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05.11.05 / Deutsch-polnische Belastungsprobe

© Preußische Allgemeine Zeitung / 05. November 2005

Wilhelm von Gottberg:
Deutsch-polnische Belastungsprobe

Durch die Wahl eines neuen Staatspräsidenten in Polen und durch Parlamentswahlen in Deutschland und seinem Nachbarstaat im Osten sind weitreichende politische Weichenstellungen erfolgt. Polens Wählervotum hat - bei nur knapp 50 Prozent Wahlbeteiligung - Personen des rechten politischen Spektrums in die Verantwortung gebracht. In Deutschland haben die Parteien des linken Spektrums eine eindeutige Mehrheit erhalten. Diese Mehrheit ist allerdings zur Zeit nicht regierungsfähig, da die SPD eine Koalition mit den Populisten vom linken Rand, die sich in der Partei "Die Linke" zusammengefunden haben, ablehnt.

Da der Bürgerblock von CDU/CSU und FDP keine parlamentarische Mehrheit erhalten hat, kommt es wahrscheinlich zu einer großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD. Das Kabinett Merkel wird faktisch eine Mitte-Links-Regierung sein, denn die SPD darf linke Positionen im Hinblick auf ihre Konkurrenz am linken Rand nicht aufgeben, und die CDU ist in Teilen sozialdemokratisiert. Unter diesen Rahmenbedingungen wird Stabilität nicht das Markenzeichen der neuen deutschen Regierung sein.

Polen hat den nationalkonservativen Warschauer Bürgermeister Lech Kaczynski zum neuen Staatspräsidenten gewählt. Seine Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) ist auch stärkste Fraktion bei der Parlamentswahl am 25. September geworden. Der neu gewählte Staatspräsident und sein Zwillingsbruder Jaruslav Kaczynski sind die Spitzenrepräsentanten der Partei "Recht und Gerechtigkeit".

Der Wahlkampf für das Präsidentenamt wie auch für das Parlament wurde von der PiS mit europa- und deutschlandkritischem Akzent geführt. Auch haben die Kaczynski-Brüder in schonungsloser Offenheit Vetternwirtschaft und Korruptionsfilz der bisherigen Regierungspartei SLD (Postkommunisten) angeprangert und für ein starkes und gerechtes Polen geworben. Diese Wahlkampfstrategie hatte Erfolg.

Gewiß wird ein Teil des deutschlandkritischen Tenors des polnischen Staatspräsidenten dem Wahlkampf geschuldet sein. Seine konservative Einstellung wird allerdings dazu führen, daß Polen mehr noch als in der Vergangenheit versuchen wird, polnische Interessen gegenüber Deutschland und Europa durchzusetzen.

Deutschland hat sich seit der Wende im Osten, also seit 16 Jahren, als verläßlicher Freund und Förderer Polens erwiesen. Das demokratische Polen hat in materieller Hinsicht ernorm profitiert von der deutschen Bereitschaft zur Wiedergutmachung der an Polen verübten NS-Verbrechen. Das hat den Normalisierungsprozeß zwischen den Nachbarn links und rechts der Oder vorangebracht. Ein stabiles Fundament für nachbarschaftliches Miteinander und europäische Partnerschaft hat auf Dauer jedoch nur durch ein gleichgewichtiges Geben und Nehmen Bestand. Polens neuer Präsident muß wissen, daß er mit antideutscher Rabulistik für sein Land nichts gewinnen, aber viel verlieren kann. Die Phase des einseitigen Nehmens zu Lasten Deutschlands gehört auf Grund der wirtschaftlichen Situation der Berliner Republik der Vergangenheit an.

Die PiS-Fraktion im polnischen Sejm bedarf eines Koalitionspartners, um eine regierungsfähige Mehrheit bilden zu können. Koalitionsgespräche zwischen der PiS und der rechtsliberalen Bürgerplattform (PO) sind zunächst gescheitert. Kazimierz Marcinkiewicz von der PiS wurde als neuer Ministerpräsident vereidigt.

Er steht an der Spitze einer Minderheitsregierung. Die neue Regierung muß sich am 10. November der Vertrauensabstimmung im Parlament stellen.

Eine Minderheitsregierung wird in Polen keinen Bestand haben. Deshalb werden die gemäßigten Kräfte in der PiS weiterhin eine Koalition mit der zweitstärksten Fraktion der Bürgerplattform anstreben. Der radikale Flügel der Partei wird dagegen eine Koalition mit kleineren Parteien des rechten Spektrums bilden wollen. Als mögliche Koalitionspartner kämen in Frage die rechtsextreme Partei "Liga polnischer Familien" sowie die radikalen Parteien "Selbstverteidigung" und Bauernpartei. Eine derartige Koalition würde wahrscheinlich für den deutsch-polnischen Normalisierungsprozeß einen Rückschlag bedeuten, denn alle Koalitonäre wären nationalistisch ausgerichtet.

Der disignierte Staatspräsident Lech Kacynski - er wird Weihnachten das Präsidentenamt übernehmen - hat im vergangenen Jahr mit einer 43-Milliarden-Dollar-Forderung an Deutschland für die Zerstörung Warschaus die Belastbarkeit des deutsch-polnischen Verhältnisses getestet. Es war eine vermutlich nicht ernstgemeinte Überreaktion, die durch Aktivitäten der Preußischen Treuhand ausgelöst wurde. Eine Regierungskoalition in Warschau aus Rechts- und Rechtsaußenparteien wäre für Europa eine ernste Gefahr. Die Koalitionäre wären europaskeptisch beziehungsweise antieuropäisch eingestellt. Polens Rolle in Europa würde unberechenbar. Quo vadis Polen?


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