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08.10.05 / Liebevolles Spiel mit Klischees / Verfilmung einer Grass-Erzählung über einen deutsch-polnischen Versöhnungsfriedhof

© Preußische Allgemeine Zeitung / 08. Oktober 2005

Liebevolles Spiel mit Klischees
Verfilmung einer Grass-Erzählung über einen deutsch-polnischen Versöhnungsfriedhof
von Rebecca Bellano

Im Herbst 1989 reist der Kunsthistoriker Alexander Reschke aus beruflichen Gründen nach Danzig. Die gesuchte Grabinschrift kann er in der Marienkirche jedoch nicht entdecken. Frustriert schlendert er durch die Altstadt und wird von seinen Kindheitserinnerungen übermannt, denn Alexander lebte bis zu der Flucht seiner Familie Ende des Zweiten Weltkrieges in der Hansestadt. Mitten in seinen Gedanken versunken rempelt er eine Frau seines Alters an. Nach wilden Beschimpfungen beruhigen sich jedoch beide und kommen ins Gespräch. Aleksandra Piatkowska, eine polnische Restauratorin, bietet dem Deutschen sogar an, ihm die Straße zu zeigen, in der einst sein Elternhaus stand. Schon auf dem Weg dorthin erzählt Aleksandra, daß auch sie mit ihrer Familie vertrieben wurde, denn sie ist gebürtige Litauerin aus Wilna.

Eigentlich scheint jetzt alles auf eine Liebesgeschichte hinauszulaufen, doch hier handelt es sich um einen Film, der auf einer Erzählung von Günter Grass basiert, und Grass wäre nicht Grass, wenn er sich mit einfachen Liebesgeschichten zufriedengeben würde. "Unkenrufe - Zeit der Versöhnung" - so der Titel von Buch und Film - ist nämlich neben Liebesgeschichte auch Satire mit schwarzem Humor und politisch motiviert. Alexander und Alksandra verlieben sich nämlich nicht nur ineinander, sie haben auch die Idee, einen Versöhnungsfriedhof in Danzig zu errichten, der es Vertriebenen möglich macht, in ihrer Heimaterde zur letzten Ruhe gebettet zu werden. Überraschend schnell nimmt die Idee Gestalt an, Aleksandra findet einen katholischen Pfarrer, einen sozialistisch geprägten städtischen Angestellten und einen polnischen Vizebankdirektor, Alexander einen evangelischen Pastor, einen kapitalistischen Bauunternehmer und den Bund der Vertriebenen, die sich für die Idee begeistern können. Spätestens hier greift Grass tief in die Klischeekiste. Alle neu zum Friedhofsprojekt hinzugekommenen Personen entsprechen voll und ganz dem, was man von Personen in ihrer Stellung erwartet. Doch bei allen Unterschieden eint sie eines: Sie erkennen, daß man mit dem Projekt Geld machen kann. So gerät die Versöhnungsidee immer weiter in den Hintergrund und wird immer mehr zur Kroteske. So mutet es beispielsweise ziemlich makaber an, als Alexander auf eine Gruppe deutscher Heimwehtouristen zeigt und meint: "Oh, die sind bald unsere Kunden".

Von Anfang bis Ende des Films taucht immer wieder eine Unke auf, die eine unheimliche Atmosphäre schafft und Unglück prophezeit. Den menschlichen Gegenpart der Unke stellt Erna Brakup dar, eine deutschstämmige Danzigerin, deren Mann und Kinder in der Nachkriegszeit an Hungertyphus starben und auf dem Gelände beerdigt sind, auf dem der Versöhnungsfriedhof entsteht.

Die urige Figur der Erna ist von Anfang an sympathisch. Sie durchschaut als einzige, zu was die Versöhnungsidee mutiert, und versucht alles in die richtige Richtung zu lenken, doch man läßt ihr nur die Beobachterrolle.

Aber nicht nur Erna, sondern auch das Liebespaar erkennt, daß ihr gutgemeintes Projekt ins Absurde übergeht. Sie entscheiden sich für den Ausstieg.

"Es gelingt dem Film, ein ernstes Thema heiter zu behandeln, ohne Schwere ... der Film bewahrt das Spiel mit den jeweiligen Klischeevorstellungen", urteilte Grass über die Verfilmung seines Buches. Natürlich merkt man auch durchgehend, daß Grass in "Unkenrufe" ein Thema behandelt, dem er zwiespältig gegenübersteht. Einerseits hat er als Danziger die Vertreibung selbst erlitten, andererseits hält er nichts von dem ganzen "Heimwehgejammer" und den Landsmannschaften.

Dafür, daß der Film nicht gegen die Interessen der Vertriebenen agiert, spricht auch die Tatsache, daß Matthias Habich (Alexander Reschke) und Dorothea Walda (Erna Brakup) mitspielen. Matthias Habich ist selbst mit seiner Mutter 1945 aus Danzig vor der Roten Armee geflüchtet und hat erlebt, wie sehr seine Mutter unter dem Verlust der Heimat litt, Dorothea Walda wurde 1931 in Breslau geboren und ist in der Landsmannschaft Schlesien aktiv.

Natürlich ist "Unkenrufe" ein echter Grass, und der mag es bekanntlich deftig. Gleichzeitig gelingen ihm aber auch die sanften Töne, die vor allem von dem deutsch-polnischen Liebespaar eindrucksvoll umgesetzt werden. Aber auch die anderen Darsteller, unter ihnen auch Joachim Krol, Mareike Carriére und Meret

Becker, glänzen in der deutsch-polnischen Produktion. Einzig die Szenen der Rückblicke in die 40er Jahre wirken extrem inszeniert.


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