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29.10.05 / Kettenraucher zum Verlieben / Von der Entstehung der hölzernen Räuchermännchen und deren ganz besonderem Charme

© Preußische Allgemeine Zeitung / 29. Oktober 2005

Kettenraucher zum Verlieben
Von der Entstehung der hölzernen Räuchermännchen und deren ganz besonderem Charme
von Ruth Geede

Wenn die dunklen Tage kommen, beginnt die Zeit der Kerzen. In den Duft von Bienenwachs mischt sich noch ein anderer, ein herber, harziger Geruch mit ein: Räucherkerzen versprühen ihre Düfte. Und in vielen Familien werden die Räuchermännchen hervorgeholt, diese hölzernen Figuren aus dem Erzgebirge, vor allem aus dem Spielzeugdorf Seiffen, der Heimat einer Volkskunst, die sich bis in die heutige Zeit erhalten hat. In den bunten Holzkarussells, den Lichterpyramiden, Weih-nachtskrippen und Nußknackern lebt die alte deutsche Spielzeug-tradition fort, die so sehr absticht von der Massenproduktion des Billigspielzeugs.

Daß neben den Nußknackern gerade die Räuchermännchen zu Lieblingsfiguren der Kinder werden, liegt an der Funktion dieser hölzernen Figuren. Der Nußknacker öffnet auf Hebeldruck seinen gewaltigen Mund und knackt die Walnuß - oder auch nicht. Denn manchmal sind Zunge und Gaumen so glatt, daß die Nuß wieder ungeknackt herausrollt. Haselnüsse haben da überhaupt keine Chancen. Aber das macht das Spiel nur noch interessanter. Beim Räuchermännchen ist das anders. Da muß ja zuerst die spitzhütchenförmige Kerze in den Bauch des Männchens gebracht und angezündet werden. Und dann wartet man gespannt auf den ersten Rauchfaden der - wenn's klappt - aus Mund oder Pfeife aufsteigt. Und wenn er dann richtig pafft, der Räucherkerl, beginnt es zu duften, nicht nach Tabak, sondern nach Honig, Zitrone, Lavendel, Sandelholz, Wacholder, Rosenholz.

Düfte, wie es sie immer gegeben hat, denn das Räuchern ist ein uraltes kulturgeschichtliches Phänomen. Rauch verbindet Erde und Himmel, Menschen und Götter, ist Gebet und Opfer zugleich. Als Träger lieblicher Düfte ein sichtbar gewordener irdischer Wunsch, es den Göttern angenehm zu machen. Das Christentum griff ihn auf: die Heiligen drei Könige schenkten dem Jesuskind Weihrauch und Myrrhe, kostbarer als das mitgebrachte Gold. Die "Weihrauchstraße" verband als älteste Handelsstraße der Welt die Küstenregionen am Indischen Ozean mit den alten Kulturen des Zweistromlandes, mit Ägypten und Rom. Doch das Räuchern beschränkte sich nicht nur auf den Gottesdienst, es wurde zur medizinischen Behandlung ebenso eingesetzt wie zur Vertreibung von Dämonen und Ungeziefer und der Beduftung von Körpern und Kleidern. Auch unser Bernstein, der vom Frischen Haff auf der Bernsteinstraße in südliche Länder gelangte, wurde "ge-brannt", wie die Bezeichnung Bernstein = Brennstein besagt. Nicht nur aus religiösen oder kosmetischen Zwecken: Bis in das Mittelalter hinein wurde er zu Zeiten der Pestilenz verbrannt, um die Seuche zu bekämpfen. Und das Ausräuchern mit Wacholder - in Ostpreußen Kaddick genannt - war bis in die Neuzeit üblich.

Von der jahrtausendealten Kulturgeschichte des Räucherns haben die Menschen im Erzgebirge nichts gewußt, als sie die ersten Räuchermännchen schnitzten. Zwar wurden auch hier wie in anderen Gegenden Deutschlands Räucherkerzen produziert, vor allem in Apotheken, aber auch in Heimarbeit. Das heißt: Der Apotheker knetete aus den Bestandteilen einen Teig, der an Familien vergeben wurde, wo die weitere Bearbeitung erfolgte. Alle Mitglieder formten dann aus der Masse die hütchenförmigen Kerzen. Die Trocknung geschah dann in demselben Raum, in dem die Familie lebte, aß und schlief! Die Rezepte waren unterschiedlich, die Hauptbestandteile waren Holzkohle und Salpeter, das Bindemittel Tragant, dazu kamen Duftharze wie Weihrauch, Myrrhe, Kiefernholz und Peru-Balsam, Pflanzensäfte wie Aloe, Blütenöl oder tierische Duftstoffe. Wer weiß noch, wie herrlich Kalmus duftet, mit dem in Ostpreußen zu Feiertagen Diele und Stuben ausgestreut wurden? Es gab auch Kalmusräucherstäbchen!

Um 1800 erschienen dann in den Katalogen der Spielzeugverleger die ersten "rauchenden" Figuren. Die aufkommende Sitte des öffentlichen Tabakrauchens ließ das hölzerne Männchen mit der Pfeife im Mund volkstümlich werden. Das reizte erzgebirgische und Thüringer Spielzeugmacher zur Nachgestaltung. So wurde die hohle Docke zum Rauchkessel für die glimmende Kerze, der Rauch kringelte aus der Mundöffnung. Besonders geeignet schien die damals sehr populäre Spielzeuggestalt eines Türken mit langem Mantel und Turban. Ihm konnte man die lange "Türkenpfeife" in die Hand drücken, aus der dann der Rauch quoll. Diese Figur wurde zum Urbild des Räuchermännchens, dem dann später viele anderen folgen sollten: Schornsteinfeger, Jäger, Kiepenkerle, Nachtwächter, Bergleute, Studenten, Schutzleute, ja selbst dem hölzernen Goethe wurde eine Räucherkammer eingebaut. Dann viele Gestalten aus fernen Ländern: Dunkelhäutige, Chinesen, Indianer, Eskimos. In der modernen Gestaltung kamen auch Frauen buchstäblich "zum Zuge".

Auch in meiner Familie gibt es ein Räuchermännchen, schon etwas lädiert, da einarmig, aber es raucht immer noch - in unserer Nichtrauchersippe. Wir bekamen es nach dem Krieg von einer älteren Verwandten aus Mitteldeutschland als Dank für die ihr zugesandten Päckchen. Denn auch zu DDR-Zeiten wurde im Erzgebirge die Tradition fortgesetzt, aber die Hersteller durften ihre Waren nicht unter den eigenen Namen verkaufen. Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war, standen diese traditionsreichen Unternehmen vor neuen Aufgaben. Die Einführung des Symbols "Echt Erzgebirge - Holzkunst mit Herz" erhöhte den Bekanntheitsgrad erheblich. Künstlerische Gestaltung, hohe handwerkliche Qualität und ein ausgefeiltes Vertriebskonzept ließen diese für das Erzgebirge typischen Erzeugnisse zu Markenartikeln werden. Neue, von Künstlern geschaffene Formen ziehen Elemente der Überlieferungen ein. Leider gibt es auch "Ulkfiguren", die nicht in den Bereich der Volkskunst gehören, aber die dürfte man auf den Messen des Kunsthandwerks kaum finden.

Seit 1934 fertigt die Firma Richard Glässer im Spielzeugdorf Seiffen im Erzgebirge Räuchermännchen Foto: Glässer


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