25.04.2024

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01.10.05 / Aus besten Kreisen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 01. Oktober 2005

Aus besten Kreisen
von Robert Jung

Geschäftsreisender zu sein, ein schwieriges Ding! Überall heißt es, Kontakte zu suchen, immer lächeln, niemandem auf die Füße treten und so fort ... Niemand macht sich eine Vorstellung davon, wie viele Orte, Gutshöfe, Bahnhöfe, Wirtschaften, Gesichter und anderes mehr man sich einzuprägen hat. Es ist einfach zum Auswachsen!

Aber dann - nach wochenlanger, ermüdender Geschäftstour - geht es endlich heimwärts. In behaglicher Stimmung schlendert man auf dem Bahnsteig hin und her. Und plötzlich wird man angesprochen, von einer Dame, einer ansprechenden Erscheinung. Offensichtlich aus besseren Kreisen. Natürlich lüftet man sofort den Hut und inszeniert das verbindliche "Kundenlächeln".

Diese "Dame aus den allerbesten Kreisen" kam mir allerdings bekannt vor. Ich mußte ihr schon begegnet sein. Aber wo? Wo nur? Im Fluge hatte ich fast alle Orte meiner Geschäftsreise gemustert, doch nichts! "Wie geht es Ihnen, Herr Dotterweil?" säuselt sie. "Danke, recht gut. Und Ihnen? Alles wohl daheim?" - "Gott sei Dank, ja!" - "Sie sind doch Frau Nina, nicht wahr?" - "Nein, Lina, Herr Dotterweil!" Ein zweites Mal darfst du dich nicht bei der Schönen blamieren, geht es mir durch den Sinn. So rede ich vom Wetter und anderem mehr. Quietschend kommt schließlich der Zug zum Halt. Als Kavalier schleppe ich der Dame die vier schweren Koffer bis ins Abteil. Mit gnädigem Lächeln hat sie es erlaubt. "Danke, Herr Dotterweil. Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin!" Ihr Zug fährt ab. Meiner etwas später. Immer noch grüble ich über meine Begegnung nach. Nirgends fand sich ein Nagel, an den das Bild der Dame gehörte.

Daheim angekommen, stiefle ich die Treppe zur Wohnung hinauf. Plötzlich bleibe ich betroffen stehen. Das Treppengeländer gibt mir einen Halt. Hell wird's in meinem Kopf. Aber mein Gesicht wird immer länger und länger. Hier - auf dieser Treppe - hatte ich die holde Schöne zum letzten Mal gesehen. Wie Schuppen fällt es mir von den Augen: Die Lina war es, unsere Perle, das Mädchen, die dreimal verflixte Diebin, die mit dem Nerzmantel meiner Frau durchgebrannt war! Und ich war auch noch stolz darauf gewesen, ihre Koffer schleppen zu dürfen.


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