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22.10.05 / Wie eine deutsch-französische Symbiose entstand / Durch das vom Großen Kurfürsten erlassene Edikt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 22. Oktober 2005

Wie eine deutsch-französische Symbiose entstand
Durch das vom Großen Kurfürsten erlassene Edikt von Potsdam wurde sein Staat Deutschlands größter Zufluchtsort für Hugenotten
von Manuel Ruoff

Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Preußen reagierte auf die Widerrufung des Toleranzediktes von Nantes durch den französischen König Ludwig XIV. wenige Tage später, in concreto am 29. Oktober 1685, mit dem Edikt von Potsdam. In diesem Toleranzedikt lud der deutsche Fürst die vom französischen König verfolgten Hugenotten ein, sich in seinem Herrschaftsbereich niederzulassen, und zwar wo sie wollten.

Überhaupt zeigte sich der reformierte Herrscher eines mehrheitlich von Lutheranern bewohnten Gebietes gegenüber seinen französischen Brüdern im Glauben ausgesprochen großzügig. So kamen sie staatlicherseits beispielsweise in den Genuß von Krediten und kostenlosem Baumaterial, waren für sechs bis zehn Jahre von Abgaben und Pflichten befreit, genossen in den Städten Gewerbefreiheit und konnten eigene französische Kolonien bilden. In eigenen Sakralbauten konnten sie ihren Glauben entsprechend ihrem Kultus und in ihrer Sprache ausüben. Der Kurfürst kam für die Bezahlung ihrer Prediger, Kantoren und Richter auf. Ihr Adel wurde dem einheimischen gleichgestellt.

Die Hugenotten genossen in Brandenburg-Preußen also Gleichberechtigung, wenn nicht sogar eine Bevorzugung gegenüber der einheimischen Bevölkerung. Damit die Hugenotten von diesem attraktiven Angebot erfuhren, wurde das Potsdamer Edikt in Frankreich als Flugblatt verteilt. Bereits in den ersten beiden Ediktartikeln wurden Fluchtwillige darüber informiert, wie sie nach Brandenburg kommen konnten. Den Glaubensflüchtlingen aus dem Norden Frankreichs wurde empfohlen nach Amsterdam zu gehen. Dort würden sie von einem kurfürstlichen Gesandten mit Geld und Reiseproviant ausgestattet, und per Schiff nach Hamburg weitergeleitet, wo ein weiterer Gesandter für den Weitertransport nach Brandenburg sorge. Den Flüchtlingen aus Frankreichs Süden empfahl das Edikt, sich an den kurfürstlichen Gesandten in Frankfurt am Main zu wenden, der ihnen dabei helfen würde, per Schiff rheinabwärts ins brandenburg-preußische Cleve zu gelangen, wo sie entweder bleiben oder von wo aus sie auf dem Landwege in die ostelbischen Kernlande Brandenburg-Preußens weiterreisen könnten.

Der vom Kurfürsten betriebene Aufwand blieb nicht ohne Erfolg. Kein anderes Territorium des Heiligen Römischen Reiches zog mehr Hugenotten an als jenes des Großen Kurfürsten. Zwischen 16000 und 20000 Hugenotten folgten Friedrich Wilhelms Ruf. Das waren zehn Prozent aller und 40 Prozent der nach Deutschland geflüchteten französischen Glaubensflüchtlinge.

Es ist unbestritten, daß die relativ hohe Zahl der eingewanderten Hugenotten, die ihnen gewährten Privilegien und die damit verbundenen kurzfristigen finanziellen Belastungen für den brandenburgisch-preußischen Staat und dessen Bewohner unter der einheimischen deutschen Bevölkerung zu Unmut und Abwehrreaktionen geführt haben. Andererseits gilt die brandenburg-preußische Einwanderungs- und Ansiedlungspolitik inzwischen nicht ohne Grund als Erfolgsstory, als Symbiose, die sowohl den Einwanderern als auch dem Aufnahmeland zum Vorteil gereicht hat. Insofern ist es kein Wunder, daß die Hugenotten in der Bundesrepublik gerne thematisiert werden, um den Eindruck zu erwecken, die Bundesregierung würde mit ihrer Flüchtlings- und Einwanderungspolitik in der erfolgreichen Tradition Brandenburg-Preußens stehen.

Dabei werden allerdings einige Spezifika übersehen oder verschwiegen. Die nach Brandenburg-Preußen flüchtenden Hugenotten waren wirklich verfolgt und keine Wirtschaftsflüchtlinge. Sie wanderten aus einem höher entwickelten Land aus und in ein weniger entwickeltes ein. Sie waren besser ausgebildet als die einheimische Bevölkerung. Sie bildeten "nur" 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung und integrierten sich entsprechend gut in die Gesellschaft. Sie siedelten sich in einem schwach besiedelten Gebiet an, das noch immer unter den Menschenverlusten des Dreißigjährigen Krieges litt. Last but not least entwickelten sie sich schließlich ohne Frage zu einem Gewinn für die Volkswirtschaft des sie aufnehmenden Staates.

In seinen "Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg" schreibt Friedrich der Große hierzu: "Ludwig XIV. widerrief das Edikt von Nantes, worauf mindestens 400000 Franzosen ihr Vaterland verließen. Die reichsten gingen nach England und Holland; die ärmeren, aber betriebsamsten, flüchteten sich ins Brandenburgische ... Sie halfen unsre verödeten Städte wieder bevölkern und verschafften uns die Manufakturen, welche uns mangelten."

 Bild: "Der Große Kurfürst empfängt die Réfugiés in seinen Staaten"


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