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08.10.05 / Verhandeln heißt aufnehmen / Stunde der Wahrheit in der EU: Warum Österreichs Einspruch zur Türkei solchen Widerstand fand

© Preußische Allgemeine Zeitung / 08. Oktober 2005

Verhandeln heißt aufnehmen
Stunde der Wahrheit in der EU: Warum Österreichs Einspruch zur Türkei solchen Widerstand fand
von Hans Heckel

Der urprüngliche Vorschlag Wiens, in den Prozeß der EU-Aufnahmeverhandlungen mit der Türkei von Anfang an einen "Plan B" einzubauen, der etwas anderes ermöglicht als die volle Mitgliedschaft, hat für eine Klarheit gesorgt, die den Akteuren der übrigen 24 Regierungen ebensowenig lieb sein kann wie der Brüsseler Kommission. Die Bürger Europas reiben sich die Augen: Alle Staatschefs, Außenminister und EU-Repräsentanten in Brüssel versichern Tag für Tag, daß die Konsultationen mit Ankara "ergebnisoffen" verlaufen sollten. Mit anderen Worten: daß gar nicht feststehe, ob am Ende die EU-Mitgliedschaft der Türkei herauskomme. Gleichzeitig betonen sie, wie wichtig gute Beziehungen zum Land am Bosporus in jedem Falle seien - unabhängig von seiner EU-Aufnahme.

Österreich hatte daraus den einzig logischen und verantwortungsbewußten Schluß gezogen: Wenn die Türkei dauerhaft so wichtig ist, das Ende der Aufnahmeverhandlungen aber jahrelang offenbleiben soll, dann müssen sich die EU-Regierungen schon heute überlegen, welchen Weg des Miteinanders mit Ankara sie einschlagen wollen, wenn dessen Aufnahme scheitert. Schließlich wäre es ein Hasardspiel, in "offene Verhandlungen mit der Möglichkeit des Scheiterns" (so der ehemalige EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen) zu gehen, ohne sich eine konstruktive Alternative bereitzuhalten.

Durch die Reaktionen auf diese österreichische Intervention aber ist zutage getreten, was Millionen von EU-Bürgern längst ahnten: Die Behauptung, der Ausgang der Beitrittsverhandlungen sei "offen", diente von Anfang an allein zur Beruhigung der Europäer. Härter ausgedrückt: Sie war schlicht Heuchelei. Österreichs Vorstoß störte, weil schon heute kein anderes Ergebnis als die Aufnahme der Türkei als vollwertiges EU-Mitglied feststehen soll. Wäre es anders, so hätten die Beteiligten den Wiener Vorschlag dankend annehmen müssen.

Hier setzt sich eine unheilvolle Tradition fort, von der man hoffte, daß sie nach dem Debakel um die gescheiterte EU-Verfassung überwunden sei: Statt den Völkern reinen Wein einzuschenken und sie wirklich zu überzeugen, versuchen Politik und EU-Bürokratie die Menschen zunächst propagandistisch einzulullen und dann zu überrumpeln, um die von oben gewünschte Entscheidungen durchzudrücken.

Nach diesem Muster verlief auch die Einführung des Euro. Zunächst wurde Anfang der 90er Jahre beschwichtigend darauf verwiesen, daß die eigentliche Entscheidung zur Einheitswährung ja noch lange nicht gefallen sei und die Bürger sich nicht über ungelegte Eier erregen sollten. Als der Beschluß schließlich gefallen war, versprachen die Verantwortlichen feierlich, daß an der Euro-Währung nur solche Länder teilnehmen dürften, welche "die vertraglich vereinbarten Mindestkriterien strikt erfüllen". Wie heute bekannt und unbestritten ist, haben etliche Staaten ihre Haushaltsdaten für das Stichjahr 1997 aber eifrig manipuliert, um die Kriterien zu umgehen - passiert ist daraufhin nichts. Italien beispielsweise verschob Ausgaben ins folgende Jahr, Deutschlands Finanzminister Theo Waigel versuchte, mit Hilfe einer Höherbewertung der Goldreserven der Bundesbank Einnahmen zu verbuchen, die gar nicht existierten und Griechenland gab, wie sich erst sehr viel später herausstellte, hemmungslos gefälschte Zahlen an. Wie es heute um den "Euro-Stabilitäts-pakt" steht, ist fast täglich den Medien zu entnehmen.

