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13.08.05 / Fernab einer eigenen Identität / Die Feuilletons diskutieren über den Konservatismus -und die CDU debattiert über den Mehrwertsteuersatz von Windeln und Hundefutter

© Preußische Allgemeine Zeitung / 13. August 2005

Fernab einer eigenen Identität
Die Feuilletons diskutieren über den Konservatismus -und die CDU debattiert über den Mehrwertsteuersatz von Windeln und Hundefutter
von Ansgar Lange

Die Unions-Politiker Christoph Böhr und Peter Müller fordern, der Mehrwertsteuersatz für "Kinderprodukte" solle auf sieben Prozent sinken. Es sei ungerecht, wenn auf Hundefutter sieben Prozent und auf Kinderbekleidung, Windeln und Spielzeug 16 Prozent Mehrwertsteuer erhoben würden. Und wenn dann noch eine Politikerin aus der zweiten Reihe, die Vorsitzende der Frauen-Union Maria Böhmer nämlich, von einem "sehr zielgerichteten Vorschlag für eine familienfreundliche Steuerpolitik der Union" spricht, dann merkt der Beobachter: Die CDU ist auf den Hund gekommen, zumindest programmatisch.

Dieses Beispiel wirft ein Schlaglicht auf den Wahlkampf. Lange Zeit sah es so aus, als werde ein Sieg bei der Bundestagswahl automatisch auf CDU und FDP zukommen. Doch mittlerweile hat sich das Blatt wieder gewendet, da das neue Linksbündnis nicht nur in den neuen Ländern zu einer bedrohlichen Größe angewachsen ist. Und die Union, die doch sonst so gern das Credo der Unternehmensberater und Wirtschaftsexperten nachbetet, bekommt es mit der Angst zu tun und scheut vor klaren Botschaften zurück. Freiheit geht vor Gleichheit wäre eine solche Botschaft, die mit Verve vorgetragen werden müßte. Doch voller Panik registrieren die Parteistrategen, daß mindestens ein Drittel der Wähler in den neuen Ländern genau das Gegenteil für richtig hält. Wenn eine Politik der Substanzlosigkeit mit eklatanter Mutlosigkeit garniert wird, dann wird es schwierig, die Menschen für einen Politikwechsel zu gewinnen.

Bei einem Blick in die Ton angebenden Blätter der Nation stellt man fest, daß wieder eine Neugierde besteht, was den modernen Konservatismus denn ausmache. Mariam Lau stellte im Magazin der Süddeutschen Zeitung (SZ) fest, daß der Konservatismus hierzulande nicht tot sei, sondern nur konfus. Der deutsche Konservatismus sei vielfältigen Zerreiß-

proben ausgesetzt. Als konservativ gelten Marktliberale und Sozialstaatsbewahrer, Transatlantiker und Euopafixierte, Nationalkonservative und Kosmopoliten, Lebensschützer und Forschungsbegeisterte, Menschen, die das C im Parteinamen ganz groß oder ganz klein schreiben, die Gäste von Internetcafés und Dorfschänken. Vor 1989 war alles einfacher: In der goldenen Zeit des Kalten Krieges war der Antikommunismus das einigende Band der deutschen Konservativen.

Nach der Lektüre des ein oder anderen Artikels schleicht sich die Vermutung ein, daß auf die Ratschläge der sogenannten Intellektuellen nicht viel zu geben ist. So stellte die Frankfurter Rundschau (FR) die Frage: "Sind Sie konservativ, Martin Mosebach?" Mosebach wird immer dann gern bemüht, wenn man Ausschau hält nach einem Katholiken und Konservativen mit leichtem Fundi-Charme. Er hat Bücher wie "Eine lange Nacht", "Der Nebelfürst" und "Häresie der Formlosigkeit" geschrieben. "Konservativ ist man als Freund der genannten Ordnung vor der Revolution - man will die Revolution verhindern", so Mosebach. Doch nach der Französischen Revolution von 1789 und der Industriellen Revolution stelle sich die Frage, was denn noch zu konservieren sei. Mosebachs Thesen laufen auf einen Konservatismus des Alltagslebens hinaus. Doch lassen sich aus seinen Ausführungen keine Lehren ableiten, wie ein politischer Konservatismus im Jahr 2005 aussehen könne.

