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08.10.05 / Kontrapunkt zur "political correctness" / Zum 50. Geburtstag der Bundeswehr werden deren öffentliche Wahrnehmung und Standing hinterfragt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 08. Oktober 2005

Kontrapunkt zur "political correctness"
Zum 50. Geburtstag der Bundeswehr werden deren öffentliche Wahrnehmung und Standing hinterfragt

In vier Wochen wird die Bundeswehr ein halbes Jahrhundert alt. Einen Kontrapunkt zu offiziellen Festschriften setzt jetzt der in Berlin und Hamburg lebende Autor Clemens Range mit einem Buch, das alle Anlagen trägt, Streitschrift zu werden und die "political correctness" nachhaltig zu stören; sein Titel: "Die geduldete Armee - 50 Jahre Bundeswehr".

Range, Jahrgang 1955, lange Jahre Experte für wehr- und sicherheitspolitische Themen bei der "Welt", später Sprecher des Deutschen Atomforums und des Bundesverbands Mittelständische Wirtschaft in Berlin, derzeit Chefredakteur der PAZ, liefert neben einem opulenten Abriß über ihre Geschichte vor allem eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Stellenwert, den sich die Bundeswehr in der bundesrepublikanischen Gesellschaft von der Adenauerzeit über die Wiedervereinigung bis zu Balkan und Sudan erkämpfen mußte. In weiten Teilen ein hochinteressanter, lesenswerter Insider-Report, denn der Autor diente selber bis zum Oberstleutnant der Reserve, war zuletzt Kommandeur eines Panzergrenadierbataillons. Kurz nach dem Millenium verließ er die Bundeswehr - nach eigenem Bekunden eines von ihm ausgemachten "Kulturkampfes zwischen rechts und links" in deren Führung und politischem Umfeld überdrüssig geworden.

Thesen und Provokationen, Wahrheiten und Überzeichnungen, Schärfen und Unschärfen fügen sich in "Die geduldete Armee" zu einer Bilanz, die sich passagenweise zwischen Aufrechnung und Abrechnung bewegt. Manche Ausführungen kommen dabei als sehr persönliche Werteskala des Autors siriusfern dessen daher, was man auf der Hardthöhe und im Bendlerblock zum 50. Geburtstag hören oder lesen möchte:

• "Mehrere deutsche Armeen wie die preußische, sächsische, bayerische oder württembergische konnten auf eine ruhmvolle Existenz zurückblicken. Die Bundeswehr ist, wie auch die Reichswehr und Wehrmacht, ein Glied in dieser langen Traditionskette."

• "Niemals zuvor gab es in der deutschen Geschichte eine Armee, die so lange wie die Bundeswehr an keinem kriegerischen Einsatz beteiligt war. Stolz kann sie deshalb für sich in Anspruch nehmen, allein durch ihre Existenz während des fast 40 Jahre dauernden Kalten Krieges den Frieden durch Abschreckung erhalten zu haben. Etwa zehn Millionen deutsche Männer machten dies möglich."

• "Das Fundament zur Auftragserfüllung ist der Geist der Truppe. Erst danach kommen Bewaffnung und Ausrüstung."

• "Die Armee wird mit halbem Herzen begleitet, sie ist geduldet, aber nicht geachtet, sie wird vorgezeigt, aber nicht gewürdigt oder gar geliebt."

• "Die Gesellschaft offenbarte von Mitte der 60er Jahre an ein dramatisch gestörtes Verhältnis zu Patriotismus und nationaler Identität. Alles Militärische wurde betont abgelehnt, bisweilen sogar militant bekämpft ... Die Politik gefiel sich darin, die Deutschen in eine durch und durch pazifistische Gesellschaft umzuerziehen."

• "Im inneren Gefüge der Armee wurde von Anfang an ein neuer Typ des Soldaten gefordert: nicht der kämpfende Krieger war erwünscht, sondern der zivil auftretende Bürger-Soldat ... Die Armee paßte sich geradezu unterwürfig der zivilen Industriewelt an und warb für sich wie ein Chemiekonzern: Die Soldaten produzierten nun Sicherheit, der Soldatenberuf wurde zu einem Job wie jeder andere degradiert."

• "Seit Mitte der 90er Jahre wird die Bundeswehr stärker denn je für nicht klar definierte politische Ziele im Rahmen internationaler Vereinbarungen genutzt. Um endlich einen Platz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erhalten zu können und im Konzert der Mächtigen mitspielen zu dürfen, erbringt Deutschland seit Jahren aufwendige Vorleistungen und wurde zu einem der größten Truppensteller bei UN-Einsätzen. Die Bundeswehr wird für dieses politische Machtstreben instrumentalisiert. Gleichzeitig erfolgte die Abkehr von ihrer ureigensten Hauptaufgabe, der nationalen Landesverteidigung ... Der patriotische Kämpfertyp wird heute nicht so recht gewünscht. Vielmehr scheint gewollt, daß deutsche Soldaten in ihren Auslandseinsätzen vor allem Polizeiaufgaben wahrnehmen und so etwas wie uniformierte Entwicklungshelfer sind. Zweifelsfrei leisten sie viel und erfreuen sich einer internationalen Wertschätzung, doch ist fraglich, ob dies Aufgaben einer klassischen Armee sind."

