29.03.2024

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01.10.05 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 01. Oktober 2005

Helden und Halunken / Die deutsche Krise ist auch eine Chance, die ein "Finanzinvestor" gern ergriffen hätte
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Überall drohen Klippen, dumpfes Gerumpel dringt bereits aus dem Schiffsbauch nach oben - die Passagiere wissen: Es wird gefährlich! Dutzende von ihnen sind schon über die Reling gesprungen, um sich auf andere Schiffe zu retten, andere huschen panisch über's Promenadendeck auf der Suche nach Schwimmwesten. Unterdessen prügeln sich auf der Brücke zwei Kapitänsanwärter um die Frage, wer das Ruder übernehmen oder wenigstens "Alle Mann über Bord!" rufen darf.

Deutschland im Nebel, nirgends ein Anhaltspunkt. Nur auf die feste Entschlossenheit der Spitzenpolitiker, ihr persönliches Fortkommen vor das des Landes zu stellen, haben wir seit der Wahl eine herrlich klare Sicht wie selten. Die Warnung der Europäischen Union Ende vergangener Woche, daß unser Bundeshaushalt völlig aus dem Ruder sei und Deutschland mit Milliardenstrafen zu rechnen habe, geht im Berliner Kandidatengerangel völlig unter. An der deutschen Hauptstadt prallte die Brüsseler Drohung einfach ab.

"Kommt später wieder, vielleicht nach der Dresdenwahl, da schauen wir mal. Im Moment haben wir zum regieren keine Zeit, wir müssen um unsere Karrieren kämpfen" - so hätte Berlins Replik auf den Nasen- stüber von der EU lauten können, wenn es überhaupt eine gegeben hätte. Denn abgesehen von dem lapidaren Hinweis eines deutschen Finanzstaatssekretärs, daß man bei der EU eben anders rechne als im Hause Eichel, regte sich nichts. Derart stoisch benehmen sich Leute gegenüber dem Gerichtsvollzieher, bei denen sowieso nichts mehr zu holen ist.

An Talfahrt und Untergang haben sich die Deutschen eigentlich gewöhnt. Mehr noch: Wenn nicht alles täuscht, beginnen sie sogar einen morbiden Gefallen am Desaster zu entwickeln. Film und Fernsehen haben bekanntlich ein feines Näschen für die geheimen Sehnsüchte des Publikums. Dem steht der Sinn offenbar ganz klar nach Katastrophe.

Diesen Donnerstag ließ Pro7 daher einen Tsunami die Insel Sylt schlucken. Am 4. November überkommt uns die ARD mit der Erinnerung an Hamburgs Flutnacht 1962 und abermals Pro7 tüftelt bereits an einem "Tornado", der Berlin planieren soll. Eine geschmacklose Anspielung auf die jüngsten Tragödien in den USA kann das alles nicht sein, da mit den Planungen lange vor "Katrina" und "Rita" begonnen worden war.

Es sei gar nicht der Reiz am Untergang, der die Leute in den Bann schlage, behaupten die Filmemacher. Nein, große Katastrophen seien die Zeit, in der sich normale Leute als wackere Helden entpuppten. Und genau die wollten die Deutschen jetzt sehen. Und welche Rolle käme den Politikern zu in diesem heroischen Kampf Mensch gegen Element? Nun, selbstlose Helden sind sie gewiß nicht, eher schon legt sich die Parteipolitik derzeit über's Land wie muffiges Brackwasser, das nach der Flut zurückbleibt und alles Leben unter sich langsam verrotten läßt.

Im Ausland breitet sich tiefe Sorge aus über Deutschland. Die Krokodilstränen, welche unsere Konkurrenten in aller Welt über die deutsche Krise vergießen, würden zur Monsterwelle zusammengegossen ausreichen, um Sylt von der Karte zu fegen.

Aber so eine Krise bietet ja auch Chancen - für strahlende Helden ebenso wie für Halunken. In New Orleans waren es die Plünderer, die als erste erkannt hatten, welche enormen Möglichkeiten ihrer Branche aus dem Fiasko der Stadt erwachsen waren. Plünderer treiben sich in allen Gesellschaftsschichten herum. Je nach Einkommensklasse bezeichnet man sie als gewöhnliche Diebe oder als versierte "Finanzinvestoren".

Letztere Spezies ist im anglo-amerikanischen Raum zu höchster Blüte gereift. Ein Mitglied der Bande hatte bereits die Messer gewetzt, um sich ein ordentliches Stück Deutschland, den VW-Konzern, herauszuschneiden, zu tranchieren und anschließend gewinnbringend zu verschachern. Alles war vorbereitet. Doch dann kam ihm unversehens ein anderes deutsches Unternehmen namens Porsche in die Quere und vereitelte den Coup.

Die angelsächsische Finanzwelt schäumt vor Wut über die vermasselte Gelegenheit zum Beutemachen. Die britische Presse gibt der Rage ihren Ausdruck: Der Einstieg von Porsche bei VW ein "lächerlicher und extremer Deal" ätzt der Londoner "Guardian". Es sei "unglaublich", schreibt die "Financial Times", daß das "deutsche System" eine "deutsche Lösung" für VW "toleriert".

Das verstehen Sie nicht? Wie auch? Das ist eben Seeräuberlogik, in die wir uns erst hineinversetzen müssen, um den Ingrimm nachzuvollziehen. Sie wähnten die Früchte ihres nächsten Fischzugs schon in trockenen Tüchern, da haben ihnen die Deutschen die Stadttore vor der Nase zugeschlagen. Jetzt hocken sie draußen und schimpfen wie die Rohrspatzen, denn verschlossene Tore sind für die Freubeuter keine legitime Schutzmaßnahme, sondern schlicht eine Unverschämtheit, ins Zeitgenössische übersetzt: "Protektionismus".

Natürlich würden die Angelsachsen das Etikett "Freibeuter" energisch von sich weisen. Das sei keine Räuberei, sondern so liefen halt die Gesetze des freien Marktes: schlucken, zerschlagen, wegschmeißen. Und wehe es geht einer dazwischen. Nach diesen Gesetzen ist es beispielsweise Teufelswerk, daß europäische Regierungen einst per Anschubfinanzierung den Flugzeugkonzern Airbus aus dem Boden gestampft haben. Auch das verstieß gegen die Marktgesetze, im konkreten Fall heißt das: gegen die Interessen des US-Herstellers Boeing. Die in eigenartiger Regelmäßigkeit an Boeing gehenden US-Regierungsaufträge dienten hingegen der nationalen Sicherheit.

Daß wir Europäer den Unterschied zwischen alten Subventionen und neuen Staatsaufträgen nicht kapieren, ist unser Problem. Dafür sind die USA eben Weltmacht. Daher wäre ein ausländischer Versuch, Boeing zu schlucken, nun auch ganz anders zu betrachten als die Zerschlagung von VW. Der Weltmarkt ist ein Dschungel, in dem nur der überlebt, der schritthält mit dem ständigen Wechsel der Spielregeln.

 

"Och, nun guck doch mal, wie schön ich das mache!" Zeichnung: Götz Wiedenroth


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