Der nächste Versuch führt zur Zeitschrift Cicero, auch wenn Mariam Lau behauptet, dort schlage einem der "säuerliche Geruch von intellektueller Stagnation" entgegen. Für Cicero-Chefredakteur Weimer ist Angela Merkel eine Utilitaristin. Weimer schreibt von der "kühlen Wende": "Die heißen Sphären der konservativen Denkwelt - die Nation, die Religion, die Familie, die Tradition - bleiben im Gefrierfach des Adenauer-

hauses verschlossen. Mit Angela Merkel und Guido Westerwelle käme ein Duo an die Macht, das zu allen vier Kategorien eher Distanz verkörpert." Die konservative Revolution bleibe auch dann aus, wenn CDU und Liberale die Macht übernähmen. Der Cicero-Chef beklagt, daß es den deutschen Konservativen an einer Vision fehle. Die intellektuelle Armada der bürgerlichen Politik in Deutschland bestehe aus vielen Wirtschaftsexperten und Paul Nolte - und der sei ziemlich liberal. Und der ist so ziemlich überall, könnte man anfügen.

Weimer macht das Dilemma von "Angie" deutlich, wenn er sie mit George Bush und Jacques Chirac vergleicht. Der amerikanische Präsident könne sich eine mäßige Wirtschaftspolitik leisten, da er die Wähler durch religiöse Sehnsucht binde. Chirac betreibe sogar eine schlechte Wirtschaftspolitik, mobilisiere jedoch durch das nationale Ideal. Angela Merkle predige nichts außer "Vorfahrt für Arbeit". Da ihr reiner Ökonomismus nirgends verankert sei als im wirtschaftlichen Erfolg, sei er auch vollkommen von diesem abhängig: "Die Utilitaristin Angela Merkel braucht ... eine richtig erfolgreiche Wirtschaftspolitik, oder sie wird ganz rasch wieder abgewählt."

Ein weiterer Versuch, zur Begriffsbestimmung eines neuen Konservatismus zu gelangen, führt zu konservativen Intellektuellen, die gelegentlich auch der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) - also einer Art Denkfabrik der Union - mit ihrem Rat zur Verfügung stehen. Ob sie die richtigen Ratgeber sind, bleibt nach dem Studium ihrer einschlägigen Texte eher zweifelhaft. Die Rede ist von Alexander Gauland und Johann Michael Möller. Mittlerweile bietet die linke taz Gauland ein Dach, seine ewig gleichen Thesen zu vertreten. Die Volkspartei CDU dürfe nicht unsozial agieren, sie müsse als "Schutzmacht der Langsamkeit" auftreten, schreibt Gauland. Konservative sind für ihn Bismarck, Adenauer und Blüm. Des Teufels sind die Wirtschaftsliberalen innerhalb und außerhalb der Union. In seinem Buch "Anleitung zum Konservativsein" hatte Gauland schon die steile These aufgestellt, ein Attac-Sympathisant habe mit einem Konservativen mehr gemeinsam als ein "Neoliberaler". "Es mag ja sein", schreibt Gauland, "daß in einem überschuldeten Land die Methoden des Lord Keynes wenig Erfolg versprechen, doch die Medizin des Sparens und Kostensenkens, der Eigenvorsorge und Eigenverantwortung hat bis jetzt nur die Konsumenten und Wahlbürger verunsichert, die Pferde jedoch nicht zum Saufen gebracht." Gauland verwechselt hier Reden mit Taten. In den vergangenen Jahren ist zwar viel über Sozialreformen gesprochen worden, doch Taten folgten kaum. Kann man denn allen Ernstes noch von freier Marktwirtschaft reden, wenn die Staatsquote in Deutschland im Jahr 2005 bei rund 47 Prozent liegt? In Deutschland ist soviel über die radikalen Reformen à la Reagan und Thatcher geschrieben und geredet worden, daß selbst Intellektuelle wie Gauland meinen, sie hätten sie bereits am eigenen Leibe erfahren.

