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10.09.05 / Und der Zukunft zugewandt?

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. September 2005

Und der Zukunft zugewandt?
von Günter Schabowski

Auf der zweiten Tagung des IX. Parteitags will die Linkspartei ihr Wahlprogramm beschließen. Warum ist das rote Retrobündnis mit dem Duo Gysi / Lafontaine aber eigentlich so gefährlich? Was weist Gregor Gysi und Oskar Lafontaine als Problemlöser für unser Land aus? Nicht eine einzige greifbare Leistung! Ihr Programm bedient sich aus dem Intershop einer rückwärts gerichteten Verteilungsideologie: Angesichts versiegender Quellen im bundesdeutschen Sozialsystem fällt ihnen nur ein, nach mehr Wasser zu rufen. Und der Zukunft zugewandt? Mit einem seltsamen roten Retrobündnis wollen diese beiden politischen Egomanen aufbrechen zu neuen linken Ufern in der Bundesrepublik.

Juniorpartner ist die WASG, deren Mitglieder nicht einsehen, wieso egalitäre aus öffentlichen Kassen finanzierte Träume aus den 70er Jahren nicht Wirklichkeit werden können. Seniorpartner ist die SED-Nachfolgepartei PDS. Die PDS ist wie die SED, die sie beerbt hat, in ihrer Struktur eine Kaderpartei in kommunistischer Tradition, und sie duldet in ihren Reihen eine extreme doktrinäre Gruppierung wie die kommunistische Plattform. Sie ist nicht nur Seniorpartner, sondern auch Seniorenpartei: Rund 60 Prozent ihrer Mitglieder sind Rentner über 65.

In diesem roten Feierabendheim haben viele immer noch nicht akzeptiert, daß die DDR an sich selbst und nicht an imperialistischen Ränken des vermeintlichen Klassenfeinds gescheitert ist. Ich habe diesen Untergang in verantwortlicher Position miterlebt. Er taugt nicht für sozialromantische Ostalgie: 1989 wurde in einer SED-internen Krisenanalyse bilanziert, daß selbst eine Senkung des Lebensstandards der Bevölkerung um 25 bis 30 Prozent die Zahlungsunfähigkeit des Systems nicht mehr aufhalten könne. Erich Honeckers Versuch, mit der sogenannten Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik ein Minimum kommunistischer Verheißung zu realisieren, hat den Ruin der DDR besiegelt.

Ähnliche Versuche scheiterten von Havanna bis Wladiwostok.

Zurück zu den Protagonisten der Neuauflage der sozialistischen Einheitsfront: Gregor Gysi ist von Anbeginn Galionsfigur einer Partei, die bewußt als Nachfolgerin der SED ins neue Deutschland gegangen ist. Die scheinbar undogmatische und unkommunistisch anmutende Eloquenz seiner locker geplauschten Interviews suggeriert, es hätte auch eine andere, quasi fast schon oppositionelle SED gegeben. Doch das stimmt nicht; als früheres Mitglied des SED-Politbüros würde ich das wissen. Gysi war kein Widerständler im System der SED. Er hat in ihm jahrzehntelang mit Renommee gewirkt.

In der Wendezeit hat er eine klinisch tote Partei reanimiert, die das nicht verdient hat. Wer sich ernsthaft mit den antihumanen Praktiken der DDR-Staatspartei auseinander gesetzt hat, für den konnte es damals keine Fortsetzung der SED-Arbeit geben.

Doch Gysi verstand es, der PDS das Image einer Interessenvertretung der vermeintlich enterbten "Ossis" zu verleihen, obwohl doch die SED/PDS selbst deren Enterber war.

Soweit die Vergangenheit. Und was hat Gysi nach der Wende geleistet? Erinnern wir uns an sein Gastspiel als Berliner Wirtschaftssenator. Die Bonusmeilen-Affäre sorgte für einen flotten Abflug aus dem Amt, er mußte nicht länger für die Berliner Probleme mithaften. Das Management des Machbaren ist sein Metier nicht. Wohler fühlt er sich in den Sphären sozialistischer Utopie. Hier trifft er sich mit seinem Bündnispartner West, Oskar Lafontaine.

Zum politischen Comeback bewegen die beiden Linksaußen zumindest verbal Milliardensummen. So wollen sie das Arbeitslosengeld II von jetzt 345 Euro im Westen und 331 Euro im Osten auf einheitlich 420 Euro aufstocken. 64 Mrd. Euro mehr will man an Steuern einnehmen, um alle Wohltaten zu bezahlen. Unter anderem soll dafür der Spitzensteuersatz von 42 Prozent auf 50 Prozent steigen. Wie all das hier zu Lande möglich sein soll, wenn ringsum Steuern sinken? Gysi schwafelt von einer internationalen sozialen Marktwirtschaft. Das ist ebenso illusionär wie eine Mindestlohnforderung von 1.250 oder 1.400 Euro monatlich. Sie würde dafür sorgen, daß gering Qualifizierte gar keine Beschäftigung mehr finden.

Schier unerträglich ist es, wenn sich Gysi dann auch noch auf die Erfolgsmodelle anderer Länder beruft, die angebotsorientierte Reformen auf den Weg gebracht haben - das Gegenteil also von dem, was Gysi, Lafontaine und Genossen wollen. "Schauen Sie sich doch mal die Länder an, in denen es wirtschaftlich aufwärts geht. Da können Sie Amerika und Großbritannien genauso nehmen wie Schweden. Die haben alle reale Lohnsteigerungen." So will uns Gysi einlullen. Er und

Lafontaine wollen punkten, indem sie ökonomische Realitäten in demagogischer Weise leugnen.

Mehr als fünf Millionen Menschen wollen das Links-Tandem in den Bundestag wählen, besonders hoch ist der Anteil in Ostdeutschland. Warum, so frage ich mich, wählt man eine Partei, der man nicht zutrauen kann, Zukunft zu gestalten? Wer's dennoch tut, laviert die Demokratie in eine gefährliche Situation. n

 

Der Beitrag erschien am 23. August 2005 in der Financial Times Deutschland

 

Günter Schabowski wurde 1929 in Anklam geboren. Von 1981 bis 1990 war er Abgeordneter der Volkskammer. Am 9. November 1989 verlas er auf einer Pressekonferenz die Meldung, daß ab sofort die unbeschränkte Ausreise aller DDR-Bürger möglich sei. Im Januar 1990 wurde Schabowski aus der SED / PDS ausgeschlossen. 1999 verurteilte ihn der Bundesgerichtshof in Leipzig zu drei Jahren Haft wegen Totschlags für den Schießbefehl an der Mauer. Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit begnadigt Schabowsky 2002, und er wurde am 2. Oktober 2002 aus der Haft entlassen.


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