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20.08.05 / Warum die Preußen St. Michael so verehren / Wie der Erzengel zum "Deutschen Michel", zum "Kriegsgott der Deutschen" wurde

© Preußische Allgemeine Zeitung / 20. August 2005

Warum die Preußen St. Michael so verehren
Wie der Erzengel zum "Deutschen Michel", zum "Kriegsgott der Deutschen" wurde
von Manfred Müller

Preußen und die Verehrung des Erzengels Michael - ein Widerspruch in sich? Luther und stärker noch Calvin hatten in der Reformation mit der "papistischen" Heiligenverehrung aufgeräumt. Und doch blieb die Wertschätzung Michaels nicht auf den katholischen Volksteil beschränkt; auffällig groß ist sie bei preußischen Königen des 19. Jahrhunderts (Friedrich Wilhelm IV., Wilhelm I., Wilhelm II.).

Es ist kaum möglich, diese Hochachtung des Erzengels als kultgeschichtliche Traditionslinie in die Zeit des katholischen Ordensstaates zurückzuführen. Zwar wurden dem heiligen Michael bei der Christianisierung der heidnischen Pruzzen Altäre und Kirchen geweiht, doch war die Zahl dieser Patrozinien nicht auffällig hoch, und es gab auch kein Michaelsheiligtum im christianisierten Pruzzenland, das Pilgerscharen anzog. Patronin des Ordensstaates war die Gottesmutter Maria, der Schlachtgesang, mit dem die Ordensritter in den Kampf zogen, war kein Michaelslied, sondern der österliche Siegeshymnus "Christ ist erstanden ..."

Unhaltbar ist auch die gelegentlich noch anzutreffende Behauptung, die Bezeichnung "Deutscher Michel" für die deutsche Nationalfigur (vergleichbar zum Beispiel der französischen Marianne) gehe auf die Ordensritter zurück, die im 16. Jahrhundert "deutsche Michel" genant worden seien. Als Belegstelle wurde ein Zitat aus Martin Schrots Spottbild-Dichtung aus dem Jahr 1546 "Von der erschrecklichen Zerstörung und Niederlag des ganzen Papsttums" angeführt. Dort läßt der Dichter die Ritter des Deutschen Ordens klagen: "Wir sein verdorben Edelleut ... Spot unser jedermann behend / Die teutschen Michel man uns nennt, / Ist wahr, können nit viel Latein, / Denn Fressen, Saufen Buben sein." Da in der Dichtung die Ordensritter der katholischen Zeit verspottet werden, sollen sie an dieser Stelle mit Hilfe des bei Bauern damals beliebten Vornamens Michael / Michel als grob, ungeschlacht und ganz und gar unritterlich dem Gespött preisgegeben werden.

Während der Befreiungskriege gegen Napoleon wuchs der Gestalt des Erzengels Michael in der antinapoleonischen preußischen Propaganda eine bedeutende Rolle zu, da Napoleon als ein teuflisches Wesen, vergleichbar dem Drachen in der Johannes-Apokalypse, angesehen wurde. Als Gegenfigur bot sich der Erzengel Michael an, der nach neutestamentlichem Zeugnis den Drachen in den Abgrund hinabstieß. Bibelfesten Protestanten war diese Stelle und das Bild des Drachenüberwinders Michael durchaus geläufig. Auch ist zu berücksichtigen, daß das Michaelsfest (29. September) im lutherischen Bereich lange mit festlichen Gottesdiensten begangen wurde, wovon Johann Sebastian Bachs herrliche Michaelskantaten zeugen. Emanuel Geibel bedichtete die Leipziger Völkerschlacht, indem er sie mit Michaels Kampf gegen das apokalyptische Tier verglich: "Es hob die Waage des Weltgerichts / am dritten Tage der Herr des Lichts / und warf den Drachen vom güldenen Stuhl / mit Donnerkrachen hinab zum Pfuhl! / Ehre sei Gott in der Höhe!" Geibel erhebt den Erzengel hier in eine gottähnliche Stellung, indem er Michael im Gegensatz zu dem luziferischen Napoleon zum wahren Lichtträger macht und ihn, den traditionellen Seelenwäger, als Engel des Weltgerichts sieht.

Die Stadt Berlin gab 1815 eine Blücherplakette zu Ehren des greisen Feldmarschalls heraus, die den Drachentöter Michael zeigte. Im Auftrag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. schuf der Baumeister Karl Friedrich Schinkel ein patriotisches Ehrenmal auf dem Kreuzberg vor den damaligen Toren Berlins. In den Entwürfen plante Schinkel zunächst einen Obelisken mit einer großen Michaelstatue. Das Monument erhielt dann aber die Form einer gotischen Kirchturmspitze; in die kapellenartigen Nischen über dem gemauerten gotischen Sockel setzte Schinkel allegorische Figuren. Eine davon verkörpert den Genius von Groß-Görschen, wo eine wichtige Schlacht der Befreiungskriege stattfand. Bei diesem Genius mit Flügeln, Brustpanzer, Schwert und Siegeskranz kann man sich an Michael erinnert fühlen.

