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24.09.05 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. September 2005

Selber reingelegt / Nur die Dresdner werden später einmal sagen dürfen, daß sie nichts dafür konnten
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Spitzenpolitiker des Landes bezeichneten den Urnengang als "historischen Tag der Selbstbestimmung", an dem endlich das Volk entschieden habe. Er könne das Ende der tiefen Krise einläuten. Vorausgegangen war ein quälender Übergangsprozeß, der nun überwunden sei. Übergriffe habe es nur wenige gegeben, verlautet aus der Hauptstadt, allerdings hatten mächtige Provinzfürsten die Kampagne einiger Kandidaten nach Kräften beeinträchtigt. Ein endgültiges Ergebnis wird leider erst im Oktober erwartet.

Soweit die Zusammenfassung der weltweiten Medienberichte über die Wahlen vom vergangenen Sonntag in - Afghanistan. Abgesehen davon, daß das Wort Wahl-"Kampf" am Hindukusch noch wörtlich zu nehmen ist in dem Sinne, daß mancherorts tatsächlich Blut floß, stimmt es doch nachdenklich, daß derselbe Text haargenau auch auf die deutschen Verhältnisse paßt. Erst im internationalen Vergleich läßt sich halt ermessen, wohin wir gekommen sind.

Einen Unterschied gibt es allerdings: Die Afghanen sind richtig erleichtert, während es den Deutschen schwerfällt, Freude zu finden am bunten Flickenteppich möglicher Koalitionen, der nun vor ihnen ausgerollt wird. Mehr als zwei Drittel sind unzufrieden mit dem Wahlausgang und - das ist immer das Schlimmste - haben nicht einmal jemanden, den sie für das Fias-ko beschimpfen, wir waren es schließlich selber. Allein die Leute aus "Dresden I" können sich kommenden Generationen gegenüber herausreden, daß sie nicht dabei gewesen seien, als dieser Unsinn angerichtet wurde. Das wird ihnen den Haß aller Außerdresdner eintragen, denn nichts macht so bissig wie ein schlechtes Gewissen jemandem gegenüber, dessen Herz rein ist.

Doch, vollkommen trostlos ist die Sache nicht. In unserer verzweifelten Suche nach einem brauchbaren Prügelknaben haben wir wenigstens einen gefunden: die Demoskopen. Tag für Tag haben die uns mit irgendwelchen Zahlen versorgt, die wir verfolgt haben wie Wettsüchtige die Placierungen beim Pferderennen. Die Wahlforscher haben uns glauben lassen, daß sie die ganz heißen Tips auf Lager hätten. Entsprechend schoben wir in Gedanken unser Votum ständig hin und her, um am Ende die denkbar günstigste Konstellation herbeizukreuzen. Und jetzt? Pustekuchen. Die gespreizten Erklärungen der Forscher für ihre falschen Zahlen erregen beinahe Mitleid. Eines der ganz großen Institute stottert allen Ernstes, man habe mit seinen Vorhersagen hinsichtlich der Parteien schon richtig gelegen, nur beim "Verhältnis der Stimmanteile" habe es gehakt.

Solches Gestammel reizt eigentlich zum Nachtreten, letztlich aber kann das nicht hinweghelfen über unser Schuldgefühl. Nein, "früher" war nicht alles besser, aber früher gab es wenigstens Ergebnisse, auch wenn es mal die falschen waren. Und die Wahlkämpfe waren um einiges reizvoller. 2005 haben nicht einmal die Polit-Clowns vom Narrensaum des politischen Spektrums ihre Arbeit gemacht und für ein wenig Spaß und Provokation gesorgt.

Die "Anarchistische Pogo-Partei", kurz APPD, hält sich selbst für witzig, ja regelrecht subversiv. Trauriger Höhepunkt in der Kampagne der welken Punk-Senioren war das Verbot ihres Wahlwerbespots, in dem Sex-Szenen zu sehen waren. In der APPD wurde das Verdikt gefeiert als Beweis, daß man es immer noch draufhat, die "Spießer" aufzuscheuchen. Wir hätten diese armen Tropfe rechtzeitig aus den Spinnweben ihrer Hausbesetzerromantik befreien sollen, um ihnen schonend beizubringen, daß ihr Pornofilmchen so "subersiv" war wie ein Bäuerchen an der Abendtafel und daß Leute, die für solche Streifen Bedarf haben, nur lange genug aufbleiben müssen, um sich den selben Schund im Privatfernsehen anzutun.

Nach diesen wenig erbaulichen Aufführungen kann die Deutschen nichts mehr schrecken, bis auf eines: Die beklemmende Aussicht, alsbald schon wieder an die Urnen gerufen zu werden. Da gar nichts mehr ausgeschlossen ist, muß auch mit dieser Möglichkeit gerechnet werden. Da müssen wir natürlich alle an Weimar denken, wo die Deutschen dermaßen oft in die Wahllokale hecheln mußten, daß im November 1932 jeder Dritte von ihnen dem Mann seine Stimme gab, der versprochen hatte, daß mit der lästigen Wählerei unter seiner Regie ein für allemal Schluß sei. Die Furcht vor der "Wiederkehr der Geschichte" wird indes von der täglichen Praxis schnell zerstreut. Gestern war Politik bloß die Sache von "denen in Berlin", seit Sonntag hat sich selbst der entlegenste Dorftresen zum Außenbezirk des Regierungsviertels gemausert. Ist das kein Signal einer lebendigen Demokratie? Überall werden Koalitionen und Szenarien verhandelt wie sonst nicht mal im "Presseclub". Nicht wenige wollen sogar ganz etwas Neues ausprobieren wie die jamaikafarbene Schwampel.

Die CDU-Chefin selbst möchte anderen Gerüchten zufolge lieber auf bewährte Weise in die Kanzlerwahl gehen: Einfach antreten und sich beim dritten Wahlgang mit der einfachen Mehrheit von Union und FDP in den Kanzlersessel setzen lassen. Das wäre tatsächlich die simpelste Lösung. Nach den Einzelheiten des Prozederes kann sich Angela Merkel ja vorher bei Heide Simonis erkundigen.

Allerdings sollte niemand den amtierenden Kanzler unterschätzen. Sobald er vom Sonntagsrausch vor der Elefantenrunde genesen ist, wird sein altes Pokertalent neu erwachen. Risikospielchen wie so ein Wahlmarathon im Reichstag sind genau seine Sache. Man hört ihn förmlich lachen. Er hat allen Grund: Bislang sind sie noch alle auf ihn reingefallen. Schröder sieht es schon vor sich mit wachsendem Appetit, wie Widersacherin Merkel nach einem neuerlichen Desaster in die Löwengrube der CDU-Landesfürsten plumpst und zerrissen wird. Emsig an ihr herumgenagt hatten sie ja schon den ganzen Wahlkampf über.

Der Kanzler würde es sich nicht nehmen lassen, der Gefallenen noch ein spöttisches Nachwort hinterherzuwerfen. Weiß er doch nur zu genau, daß die Unionswähler nach den Erfahrungen mit dem vergangenen Wahlkampf unter allen Parteigängern die heftigste Neigung verspüren dürften, die Urnen das nächste mal zu meiden.

Zeichnung: Götz Wiedenroth


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