Für Johann Michael Möller von der Tageszeitung Die Welt ist die Nation der große Rettungsanker. Zu den Begriffen Nation und Bürgerlichkeit, so lautet sein Lamento, fiele den Konservativen nichts ein. Doch was diese beiden Wörter konkret bedeuten, dazu fällt dem stellvertretenden Chefredakteur der Welt selbst nicht allzu viel ein. Die CDU dürfe nicht mit der "lieblosen Diktion von Buchprüfern und Unternehmensberatern" in den Wahlkampf ziehen. Das größte, unverhoffte Kapital der Konservativen seien die politischen Phantasien, die sich jetzt auf sie richteten. Es ist überaus fraglich, ob die Menschen, die außerhalb des Feuilletons leben, von diesen Fragen elektrisiert werden. Die Volkspartei CDU ist nur ein Spiegel der Gesellschaft. Wenn es kein Bürgertum im klassischen Sinne mehr gibt, kann eine Partei es wohl auch nicht schaffen. Und mit nationalen Appellen allein lassen sich die Menschen in den neuen Bundesländern auch nicht mehr einfangen, die unter einer Arbeitslosigkeit von 20 Prozent leiden und voller Neid auf die vermeintlich reichen und sie stets übervorteilenden Brüder im Westen schauen.

Den bisher besten Beitrag zur Konservatismusdebatte hat Rainer Hank in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) geliefert. Die Union muß wieder konservativer werden. Sie muß sagen, warum zunächst die Freiheit kommt. Und dann erst die Gleichheit: Mit diesen Worten bringt er seine Überzeugung auf den Punkt. Und Hank liefert auch ein Beispiel bürokratischer CDU-Prosa, die veranschaulicht, wie man es nicht machen sollte. "Der Technologietransfer muß mit moderner Clusterpolitik gemanagt werden": Diese sprachliche Scheußlichkeit hat der FAS-Redakteur in Kapitel 1.1 des Regierungsprogramms von CDU und CSU gefunden. Diese verbale Entgleisung sei kein Ausrutscher. Fast alle Passagen der Programmschrift atmeten den "wenig inspirierenden Geist der Sozialtechnokratie". Den Geist der Freiheit atmet dieses Programm augenscheinlich nicht. Eine Reflexion über Staatsaufgaben und Staatsausgaben unterbleibe. Es werde naiv vorausgesetzt, der Staat sei "fiskalisch erschöpft" - und das bei einer Staatsquote von fast 50 Prozent. So wenig Phantasie war nie; als ob der Staat bei einer solch üppigen Quote keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr hätte.

Ähnlich wie die anderen Kritiker der CDU-Programmatik bemängelt auch Hank, daß eine positive Leitidee fehle: "Dabei wimmelt es im Regierungsprogramm der Union nur so von Wirtschaft: Wachstumszahlen, technologische Kennziffern, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze oder Haushaltsdefizite reihen sich aneinander. Doch das ist nichts als schlechter Ökonomismus, der die Ressentiments der Menschen gegen das Ökonomische nur noch verstärken wird. So haben sie sich immer schon das Programm einer Wirtschaftspartei vorgestellt: Reformen sind ungemütlich und schmerzen, sind aber offenbar naturgetrieben und unausweichlich." Angela Merkel - so lautet Hanks Vorwurf - verrät ihren potentiellen Wählern nicht, wie sich Familie, Markt und Staat zueinander verhalten sollen. Sie schweigt sich darüber aus, was die Bürger in Zukunft noch von ihrem Staat erwarten dürfen.

