20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
22.10.05 / Wäre ich daheim geblieben / Enkel beschreibt aus der Sicht des Großvaters dessen Zeit in der Waffen-SS

© Preußische Allgemeine Zeitung / 22. Oktober 2005

Wäre ich daheim geblieben
Enkel beschreibt aus der Sicht des Großvaters dessen Zeit in der Waffen-SS

Das Buch wird zu Diskussionen anregen und ist schon deshalb lesenswert. Jörn Roes, Jahrgang 1976, Journalist in Hamburg, schrieb für seinen Großvater Wilhelm Roes dessen Kriegserlebnisse als blutjunger SS-Angehöriger nieder. Dazu bedient er sich der Stilform des Ich-Erzählers. Man merkt dem Text das Bemühen an, sich in die Gedankenwelt des Großvaters einzufühlen, und die Beweggründe, die zur Bewerbung für die Waffen-SS führten, glaubhaft darzustellen. Ob ein 1976 Geborener sich wirklich in die Erlebniswelt eines sehr viel älteren Menschen, eines Kriegsteilnehmers, hineinfühlen kann, läßt Zweifel offen. Doch das redliche Bemühen des Enkels wird deutlich.

Der 16jährige Binnenschiffsjunge Wilhelm Roes stößt 1941 in Herne auf ein Plakat, das die Beschriftung trägt: "Auch du zur Waffen-SS". Es zeigt einen jungen, kräftigen Soldaten; sein Stahlhelm ist mit den SS-Runen gekennzeichnet: "Der Gedanke, Soldat zu werden, gefiel mir auf Anhieb. Er gefiel mir vor allem, weil ich mir nichts sehnlicher wünschte, als das Ende meiner Schinderei auf dem Schiff." Er schreibt die Bewerbung und erhält zu seinem 17. Geburtstag - das geforderte Mindestalter - die Einberufung nach Berlin zur "Leibstandarte SS Adolf Hitler". Sie gilt als Eliteeinheit. Wilhelm Roes ist stolz und mit ihm die Familie, Freunde, Nachbarn. Bei der "Elite" hatte er gute Unterkunft und korrekte Behandlung erwartet.

Doch die Hölle brach über ihn und die Kameraden herein. Sie wurden in verdreckte Zimmer gewiesen, die sie erst säubern mußten, und zwar auf den Knien rutschend, mit Kleiderbürsten den Schmutz vom Boden kehrend. Die Verpflegung war hundsmiserabel: Einen Klecks Marmelade, Kunsthonig, Margarine, mittags "meist faule Kartoffeln", ein winziges Stück Fleisch, dünne Brühe. "Jeden Abend ging ich hungrig zu Bett." Einer sprach aus, was alle empfanden: "Wäre ich bloß zu Hause geblieben." Für diesen Wunsch war es zu spät. Von den Ausbildern wurden sie brutal geschliffen, angebrüllt, von humaner Behandlung keine Spur. Unter den Kameraden aber entwickelte sich Gemeinschaft, die sich in den bald folgenden Fronteinsätzen bewährte. Zuerst ging es nach Rußland und von dort quer durch Europa. Immer wieder wurde die Einheit verlegt. Wie in jedem Krieg gab es Verletzte, Tote auf beiden Seiten. An verbrecherischen Handlungen war die Einheit, in der Wilhelm Roes diente, nicht beteiligt. Das wurde ihm auch nach Kriegsende im Gefangenenlager Westertimke von den verhörenden, alliierten Offizieren bestätigt.

Anfang April 1945 wurde Wilhelm Roes aus der Lagerhaft entlassen. Erfolgreich baute er sich eine Existenz als Betriebselektriker auf. Heute ist er Rentner und kann sagen: "Ich lebe jetzt glücklich und zufrieden mit meiner Familie, meinen Kindern, Enkeln und Urenkeln. Ich hoffe, daß ihnen eine Kriegsjugend, wie ich sie erlebt habe, erspart bleibt", denn "meine Kindheit hatte mit 13 Jahren abrupt geendet, meine Jugend nie angefangen." Esther Knorr-Anders

Jörn Roes: "Freiwillig in den Krieg - Auf den Spuren einer verlorenen Jugend", Edition a im bebra Verlag, Berlin-Brandenburg, geb., 205 Seiten, 16,90 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren