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24.09.05 / Wibraukis darf nicht sterben

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. September 2005

Wibraukis darf nicht sterben
von Eva Pultke-Sradnick

Achottchen, Achottchen, jetzt hat der junge Herr Baron sein Gewehr außem Schrank genommen, er wird doch womeglich nich dem Wibraukis erschießen?" Berta, langjährige Vertraute, Köchin und Kalte Mamsell in einem, geriet ganz aus dem Häuschen. Was sollte sie denn nur machen? Der alte Baron fuhr wie jeden Morgen mit dem Wagen über die Felder. Die Baronin war zur Badekur in Bad Pyrmont. Nur sie und das Stubenmädchen waren im Schloß. Jaa, da war noch der Kardel, aber der hatte die Schweine unter sich und zählte für sie nicht - und bis der was begriff ...! Hier war doch überhaupt keine Zeit zu verlieren. Schnell band sie sich die hellgraue Küchenschürze ab, warf sie auf den Stuhl und rannte über den Hof.

Da ging er, der Baron, stocksteif und beleidigt, getroffen bis ins Mark. Und alles bloß, weil Wibraukis, der rotbraune Setter, seiner Jagdleidenschaft erlegen war. Wie war aber auch bloß das Leben? Immer mußte man gehorchen, immer verlangte einer was von einem. Warum sollte da nicht auch mal ein Hund ausrasten? Er hatte den Pfiff seines Herrn einfach überhört, hatte ein bißchen gewildert, ohne zu töten und war gerade erst mit zerzausten Fängen wiedergekommen.

Wibraukis sprang seinem Herrn freudig entgegen, aber er wurde überhaupt nicht beachtet. Der Hund verstand dies und trottete mit hängender Rute schuldbewußt hinterher. Ein Hund muß gehorchen, sagte der Baron immer, sonst taugt er nichts.

Ganz Unrecht hatte Berta nicht. Baron Paul hatte ein aufbrausendes Wesen. Sie rannte fast wie um ihr Leben, nie würde sie es zulassen, daß der schöne Hund für so ein bißchen Freude sterben sollte. Sie japste nach Luft, bekam Seitenstechen, wollte rufen - und sie bekam doch keinen Ton heraus. Endlich hatte sie die beiden erreicht. "Halten zu Gnaden, Herr Baronche, halten zu Gnaden füren Wibraukis", rief sie nach Luft ringend, "der Hund kann doch nuscht dafier."

Ohne zu zögern legte sie die Arme um den Vierbeiner. "Dann erschießen Se mich man gleich mit", rief sie boßig. "Das is doch seine Natur. Sie schießen doch auch auf Hasen und Rehe und manchmal mehr als wie wir brauchen. Nei, nei, der Wibraukis kann nuscht dafier, daß er gewildert hat. Sie haben ihn doch zum Jagen abgerichtet. Na, und nu hat er einmal das getan, was ihm Spaß gemacht hat."

Etwas ärgerlich drehte sich der Baron um. "Was willst, Berta?" Mit hochrotem Kopf stand sie vor ihm. Sie erinnerte ihn an einen Rache-engel. Berta fürchtete im Augenblick weder Tod noch Teufel. Auf beiden Seiten wurden Erinnerungen wach. Sie war zwar nur die Köchin, aber das Gut und das Schloß waren ihr Leben, solange sie denken konnte. Der etwas trutzige Bau war immer Mittelpunkt des Dorfes gewesen. Ihr Vater hatte die Pferde und Kutschen unter sich und ihr Bruder war Stellmacher und für alles Handwerkliche zuständig, was so auf dem Hof anfiel. Sie wußte, daß sie hier ihren Lebensabend verbringen würde, daß für sie immer ein Platz da war. Im Alter würde sie noch auf die Gissel aufpassen können, sie würde Kartoffeln schälen, und vielleicht gab es auch mal wieder ein Baroneßchen oder ein kleines Baronchen zu betreuen.

Als Haus- und Stubenmädchen hatte sie angefangen. Dann war die großartige Hochzeit des jetzt alten Barons erfolgt und bald hatte es einen Stammhalter gegeben. Die junge Mutter war nicht viel älter als sie. Berta war mit Babys und Kleinkindern vom Elternhaus her vertraut. Bald durfte sie dem kleinen Hosenschieter die Windeln wechseln, ihm den Brei kochen und die Zeit vertreiben. All dies ging ihr in diesem Augenblick blitzschnell durch den Kopf. Ihr Paulchen! Wie oft hatte sie ihm die Tränen getrocknet, das Schnoddernaschen geputzt. Obwohl er ein Junge war, hatte sie ihm auf der Wiese Kränze geflochten und aufgesetzt, Kinderlieder vorgesungen, ihm aber auch manchmal den Hosenboden versohlt, wenn er seinen Zorn kriegte. In Gedanken duzte sie ihn immer noch, wenn er auch jetzt der Herr Baron war. Das war schon richtig und mußte so sein. Ob er auch mal so werden würde wie sein Vater? Der hatte immer für einen Zeit, ganz gleich wo man ihn traf. Der hatte für jeden Zeit und half, wenn es nötig war, nicht nur mit Ratschlägen.

Ja, Baron Paul war ärgerlich über seinen Hund. Das durfte nicht vorkommen. Jetzt wollte er mit ihm noch mal auf die Dressur gehen. Seine gute Berta! Sie hatte ihm in seiner Kinderzeit fast so nahe gestanden wie seine Mutter. Obwohl sie nicht schwimmen konnte, war sie ihm, als er im Dorfteich abrutschte, nachgesprungen, sie war ihm immer Zuflucht gewesen. Obwohl er oft ungezogen gewesen war, hatte sie ihn nie verpetzt, aber auch er hatte nie verraten, daß sie ihn versohlt hatte. Sie waren zwei gute Kameraden gewesen. So hatte sie auch früher ausgesehen, mit flammenden zornsprühenden Augen, wenn er etwas berissen hatte.

"Bertake, du warscht doch nich op mi schömpe wölle", fragte er lächelnd. Leichte Rührung überkam ihn. Alt war sie geworden, seine druggelige Berta, der er mit vier Jahren die Ehe versprochen hatte. "Ich kenn doch keine andere als dich."

Er ging auf sie zu, stemmte sie in die Höhe. "Bertake, Bertake, du sullst mi doch kenne. Meenst du denn, öck war mienem Wibraukis dotschieße, bloß weil he mi nich gehoarcht hätt?"

Zwischen beiden blitzte alte Vertrautheit auf. Am liebsten hätte sie ihrem Paulchen über den Kopf gestreichelt, aber das gehörte sich ja nun wirklich nicht. Dafür gab er ihr aber einen Kuß und setzte sie vorsichtig auf die Erde.


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