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24.09.05 / Geschätzt, gefördert - gescheitert? / Der wundersame Aufstieg der Angela Merkel: Eine Frau strebt ins Kanzleramt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. September 2005

Geschätzt, gefördert - gescheitert?
Der wundersame Aufstieg der Angela Merkel: Eine Frau strebt ins Kanzleramt
von Joachim Tjaden

Ihren ersten Sieg über Gerhard Schröder errang Angela Merkel vor einem Jahrzehnt. Damals war "das Mädchen", wie CDU-Übervater Helmut Kohl sie nannte, Umweltministerin in der Bonner Bundesregierung, und Schröder führte in Hannover eine rot-grüne Landesregierung. Diese hatte sich vehement geweigert, im niedersächsischen Gorleben, Standort eines Zwischenlagers für radioaktive Abfallprodukte, Atommüllbehälter vom Typ "Castor" aus dem Kernkraftwerk Philippsburg zu deponieren. Merkel erließ kurzerhand eine "bundesaufsichtliche Weisung": Schröder mußte sich beugen, Kernkraftgegner munitionierten sich zu Straßenschlachten - aber die Castoren rollten. Nach der Demonstration ihrer Macht schickte die Ministerin ihrem Kontrahenten eine Grußadresse an die Leine: "Ich halte es für völlig fatal, den Menschen immer wieder einen Ausweg zu bauen, um das Gesetz zu umgehen." Joschka Fischer, zu jener Zeit grüner Fraktionschef und Schröders Sekundant in der Energiedebatte, tobte im Bundestag: "Frau Merkel geht mit dem Kopf durch die Wand."

Spurensuche zu einer Persönlichkeit, die die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung Jahre später "die undressierte Frau der deutschen Politik" und die linksalternative taz eine "Haifischdompteuse" nennen sollte:

Angela Merkel wurde am 17. Juli 1954 in Hamburg geboren. Ihr Vater, Horst Kasner, stammte aus Berlin-Pankow, hatte im geteilten, aber noch durchlässigen Deutschland zuerst in Heidelberg, danach in Hamburg evangelische Theologie studiert und dort die Lehrerin Herlind Jentzsch geheiratet. Drei Monate nach der Geburt der Tochter, so weisen es übereinstimmend alle Biographien aus, wurde Kasner von der Berlin-Brandenburgischen Landeskirche eine Pfarrersstelle in Quitzow bei Perleberg in der DDR angeboten. Dorthin übersiedelte die Familie und drei Jahre später nach Templin in die Uckermarck. Die Mutter durfte nicht als Lehrerin an staatlichen Schulen arbeiten. Die Kasners lebten im Templiner "Waldhof", einem Heim für geistig Behinderte, zugleich Fortbildungszentrum für evangelische Pfarrer, das der Vater leitete, während die Mutter Griechisch und Englisch lehrte.

Tochter Angela besuchte die Polytechnische Oberschule "Goetheschule". Konfirmation statt Jugendweihe, die Verwandten aus dem Westen schicken Jeans. Anfang der 70er tritt sie in die FDJ ein - über diesen Schritt sagt sie heute "Das war Schutzprogramm". An der Schule sammelt sie Geld für die "Frelimo"-Rebellen in Mosambik. Wegen hervorragender Ergebnisse bei den "Schüler-Olympiaden" in Mathematik und Russisch darf sie als 14jährige mit dem "Zug der Freundschaft" nach Moskau. Dem Einser-Abitur folgt zwischen 1973 und 1978 das Physik-Studium in Leipzig mit Abschluß zur Diplom-Physikerin. Als Studentin reist sie für drei Wochen nach Leningrad, zu einem Sprachkurs in die Ukraine und als Tramperin durch den Kaukasus. Sie lernt den Kommilitonen Ulrich Merkel kennen, dessen Familie bis zur Enteignung Anfang der 70er Jahre einen Textilbetrieb im thüringischen Vogtland geführt hatte. 1977 heiraten beide - die Verbindung hält nur fünf Jahre. "Ich bin die Ehe nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit angegangen und hatte mich getäuscht."

Während Angela Merkels Studienzeit versucht der Staatssicherheitsdienst zweimal, ihren Vater anzuwerben; Protokoll-Zitat aus den heute zugänglichen Unterlagen: "Die Zielsetzung wurde nicht erreicht, da Kasner über das Gespräch dem Bischof Schönherr berichtete."

Noch an der Seite ihres ersten Mannes wechselte Angela Merkel von Leipzig an die Berliner Humboldt-Universität. 1986 promoviert sie zum "Dr. rer. nat." und wird Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Physikalische Chemie an der Akademie der Wissenschaften. Dort wird sie vom Informellen Mitarbeiter der Stasi, ihrem Kollegen Frank Schneider, beobachtet; er schreibt seinen Auftraggebern: "Angela steht unserem Staat sehr kritisch gegenüber." In anderen Berichten werden ihre Unterstützung der polnischen Gewerkschaft "Solidarnosc" und Besuche bei der Witwe des Regimekritikers Robert Havemann vermerkt. Als Mitglied der FDJ-Kreisleitung ("Ich habe Theaterkarten besorgt") wirkt sie als "Sekretärin für Agitation und Propaganda", fällt aber in Ungnade, weil sie christliche Weihnachtslieder singt.

1984 lernt sie in Berlin den Chemiker Joachim Sauer kennen, der ihr bei der Promotionsarbeit hilft. Sauer hatte lange Zeit in Prag geforscht und genoß das Privileg von Westreisen, die ihn mit Kollegen an der Universität Karlsruhe zusammenführten. Die Physikerin und der Chemiker lebten als unverheiratetes Paar zusammen, erst 1998 ließen sie sich standesamtlich trauen. Sauer arbeitete nach dem Fall der Mauer bei einer Technologiefirma in den USA, kehrte 1992 nach Berlin zurück, wirkte dort in der Max-Planck-Gesellschaft und erhielt 1993 einen Lehrstuhl an der Humboldt-Universität.

Angela Merkel blieb bis 1990 an der Akademie der Wissenschaften. Die politische Wende in der DDR wurde auch zu einer persönlichen - und leitete die wohl atemberaubendste Parteikarriere der deutschen Nachkriegsgeschichte ein, als Lehrstück über den Willen zur Macht und die Gunst der historischen Stunde: Angela Merkel erlebt den Mauerfall im Sog Zehntausender bei ihr wildfremden Menschen in West-Berlin und beschließt: "Du kannst jetzt etwas tun". Weil ihr die DDR-Blockparteien fremd geblieben sind und "Bündnis 90" und Sozialdemokraten "zu basisdemokratisch" erscheinen, schließt sie sich dem aus der Bürgerrechtsbewegung hervorgegangenen "Demokratischen Aufbruch" (DA) Wolfgang Schnurs am Prenzlauer Berg an. Sie wird Bürosachbearbeiterin und bringt es bis zur Pressesprecherin. Helmut Kohl und CDU-Generalsekretär Volker Rühe schmieden von Bonn aus DA, die Ost-CDU Lothar de Maizières und die DSU Hans-Wilhelm Ebelings zu einer "Allianz für Deutschland" zusammen: Aus ihr geht die letzte DDR-Regierung hervor.

Ministerpräsident Maizières macht Merkel, die im Wahlkampf engen Kontakt zu Westjournalisten gepflegt hatte, zur Vizeregierungssprecherin. Im August 1990 tritt sie der CDU bei. Günter Krause, Maizières Unterhändler bei den Verhandlungen über die Währungsunion, wird Merkels Förderer: Der CDU-Landeschef in Mecklenburg-Vorpommern verhilft ihr zu einem eigenen Wahlkreis Stralsund/Rügen/Grimmen, von dem aus sie Ende 1990 mit 49 Prozent der Erststimmen in den ersten gesamtdeutschen Bundestag einzieht - nur ein Jahr nach ihrem Aufbruch in die Politik.

Krauses Verhandlungspartner aus den Tagen der Wirtschaftsunion, der Bonner Innenminister Wolfgang Schäuble, macht Kanzler Kohl auf die Aufsteigerin aus dem Osten aufmerksam. Kohl ist begeistert von dem Talent Merkel und beruft sie Anfang 1991 zur ersten Ministerin eines eigens gegründeten Ministeriums für Frauen und Jugend. Noch im selben Jahr ebnet der Patriarch seinem Protegé den Weg in den CDU-Vorstand: als seine Stellvertreterin. Als Ministerin verankert Merkel die Gleichberechtigung im Grundgesetz und setzt den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz durch. 1993 beerbt sie Günter Krause als CDU-Landeschefin in Schwerin.

Nach dem Unionswahlsieg 1994 wird Merkel Umweltministerin, ihre erste Amtshandlung: die Entlassung des einflußreichen Staatssekretärs Clemens Stroetmann, den sie von ihrem Amtsvorgänger Klaus Töpfer übernommen hatte: "Ich selbst habe den Anspruch, in meinem Ministerium die Leitlinien vorzugeben." Merkel übersteht unbeschadet die Castor-Turbulenzen und kämpft erfolgreich für ein Ozonschutzgesetz - einmal auch unter Einsatz von Tränen, wie kolportiert wird. Die Männerriege im Kabinett raunzt, Kohl lasse seinem "Mädchen" zu viel "durchgehen".

Im September 1998 endet mit dem Wahlsieg Gerhard Schröders die Ära Kohl. Wolfgang Schäuble wird neuer CDU-Vorsitzender und bestimmt Angela Merkel zur Generalsekretärin: "Sie hat politischen Verstand, die notwendige Härte, den Ehrgeiz und die Umsicht." Merkel baut das Konrad-Adenauer-Haus personell um, entläßt Geschäftsführer und Hauptabteilungsleiter, trennt sich von Kohls PR-Strategen. "Mitten im Leben" lautet das neue Motto, mit dem Schäuble und seine Generalin die Partei wieder nach vorn bringen und Schröder treiben wollen.

Sechs Landtagswahlen und die Europawahl werden nacheinander triumphal gewonnen - bevor im November 1999 die Spendenaffäre über die CDU hereinbrach. Sie trug ihr Strafgelder über 56 Millionen Euro ein und für lange Zeit den Verlust jedes Vertrauens in weiten Teilen der Bevölkerung: ein unter Helmut Kohl filigran gewobenes Netz illegaler Geldflüsse unbekannter Spender auf Schwarzgeldkonten, gedeckt von Schatzmeisterei und der für Parteigehaltszahlungen zuständigen Frankfurter Kanzlei "Weyrauch & Kapp", aufgeflogen in der Folge der Verhaftung des CDU-Granden Walter Leisler Kiep.

Angela Merkel erkannte auch die Chance, die in der Existenzkrise lag. Sie verlangte und unterstützte "schonungslose Aufklärung" gegen den Widerstand der Kohlianer und trennte, ebenso schonungslos, die Partei und sich selbst vom Kanzler der Einheit. In einem Alleingang an allen Führungsgremien vorbei verfaßte sie einen Namensartikel für die FAZ: "Die Partei muß laufen lernen, muß sich zutrauen, in Zukunft auch ohne ihr altes Schlacht-roß den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen. Sie muß sich wie jemand in der Pubertät von zu Hause lösen." Kohls Anhänger sprachen vom "politischen Vatermord", der Altkanzler gab den Ehrenvorsitz ab.

Nachdem sich im Lauf der Affäre abzeichnete, daß auch Wolfgang Schäuble nicht frei von Spenden-Schuld war, legte er Partei- und Fraktionsvorsitz nieder. Angela Merkel stellte sich auf Regionalkonferenzen im ganzen Land der CDU-Basis, die verzweifelt einen Neuanfang herbeisehnte. Diese Konferenzen wurden zu einem Siegeszug für die Frau aus dem Osten, die in den Augen der Mitglieder zur letztverbliebenen moralischen Instanz heranwuchs. Gegen diese ihr zugedachte Rolle wehrte sie sich nicht.

Im April des Jahres 2000 wurde Angela Merkel in der Essener Grugahalle mit 95,9 Prozent der Delegiertenstimmen zur neuen Vorsitzenden gewählt. Die Partei hatte überlebt - und Deutschland zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Frau an der Spitze einer Volkspartei.

Bald schon sah sich die Protestantin Angela Merkel in der vorwiegend katholischen Männerwelt der Unionsparteien teils offenen, teils verdeckten Ränkespielen ausgesetzt. Vor allem die Riege der machtbewußten CDU-Ministerpräsidenten tat sich schwer damit, die Naturwissenschaftlerin zu akzeptieren oder gar eigene persönliche Interessen uneingeschränkter Loyalität zu opfern. "Ich habe halt keine Connections", klagte sie. Nur ein Vierteljahr nach Essen fügten ihr drei Unionsvertreter großer Koalitionen in den Ländern die erste schwere Niederlage zu: Jörg Schönbohm aus Brandenburg, Eberhard Diepgen aus Berlin und Bernd Neumann aus Bremen verhalfen, gegen Merkels Vorgaben, Kanzler Schröders Steuerreform im Bundesrat zu einer Mehrheit. Die CDU-Vorsitzende war bloßgestellt.

Zwei Jahre später, im Vorfeld der Bundestagswahl 2002, positionierte Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als Hausmacht der Partei, die Fraktion in der K-Frage hinter Edmund Stoiber und gegen die eigene Vorsitzende. Merkel, scheinbar demontiert, ergriff die Initiative und verzichtete von sich aus zugunsten des Chefs der kleineren bayerischen Schwesterpartei - wohl wissend, daß Edmund Stoiber einen schweren Stand gegen den Medienkanzler haben würde.

Nach Edmund Stoibers Niederlage gegen Schröder nahm Merkel Rache: Sie drängte Merz, von RotGrün respektvoll "der klügste Kopf der Union" genannt, aus dem Fraktionsvorsitz - und übernahm ihn selber. Mit diesem Befreiungsschlag hatte Merkel ihren Alleinvertretungsanspruch manifestiert.

Sie untermauerte ihn im März 2004, als sie gegen zahlreiche Vorbehalte in der Partei Horst Köhler als Unionskandidat für die Präsidentschaftswahl gegen den von vielen Unionstraditionalisten gewünschten Wolfgang Schäuble durchsetzte - ein Erfolg, der sich bald schon rechnen sollte: Nach der für die SPD verlorenen Landtagswahl an Rhein und Ruhr vom 22. Mai dieses Jahres verkündete Schröder seinen Neuwahlplan, dem Bundespräsident Horst Köhler über manche verfassungsrechtlichen Bedenken hinweg am 21. Juli sein Plazet gab.

Nur zwei Monate zuvor, am 30. Mai, hatten sich die Präsidien von CDU und CSU darauf verständigt, Angela Merkel zur Kanzlerkandidatin zu küren. An diesem Tag sagte die Pfarrerstochter aus Templin in einer Dankesrede: "Ich will Deutschland dienen ..."


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