• "Die wenigen Wehrpflichtigen erfüllen nur noch eine Feigenblatt-Funktion. Denn die Führung kann weiterhin offiziell erklären, an dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht festzuhalten. Tatsächlich aber sind die Wehrpflichtigen längst zu Soldaten zweiter Klasse geworden. In den Planungsstäben des Verteidigungsministeriums wird mit ihnen kaum noch ernsthaft gerechnet."

• "Wenige Jahre nach der Wiedervereinigung wurden militärische Traditionen als Belastung empfunden. In den Kasernen begann ein regelrechter Bildersturm. Fotos, Gemälde, Uniformen, die aus der Wehrmachtszeit, aber auch aus früheren Epochen stammten, wurden systematisch aus den Unterkünften entfernt, Kasernen umbenannt. Der innere Wandel vollzieht sich in äußerst subtiler Form. War schon in den Jahren des Kalten Krieges der Typ des zivilen Soldaten gewünscht, so wird die Bundeswehr inzwischen systematisch entmilitarisiert ..."

• "Die Gegner der Bundeswehr haben längst begriffen, daß man die Legitimation der heutigen deutschen Streitkräfte in Zweifel ziehen kann, indem ihre historischen Vorläufer diffarmiert werden."

• "Anders als die Streitkräfte der Bündnispartner USA, Großbritannien oder Frankreich ist die Bundeswehr eine Armee ohne geschlagene Schlachten. Dies hat Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl - auf den Geist der Truppe. Ein Korpsgeist indes fehlt. Doch Korpsgeist gehört nun einmal zu einer bewaffneten Macht. Die Tugenden des Kampfes sind nicht obsolet geworden - dies gilt auch für die Bundeswehr."

Das Buch und sein Autor laufen ob der apodiktischen Sprache gelegentlich Gefahr, als deutsch-national mißverstanden zu werden - was beide belegbar nicht sind. Ranges zentrales Anliegen ist es, öffentliche Wahrnehmung und Standing der Truppe zu hinterfragen und (auch wenn er es expressis verbis nicht schreibt) von Normalnull substantiell nach oben in Richtung gesellschaftliche Relevanz zu führen. Als Mitstreiter und Kronzeugen, moderater als der Autor selber, konnte Range für ein Geleitwort zur "Geduldeten Armee" General a. D. Dr. Günter Kießling gewinnen. Kießling war einst Galions-, dann tragische Figur der Bundeswehr, zwischen 1982 und 84 stellvertretender Oberster Befehlshaber der Nato-Streitkräfte Europa und am Ende seiner Karriere unschuldiges Opfer einer Doppelgänger-Intrige im Kölner Rotlichtmilieu, die der Bundeswehr, deren wohl liberalster Kopf Kießling in seiner aktiven militärischen Zeit war, annähernd soviel Aufmerksamkeit bescherte wie einst die "Spiegel"-Affäre. Kießling schreibt zum 50. Jubiläum: "Da wird es Tagesbefehle und Reden der Repräsentanten unseres Staates geben und auch nicht an Lippenbekenntnissen zur Allgemeinen Wehrpflicht fehlen. Das dürfte kaum etwas daran ändern, daß diese Bundeswehr ein wenig geliebtes Kind dieses Staates und seiner Gesellschaft ist. Es besteht kein Zweifel, daß die Bundeswehr an einem Kreuzweg angelangt ist: Was uns abverlangt wird, ließe sich unter dem Begriff der Transformation zusammenfassen. Dabei geht es schlicht um die Anpassung der Bundeswehr an die grundlegend veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen. Diese erfordern eine Reduzierung des personellen Umfangs, eine neue Struktur und eine andere Ausrüstung. Zu Recht erwartet jedermann, daß die verminderte Quantität durch eine gesteigerte Qualität kompensiert wird. Eine solche Herausforderung könnte zu einer Sternstunde in der Geschichte der Bundeswehr werden ..."

Man darf gespannt darauf sein, ob diese Sternstunde Realität wird und aus Duldung Achtung erwächst. Ebenso gespannt darf man darauf sein, wie die politische Klasse, die Bevölkerung und die immer von Verteidigungsminister Peter Struck so gerühmte "demokratischste Armee der Welt" mit dem sogar von Generalinspekteur Schneiderhan empfohlenen Buch umgehen wird. jtj

Clemens Range: "Die geduldete Armee - 50 Jahre Bundeswehr", Verlag Translimes Media, Berlin 2005, geb., 314 Seiten, 45 Euro


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