29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
29.10.05 / Von Waltershausen nach Murmansk / Soltauer Spielzeugmuseum zeigt nicht nur die Geschichte der Spielzeuge, sondern auch Exponate mit einer eigenen Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / 29. Oktober 2005

Von Waltershausen nach Murmansk
Soltauer Spielzeugmuseum zeigt nicht nur die Geschichte der Spielzeuge, sondern auch Exponate mit einer eigenen Geschichte
von Bernhard Knapstein

Das Motto "Die Sache ist - das Leben der Puppe" hätte auch Mimi Draeger etwas abgewinnen können. Die Königsbergin hatte sich als kleines Mädchen bei einem Zahnarztbesuch im Jahre 1915 sehr tapfer gezeigt. Zur Belohnung erhielt sie "Tausendschönchen", eine rund 50 Zentimeter große Puppe mit einem Kopf aus Bis-kuitporzellan. Das zerbrechliche "Tausendschönchen" überlebte zwei Weltkriege und den Exodus aus der ostpreußischen Metropole am Pregel. Heute steht die Puppe der Marke Simon & Halbig im Norddeutschen Spielzeugmuseum in der Heidestadt Soltau und ist dort eines von mehr als 12000 Exponaten der 600 Quadratmeter umfassenden Ausstellungsräume.

"Viele der hier präsentierten Spielsachen haben eine eigene Geschichte", sagt Museumsleiterin Dr. Antje Ernst. Die Puppe "Helene" aus Murmansk beispielsweise.

"Helene", wie "Tausendschönchen" eine Biskuitporzellankopf-Puppe, wurde 1925 im thüringischen Waltershausen hergestellt, geriet als Geschenk einer Leipziger Lehrerin an ein russisches Mädchen, das die Puppe im darauffolgenden Jahr mit in die Sowjetunion nahm. Dort überlebten beide im Verlauf des Zweiten Weltkrieges die Leningrader Blockade und andere schwierige Situationen, derer es in der Sowjetunion reichlich gab. 50 Jahre nach Kriegsende schenkte die Schwester des russischen Mädchens "Helene" schließlich als Botschafterin der Völkerverständigung zurück nach Deutschland.

Das Soltauer Museum besteht aus einer Vielzahl von Sammlungen, die in mehreren Abteilungen liebevoll zusammengestellt worden sind. In einem Raum stößt man auf optische Spielsachen, darunter Varianten der Laterna magica aus dem 19. Jahrhundert, im nächsten auf Autos in allen Größen der Marken Wiking und Märklin und auch eine Eisenbahnabteilung fehlt nicht. Seit 1897 wirbt Märklin für die getreue Wiedergabe der Eisenbahnwelten, für "Eisenbahnen mit Uhrwerk, Dampf und Elektrizität" wie es in einem Märklin-Katalog aus der Zeit kurz nach der Jahrhundertwende heißt.

Die Entwicklung des Transportwesens zu Wasser verdeutlichen unter anderem ein aufziehbarer "Vierer mit Steuermann", ein Ruderboot, welches den renommierten großen Geschwistern der Universitäten von Cambridge und Oxfort nachempfunden ist, sowie der imponierende Märklin-Rheindampfer "Rheingold". Ein 75 Zentimeter langer Schaufelraddampfer mit Uhrwerkantrieb (bis zu zehn Minuten Laufzeit) aus dem Jahr 1930.

Viel Raum nehmen die verschiedenen Modelle von Puppenküchen, Puppenhäusern und Kinderkaufläden ein. Vom K.u.K.-Postamt bis zum Metzgerladen ist alles vorhanden.

In einem solchen Modell, eine Prunkpuppenstube aus der Gründerzeit, konferieren Kaiser Wilhelm II. und Fürst Bismarck im Puppenformat - nicht ohne Adjutanten versteht sich.

Eine andere Puppenstube wurde von einem deutschen Kriegsinternierten während des Ersten Weltkrieges für seine Kinder zu Demonstrationszwecken gefertigt. Sie zeigt in dokumentarischer Qualität seine armselige Behausung und die übliche Bekleidung in Kriegsgefangenschaft.

Der Erste Weltkrieg spiegelt sich im Museum überhaupt in mehreren Facetten wider. 1200 handkolorierte Papiersoldaten zum Aufstellen etwa scheinen den in Sarajevo ermordeten Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich das letzte Geleit zu geben. Der große Trauerzug des österreichisch-ungarischen Heeres zeigt viel Liebe zum Detail.

Der Krieg nimmt seinen Lauf und auch weite Teile der Spielzeugwelt werden Opfer der vormilitärischen Erziehung. Eine Puppe von Simon & Halbig etwa wurde im Krieg von der Fa. Steiff soldatisch in Graurock und

Pickelhaube eingekleidet. Daß die Puppe eigentlich ein Mädchen darstellen sollte - das lassen noch heute die kleinen Ohrlöcher erkennen.

Wie jedes Museum, so hat auch das Soltauer Spielzeugmuseum sein Prunkstück. Seit wenigen Wochen gehört "Dingley Hall", das wohl bedeutendste Puppenhaus des 19. Jahrhunderts, zu den Exponaten des Museums. "Ding-ley Hall" hat die bescheidene Größe von drei mal zwei Metern und gibt 50 Puppen und 1000 Exponaten in 15 Räumen Obdach. Vom japanischen Salon bis zur katholischen Hauskapelle, jeder Raum stellt eine eigene detailverliebte Welt dar. Das Puppenhaus der englischen Bankiersfamilie Currie erhielt seine ersten Räume im Jahr 1875 und wuchs fortan. Das renommierte britische Auktionshaus Christie's versteigerte "Dingley Hall" für den Wert eines freistehenden Einfamilienhauses in Echtgröße. Der Zuschlag erging zugunsten des Norddeutschen Spielzeugmuseums in Soltau.

Das Spielzeugmuseum gleicht mit seinen Sammlungen, Spielen, Geschichten und Ausstellungen selbst einem großen Puppenhaus, einem "begehbaren kulturhistorischen Spielbilderbuch", wie es im Museum heißt. Ein Angebot, das reichlich genutzt wird, wie Antje Ernst bestätigt. "30000 Besucher finden jedes Jahr den Weg zu uns." Die Historikerin gehört zu der Stifterfamilie, die mit ihren Sammlungen den Grundstock des 1984 begründeten Museums zur Verfügung gestellt hat.

Trotz all der wertvollen Exponate ist es Familie Ernst und der Trägerstiftung wichtig, daß Kinder nicht nur staunend ihre Nasen an die Vitrinen-Scheiben pressen, sondern selbst in nahezu jedem Raum zum Spielen eingeladen werden. Dioramen, aufziehbare Krabbelkäfer, Masken, Holzspielzeuge, Fühlkästen und eine historische Schulbank nebst Matrosenanzug laden alle Sinne zum Spielen ein.

Das Norddeutsche Spielzeugmuseum in Soltau kann man daher auch gerne Familien mit Kleinkindern empfehlen.

Norddeutsches Spielzeugmuseum, www.spielzeugmuseum-soltau.de, Poststraße 7, 29614 Soltau, Telefon (0 51 91) 8 21 82, Fax (0 51 91) 8 21 81


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren