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06.08.05 / Tödlicher Haß unter Tage

© Preußische Allgemeine Zeitung / 06. August 2005

Tödlicher Haß unter Tage
von Robert Jung

Es ist mehr als ein halbes Jahrhundert her, daß ich auf der Grube Sigurd als Kumpel arbeitete. Mit mir Bert Grauentin. In einer gefährlichen Lage im Schacht hatte er mir das Leben gerettet. Er selbst war dabei am Kopf durch einen abgesprengten Steinsplitter verletzt worden; eine Narbe zog sich blutrot von der Stirn herab bis zum Kinn und entstellte sein Gesicht. Von da ab glaubte er nicht mehr an sich selbst, vor allem nicht, daß Tine, sein Mädchen, ihn noch liebte.

Als ich Tine einmal nach der Schicht aus der Kantine abholte, klangen plötzlich harte, schnelle Schritte hinter uns. Bert rannte wie besessen vorbei und höhnte: "Na, ihr zwei!" Dann verschluckte ihn die Dunkelheit. Wir beide waren von seinem Verdacht tief betroffen, bestand doch nur ein freundschaftliches Verhältnis zwischen uns.

In der Nachtschicht wich Bert mir aus. Er drückte sich im Waschraum herum, ohne einen Gruß. Schadet nichts, sagte ich mir. Vor Ort würde ich ihn schon zur Rede stellen.

Aber ich sollte mich täuschen. Ohne mich zu beachten, schob er sich auf der 400-Meter-Sohle stumm an mir vorbei. Hier, am äußersten Ende, war der Stollen so eng und niedrig, daß Bert als Vordermann nur auf dem Bauch liegend, ich nur kniend arbeiten konnte. Heute waren die Bohrlöcher mit den Sprengkapseln auszufüllen. Bert fiel die eigentliche Arbeit des Ausfüllens und Verkeilens der Löcher zu. Danach sollte er mir den Zünddraht weiterreichen, den ich dann nach rückwärts bis zum Batterieanschluß aufrollen mußte, von wo aus die Sprengung nach den üblichen Vorsichtsmaßregeln erfolgen sollte.

Solange Bert mit dem Teufelszeug hantierte, lenkte ich meine Gedanken nicht ab. Erst nach der Sprengung, wenn die jüngsten Kumpel das Gestein abräumten und in dem Durcheinander niemand mehr auf uns achten würde, wollte ich mich mit Bert gründlich aussprechen.

Ruhig und besonnen wartete ich darauf, daß Berts Hand mit dem Ende des Drahts über seinem Rücken auftauchen würde. Bert war ein schneller Arbeiter, und es wunderte mich, daß er mich so lange warten ließ. Zwei Minuten vergingen, drei Minuten, nichts ereignete sich. Leise robbte ich neben ihn.

Kaum war etwas Sichtfeld, daß ich über seine Hände blickte, stockte mir das Herz. Drei Sprenglöcher waren nach der Figur eines gleichschenkligen Dreiecks in den Fels getrieben. Das obere, an der Spitze, war von Bert ausgefüllt und schon verkeilt. Anstelle des elektrischen Zündungsanschlusses hielt Bert das zu einer Schlinge geknotete Ende in seiner Hand. Meine Gedanken überstürzten sich. Ein kurzer Ruck mit der Hand genügte, um den Fels, den Stollen, ihn und mich in die Luft zu jagen. Jäh zuckte ich zusammen: Berts Hirn hatte etwas Furchtbares ersonnen, und er wollte es jetzt tun. Gerade jetzt, wo ich mit ihm ins reine kommen wollte! Daß ich nichts mit Tine hatte. Daß sie ihn trotz seines entstellten Gesichts noch liebte und immer lieben würde ...

Jetzt wandte er den Kopf nach oben. Aus seinen Zügen sprühte mir tödlicher Haß entgegen. Noch mehr: etwas viel grauenvolleres, das mich mit Eiseskälte überfiel, meine Sinne lähmte und doch zugleich zu jagender Angst aufpeitschte, sah ich in seinem entstellten Gesicht. Wie ein Stromschlag traf mich die Erkenntnis: Der Kumpel neben dir hat den Verstand verloren. Noch fester pack-te ich seine Hand. Dann schrie ich so laut ich konnte. Mehrere Kumpel im Stollen waren auf dem Weg zu uns. Die Zeit der Sprengung war längst überschritten.

"Schneidet die Reißleine durch!" schrie ich in Todesangst. Was vorgefallen war, ahnte niemand. Was aber Gefahr war, funkte sofort. Als die zerschnittenen Enden der Reißleine an mir herunterhingen, fielen endlich auch meine zerschundenen Hände herab.

Bert lag stumm und starr vor uns auf dem Gestein. Widerstandslos ließ er sich von uns wegziehen und im Förderkorb ans Tageslicht bringen. Fast jeden Tag besuchte ihn Tine im Krankenhaus, bis er wieder gesund war. Wir sollten dann auch wieder Freunde werden ...


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