Friedrich Wilhelm IV., der "Romantiker auf dem Thron", erblickte in der Revolution von 1848 das Wirken des apokalyptischen Drachens. Daher ist es durchaus stimmig, daß er seinem Bruder Wilhelm (dem "Kartätschenprinzen") 1849 als Dank für die Niederwerfung der zweiten Welle der Revolution ein auf den ersten Blick merkwürdiges Geschenk machte. Er überreichte die bronzene Replik des von August Kiß geschaffenen Ehrenmals für die in Baden gefallenen preußischen Soldaten. Thema dieses Denkmals: Michael im Kampf mit dem Drachen. Hatte doch Wilhelm "den Drachen der Zuchtlosigkeit und Gesetzesverachtung" im westlichen Deutschland besiegt, wie ein Zeitgenosse meinte. Am 1. Januar 1857 übereichte Friedrich Wilhelm IV. seinem Bruder zu dessen 50jährigem Militärjubiläum einen Ehrendegen, an dessen Griff die Figur des Erzengels angebracht war.

Wilhelm betrachtete die Niederwerfung der Revolutionäre von 1849 als einen Michaelssieg. 1871 sah er ebenfalls einen Michaelssieg in der Niederwerfung Napoleons III. Zu dieser Sichtweise mag auch beigetragen haben, daß sich bei deutschen Gebildeten unter dem Einfluß von Jakob Grimms "Deutscher Mythologie" (Erstauflage 1835) die Ansicht verbreitete, Michael stehe für den germanischen Gott Wodan, er sei also der Kriegsgott der Deutschen, wobei der Symbolfigur "Deutscher Michel" eine neue Bedeutung zuwuchs. Diese Säkularisierung der biblischen Michaelsgestalt wurde 1873 deutlich greifbar in einem Gemälde von Wilhelm von Kaulbach. Der Künstler projizierte seine politischen Anschauungen in eine Variation des Drachenkampfmotivs und nannte sein Gemälde "Der deutsche heilige Michel". Damit kein Zweifel daran aufkommen konnte, daß hier ein Rückgriff auf den Deutschen Michel als Nationalfigur stattgefunden hatte, schrieb Kaulbach "Michel" statt "Michael" und fügte noch hinzu: "dem tapferen deutschen Volk". Michael als jugendlicher Krieger trägt auf seinem Harnisch das Eiserne Kreuz. Er hat Napoleon III. niedergeworfen, damit verherrlicht Kaulbach den Sieg der verbündeten deutschen Staaten über Frankreich. (Andere Gestalten, die sich am Boden winden, geben den kulturkämpferischen Überzeugungen Kaulbachs Ausdruck.)

Ganz deutlich ist die Wandlung vom christlichen Erzengel zu einem Kriegsgott der Deutschen vollzogen im Leipziger Völkerschlachtdenkmal, dessen Bau seit 1894 ein "Deutscher Patriotenbund zur Errichtung eines Völkerschlachtdenkmals bei Leipzig" (DPB) betrieb. Das Hauptrelief an der Stirnwand des Denkmals ist eine komplexe Kriegsallegorie mit Michael auf einem abstrahierend angedeuteten Schlachtfeld von Leipzig. Für den DPB war Michael der "Kriegsgott der Deutschen". Kaiser Wilhelm II. verweilte 1913 nach der Einweihung des Denkmals lange vor diesem Michaelsrelief. Wie drei Skizzen des Kaisers zum Michaelsthema ausweisen, hatte Wilhelm sich die damals gängigen Vorstellungen vom "Kriegsgott der Deutschen" zu eigen gemacht. Er ließ sie von Hermann Knackfuß ausarbeiten und dann als Heliogravüren verbreiten. Das bekannteste Blatt trägt den Titel "Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter". Mit Flügeln, Panzerrüstung und Flammenschwert ausgestattet, steht Michael auf einem Felsvorsprung und weist die als Frauen personifizierten europäischen Staaten (an ihrer Spitze Germania) auf eine über Rauchwolken heranschwebende Buddhagestalt hin - für Wilhelm die Verkörperung der "gelben Gefahr".

Im Ersten Weltkrieg benutzte die deutsche Propaganda die Michaelsthematik, um die Wehr- und Kampfbereitschaft zu stärken. So trug die letzte deutsche Offensive an der Westfront bezeichnenderweise den Namen des Erzengels Michael. Diese Zusammenhänge um den "deutschen Kriegsgott" hatte der kommunistische Propagandakünstler John Heartfield (Helmut Herzfeld) wohl im Sinn, als er 1920 einen Beitrag für die Berliner Dada-Messe schuf: ein provozierendes Ausstellungsstück, betitelt "Preußischer Erzengel". Von der Decke hing schwebend eine Figur aus Pappmaché mit Schweinskopf. Bekleidet war dieses Wesen mit einer Reichswehr-Offiziersuniform. Eine große Banderole um die Taille verkündete: "Vom Himmel hoch, da komm ich her." Ein anderer Erzengel als Michael kam bei dieser Verhöhnung nicht in Betracht, und "preußisch" stand für "preußisch-deutsch".

Engel haben heute, ausgelöst durch eine Engel-Welle aus den USA, wieder Konjunktur. Vielleicht könnte dies ein Anlaß sein, uns auf Michael, der von alters her als Engel der Deutschen gilt, neu zu besinnen. n

Weitere Informationen zu diesem Thema enthält das vom Autor dieses Artikels verfaßte Buch "St. Michael - ,der Deutschen Schutzpatron'? - Zur Verehrung des Erzengels in Geschichte und Gegenwart", 2. Auflage, Bernadus-Verlag Langwaden, Mainz 2005, 216 Seiten, 13 Euro.

Sankt Michael: Die alttestamentliche Engelsgestalt bekämpft als Anführer der himmlischen Heerscharen den Satan und galt als solcher als Beschützer des Heiligen Römischen Reiches und der Kirche. Foto: Archiv


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