In der Türkeifrage sollte offenbar ebenso vorgegangen werden. Nur diesmal tanzte ein Land vorübergehend aus der Reihe und ließ auf diese Weise den Schwindel auffliegen. Der Plan der Beitrittsbefürworter ist leicht durchschaubar: Erst einmal wird jahrelang verhandelt. Mit dem Hinweis auf die fortschreitenden "Erfolge", die man in dieser Zeit erzielt, werden Versuche, den Gang der Dinge noch aufzuhalten, vom Tisch gewischt. Man könne den "Prozeß nun nicht mehr stoppen" ohne "beträchtlichen Schaden an Europa" anzurichten, wird es dann heißen. Stets würde auch auf die "strikten Kriterien" verwiesen, ohne deren Erfüllung durch Ankara die Aufnahme der Türkei nicht möglich sei. In Wahrheit wären diese Kriterien bloße Kulisse. Noch nie haben EU-Beitrittsverhandlungen, die nicht schon im Vorfeld gescheitert waren, nicht zur Aufnahme des Kandidaten geführt.

Verräterisch ist, daß die Beitrittsbefürworter Wien zum Vorwurf machten, daß es bei früheren Verhandlungsrunden zugestimmt habe und nun plötzlich störrisch geworden sei. Damit enthüllen sie bereits in diesem frühen Stadium, daß jede der angeblich ergebnisoffenen Konsultationen jeweils nur als Etappe im vorbestimmten Fortgang des Beitrittsprozesses konzipiert war, daß in Wahrheit nie etwas "offen" gewesen ist.

Das Einlenken Österreichs wird indes nicht bloß diesen EU-typischen Prozeß abermals in Gang setzen. Auch die Art, wie die Einwilligung Wiens erkauft wurde, entspricht der schlechten alten Brüsseler Tradition des Kuhhandels. Daß die Zustimmung Österreichs zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erkauft wurde mit dem Verhandlungsversprechen an Kroatien, wird nicht einmal bestritten.

Zum Nachdenken regt hierbei der plötzliche Auftritt der Chefanklägerin beim Haager Kriegsverbrechertribunal der Vereinten Nationen, Carla del Ponte, an. Seit Mai, so verkündete sie vergangenen Montag, habe Zagreb mit ihr ordentlich kooperiert. Der Mangel an guter Zusammenarbeit mit dem Tribunal war insbesondere von seiten Großbritanniens und Frankreichs als Vorwand benutzt worden, um im März dieses Jahres die EU-Aufnahmeverhandlungen mit den Kroaten auf Eis zu legen. Es ging angeblich um den kroatischen General a.D. Ante Gotovina, dem del Ponte Kriegsverbrechen während des serbisch-kroatischen Kriegs vorwirft. Zagreb machte geltend, daß es über dessen Verbleib keine Kennntnis habe. Das UN-Tribunal erklärte dies für unglaubwürdig.

Warum nun tritt del Ponte ausgerechnet jetzt auf den Plan, um diese Londoner und Pariser Bedenken beiseite zu schieben? Warum hat sie all die Monate, in denen die Zagreber Regierung angeblich bereits kooperationsbereit war, geschwiegen? Österreich versteht sich als Anwalt der Kroaten; die USA sind massiv an einer EU-Mitgliedschaft der Türkei interessiert und haben bis zuletzt entsprechend Druck gemacht. Die UN-Chefanklägerin mag nun noch so sehr ihre Unabhängigkeit hervorkehren. Die Abfolge der Ereignisse wirft den Verdacht auf, daß sie sich hat benutzen lassen im Ränkespiel der Mächte. Damit wirft der Handel vom Anfang der Woche nicht nur ein schales Licht auf die Verfaßtheit der EU, sondern auch auf den inneren Zustand der Uno und ihrer Organe.

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