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22.10.05 / Die große Angst vor Erneuerung / Parteienforscher Professor Oskar Niedermayer über die beiden orientierungslosen Volksparteien SPD und CDU

© Preußische Allgemeine Zeitung / 22. Oktober 2005

Die große Angst vor Erneuerung
Parteienforscher Professor Oskar Niedermayer über die beiden orientierungslosen Volksparteien SPD und CDU

Warum fehlen den Parteien richtungweisende Parteiprogramme?

Niedermayer: Beide großen Parteien, SPD und CDU, haben natürlich Grundsatzprogramme, aber ihre Programme sind schlicht und einfach veraltet. Was beiden fehlt, ist ein in sich geschlossenes Konzept als Antwort auf die drei neuen Voraussetzungen, die in den letzten zwei Jahrzehnten auf Deutschland zugekommen sind. Das ist erstens die Globalisierung des Marktgeschehens, das ist zweitens die demographische Entwicklung, sprich die zunehmende Alterung der Gesellschaft und das sind drittens die finanziellen Folgeleistungen der Vereinigung. Diese Herausforderungen hätten dazu führen müssen, daß die großen Parteien eine ernsthafte Diskussion über die veränderten Rahmenbedingungen beginnen. Die Diskussion hätte dazu führen müssen, daß eine sozialdemokratische, beziehungsweise christdemokratische Antwort auf diese Herausforderungen formuliert wird, die dann eben auch den jeweiligen Regierungen, wenn sie an die Macht kommen, als grobe Leitschnur und als Vision gelten kann sowie für konkretes Regierungshandeln. Das ist bei beiden Parteien nicht geschehen, beziehungsweise die Versuche dazu sind zu spät gekommen. Beide Parteien haben es in den Jahren vorher nicht verstanden, die Bürger in ihrer neuen Regierungsarbeit mitzunehmen. Gerhard Schröder hat den Versuch einer Neupositionierung gemacht, aber eben nicht innerhalb der SPD und aus der SPD heraus, sondern aus der Regierungsverantwortung heraus von außen und von oben. Das ist aber von maßgeblichen Teilen der Partei reflexartig abgelehnt worden.

Und wie sieht es bei der Union aus?

Niedermayer: Bei der Union gab es den Versuch der programmatischen Wende durch Merkel mit ihrer Berliner Rede. Dieser Versuch ist anscheinend halbwegs geglückt auf dem Leipziger Parteitag der CDU. Aber danach hat sich auch gezeigt, daß für eine solche radikale neue Konzeption, wie sie Frau Merkel vorgeschwebt hat, in der Partei keine Mehrheit ist und vor allen Dingen auch mit dem Partner CSU keine Einigkeit zu erzielen ist. So hat man diese, meiner Ansicht nach, was immer man inhaltlich jetzt davon hält, wenigstens halbwegs geschlossene Reformkonzeption wieder zerstückelt und in Kompromissen relativ unkenntlich gemacht. Mit dieser nicht mehr wirklichen Einheit die Zukunftskonzeption erlitt dann die Union im Wahlkampf Schiffbruch, weil sie den Bürgern nicht vermitteln konnte, daß das was sie tun will, einigermaßen sozialverträglich ist.

Haben die Parteien es denn grundsätzlich aufgegeben, zukunftsweisende Programme zu formulieren, die in die Gesellschaft hinein wirken?

Niedermayer: Ich glaube nein - bei der SPD kann ich es mir auch nicht vorstellen, daß sie es grundsätzlich aufgibt, weil die SPD eine Programmpartei ist. Die SPD hat in ihrer Geschichte schon immer sehr viel Wert gelegt auf programmatische Unterfütterung. Es ist natürlich ein Hemmreflex da in der Partei oder in Teilen der Partei, diese Diskussion wirklich ernsthaft zu beginnen und dann auch zu einem Ende zu führen, weil die Diskussion selbst ja sehr viele traditionelle und althergebrachte Gewißheiten der Sozialdemokratie in Frage stellt. Die Union ist auch keine neoliberale, sondern eine Sozialstaatspartei und hat insofern vielleicht etwas weniger, aber im Prinzip die gleichen Probleme mit einer solchen Neukonzeption wie die SPD.

Das heißt im Grunde genommen gibt es zwei sozialdemokratische Parteien in Deutschland?

Niedermayer: Eine mehr und eine mehr oder weniger sozialdemokratische Partei, genau.

Wo sehen Sie denn noch das Visionäre in den Parteien?

Niedermayer: Im Moment sehe ich in keiner der beiden großen Parteien irgendwas Visionäres. Beide müssen die richtungweisende Diskussion führen, sonst gibt es einen Wertekonflikt zwischen dem Primat der Politik auf der einen Seite, also des Nationalstaats, und dem Primat der Ökonomie auf der anderen Seite. In diesem Konflikt zwischen beiden Polen muß man sich positionieren und dem Wähler dies auch deutlich machen.

Ist dem Wähler überhaupt noch Visionäres zu vermitteln?

Niedermayer: Man merkt, daß die Wähler letztendlich eine Perspektive vermissen. Ich glaube, daß dies unterschwellig ein wesentlicher Grund für die Verluste beider großer Parteien bei den Wahlen war, daß den Wählern keine Perspektiven, sondern nur Sparzwänge, und zwar auf der einen wie auf der anderen Seite vermittelt wurden.

Wie sieht das denn bei den kleinen Parteien aus?

Niedermayer: Die haben es sehr viel einfacher weil sie radikalere Konzepte vertreten können, die dann natürlich auch eine begrenzte Klientel ansprechen. Das ist bei der FDP noch stärker als bei der Linkspartei.


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