23.04.2024

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01.10.05 / Abschied auf Raten

© Preußische Allgemeine Zeitung / 01. Oktober 2005

Abschied auf Raten
von Clemens Range

Im politischen Berlin tobt ein Nervenkrieg. Es wird sondiert und taktiert. Das Ende dieses Machtpokers ist auch nach der Dresdener Wahl an diesem Sonntag nicht terminiert. Keiner mag es prophezeien, daß als Ergebnis des harten Machtkalküls eine regierungs- und handlungsfähige Koalition entstehen wird - und doch ist sie wahrscheinlicher geworden.

Klar ist, drei von fünf Parteien - FDP, Grüne und die Linkspartei - sind auf Kurs in die Opposition. Klar ist ebenfalls: Die Union hat in der Wahl mehr als 400000 Stimmen Vorsprung vor der SPD, sie ist die stärkste Fraktion, sie muß die Kanzlerin stellen. Angela Merkel wünscht eine "Regierung der Erneuerung". Und die Union operiert plötzlich strategisch, indem sie das Gesetz des Handelns an sich gerissen hat und Druck auf die SPD ausübt.

Auch wenn das Lagebild weiterhin diffus bleibt, so gilt es, diese Fakten richtig zu bewerten: Zwei sozialdemokratische Landeschefs, Bremens Bürgermeister Henning Scherf und der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, beide keine politischen Leichtgewichte, forderten ihre Partei auf, Koalitionsgespräche mit der Union ohne vorherige Festlegung auf Schröder als Regierungschef zu führen. Als Sekundanten sprangen ihnen die beiden SPD-Fraktions-Vizevorsitzenden Gernot Erler und Michael Müller bei.

Der Druck auf Schröder aus den eigenen Reihen wächst. Gewiß hat der Kanzler nach einer miserablen Ausgangsposition für seine Partei noch ein relativ gutes Wahlergebnis eingefahren. Er hat damit vor allem eine gleiche Augenhöhe mit der CDU erreicht. Doch durch seinen Macho-Anfall am Wahlabend und sein nachfolgendes selbstherrliches Verhalten begann er sich zu demontieren. Die SPD-Führung ist klug genug zu erkennen, daß Schröders Agieren der Partei schadet. Die Angst vor Neuwahlen ist immens, denn die Bürger würden Schröder jetzt nicht nur als Hauptverantwortlichen für sieben weitestgehend erfolglose Jahre rot-grüner Politik ihre Quittung präsentieren, sondern ihn auch für sein arrogantes Verhalten als sozialdemokratischer "Sonnenkönig" abstrafen.

Die SPD will indes keinen absoluten Machtverlust hinnehmen. Viele ihrer Repräsentanten sind deshalb gewillt, den Weg des Kompromisses zu schreiten - um der weiteren Machtteilhabe willen.

Selbst der siegestrunkene Kanzler Schröder scheint mittlerweile dank des Drucks wieder in der harten Politik-Realität gelandet zu sein. Nur so erklären sich seine Worte, er wolle "alles dafür tun, daß die große Koalition zustande kommt". Wer zwischen den Zeilen liest, kann bei dieser Aussage des herrschsüchtigen Schröder einen ersten zaghaften Verzicht auf persönliche Machtansprüche heraushören. Ein Abschied auf Raten.

Es bleibt zu hoffen, daß spätestens nach der Dresden-Wahl die Verhandlungen zwischen Union und SPD entspannter verlaufen und rasch zu einem Ergebnis führen. Schröder, der sich stets gerne staatsmännisch gibt, hat den Schlüssel dazu in der Hand. Ein letztes Mal sollte er die ihm so liebgewonnene Rolle spielen und - ganz staatsmännisch - zum Wohle Deutschlands den Weg ins Kanzleramt endlich freimachen. Deutschland wartet.


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