Wer Sinn stiftende Antworten suche, solle nach dem Buch "Die Kultur der Freiheit" des Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio greifen. Rainer Hank (FAS) bespricht Di Fabios Buch ohne Schaum vor dem Mund. Das Werk biete "Marksteine einer neuen konservativen Agenda". Es rehabilitiere die "spießigen" Adenauer-Jahre, die von der deutschen Linken und den 68ern schlecht geredet wurden. Di Fabio: "Die 50er Jahre waren goldene Jahre der Westdeutschen; hier wuchs das Kapital, von dem die heutige starr und bequem gewordene Republik immer noch zehrt. Es hat kaum jemals soviel zuversichtliche Leistungsbereitschaft gegeben wie in dieser Zeit." In dieser Zeit, so ergänzt Hank, habe die Union die Balance gefunden zwischen der Freiheit auf dem Markt und dem notwendigen sozialen Ausgleich. Konservatismus und Liberalismus wurden versöhnt. Vertreter einer sozialprotektionistischen Variante sollten einmal Horst Sieberts Buch "Jenseits des Sozialen Marktes" zu Rate ziehen. Der emeritierte Präsident des Instituts für Weltwirtschaft hat nämlich darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik allzu lange von der Substanz der Gründerjahre gezehrt hatte. Ab den 60er und 70er Jahren meinten die erschlafften Westdeutschen, immer mehr Sozial- und Wohlfahrtsstaat mit immer weniger Arbeit, steigenden Ansprüchen und immer mehr Freizeit verbinden zu können. Es ist schon fast tragisch, daß sich heute die SPD als Hüterin der Sozialen Marktwirtschaft ausgibt und auch die CDU nicht mehr den Mut findet, die eigenen Ahnherren Adenauer und Erhard zu würdigen. Eine solche Haltung verrät die Pose des Verlierers, der es sich einfach nicht zutraut, bei gesellschaftlichen Diskussionen zu bestehen. Und so hat die Union immer den Kürzeren gezogen, wenn sie sich dem öffentlichen Diskurs gestellt hat. Sie versagte in der Debatte über die Leitkultur. Sie läßt sich den Begriff der Sozialen Marktwirtschaft klauen und fabuliert von Neuer Sozialer Marktwirtschaft. Und Gerhard Schröder hat ihnen mittlerweile auch das Nationale abspenstig gemacht.

Am Ende bleibt man ratlos. Man sieht die moralische Degeneration, die mit der Perversion des Wohlfahrtsstaates einhergegangen ist und die es jetzt linkssektiererischen Gruppierungen erlaubt, aus dem Stand an die 30 Prozent Zustimmung im Osten zu gewinnen, weil man auf die Karte Neid setzt. Die vergangenen 30 Jahre haben die Deutschen der Erkenntnis entwöhnt, daß Freiheit wichtiger ist als Gleichheit. Der Sozialstaat hat deshalb die Prinzipien der Solidarität und Subsidiariät verdrängt. Christliche Nächstenliebe wurde stets mit den Sozialausschüssen in der Union assoziiert, obwohl diese mit Norbert Blüm endgültig "zu Büttenrednern mutiert" (Rainer Hank) sind. Und das hektische Hin- und Herdiskutieren über ein oder zwei Prozent Mehrwertsteuer läßt befürchten, daß die Berufspolitiker in der Union den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Verschließen sich Angela Merkel und ihr Anhang der Annahme, daß zuletzt unter Adenauer und Erhard Konservatismus und Liberalismus einigermaßen versöhnt waren, so betreiben sie nur einen Aufguß der jetzigen Regierungspolitik. "Und wenn man schon nur noch nach Wählergruppen schielt", so schrieb die SZ sarkastisch, "so darf man auch nicht vergessen, daß ein höherer Steuersatz auf Hundefutter die vielen wählenden Rentner mit Schoßhund vergrätzt".

 Von Adenauer lernen: Unter dem ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hatte die Union eine gesunde Balance zwischen Konservatismus und Liberalismus gefunden. Heute versucht sie es mit Ökonomismus. Foto: pa


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