990 zu bringen.

Mit Iliescu muß sich dabei eine Schlüsselfigur für den fortwirkenden Einfluß kommunistischer Kader und Interessengruppen in nachkommunistischer Zeit verantworten. Seine Verurteilung würde für die Opfer roten Unrechts ebenso eine späte Genugtuung bedeuten wie ein Schuldspruch gegen den zur Zeit ebenfalls vor Gericht sitzenden letzten kommunistischen polnischen Präsidenten Wojciech Jaruzelski. Der Kriegsrechts-General soll gemäß Dokumenten des "Instituts für nationales Gedenken" (IPN) - also des polnischen Pendants zur Gauck-Behörde - bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vom sowjetischen KGB als Agent angeworben worden sein.

Daß es jetzt in Rumänien mit der zeitgeschichtlichen Aufarbeitung überhaupt so weit kommen konnte, liegt zum geringeren Teil im Sieg des bürgerlichen Kandidaten Traian Basescu bei den Präsidentschaftswahlen vom letzten Jahr und der Machtübernahme durch eine liberal-demokratische Regierung begründet. Vielmehr will die rumänische Politik und Justiz dem eigenen Volk sowie dem EU-Ausland demonstrieren, daß man in einem Rechtsstaat lebt.

Zusammen mit drastischen Maßnahmen der Korruptionsbekämpfung (innerhalb weniger Monate wurden über 40 Polizei-Generäle entlassen, zahllose Gerichtsverfahren eröffnet und die Bankkonten von 42.000 Firmen gesperrt, weil diese ihre Steuerschulden nicht bezahlt hatten) soll dieses juristische Signal dafür sorgen, den offensichtlichen Mangel an EU-Reife zu beheben. Doch erst nach Jahren kann sich erweisen, ob die neue Führung über Anfangserfolge hinauskommt oder sich schon bald wieder der alte Trott und die sattsam bekannten KP- und Securitate-Seilschaften als stärker erweisen. M. Schmidt / DW

Vom Staatspräsidenten zum Angeklagten? Rumäniens Ex-Staatschef Iliescu (hier bei einem Staatsempfang mit der belgischen Königin Beatrix) ist empört. Er könne es nicht zulassen, wie ein einfacher Bürger verhört zu werden, so der Politiker. In seinen Augen sei es eine Schande für den rumänischen Staat, einen ehemaligen Präsidenten, der so viele Jahre zum Aufbau der Demokratie beigetragen habe, zu verklagen. Foto: pa


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren