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05.11.05 / Anpacken statt ausdiskutieren / Bei der Reform der Arbeitsagentur könnte Deutschland einiges von Österreich lernen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 05. November 2005

Anpacken statt ausdiskutieren
Bei der Reform der Arbeitsagentur könnte Deutschland einiges von Österreich lernen
von Jürgen Liminski

Bonn ist nicht Weimar, so hieß ein berühmtes Buch in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das ist richtig. Aber vermittelt die derzeitige Situation in Berlin nicht einen Hauch von Weimar? Die Staatsfinanzen sind zerrüttet, die bürgerlichen Kräfte in den Parteien scheinen schwach und führungsarm, an der Basis brodelt es, die Zukunft liegt im Nebel. Rentenalter, Haushaltskonsolidierung, Hartz-IV-Reform, Subventionskürzungen - die Koalitionsverhandlungen sind schon fachlich in einer kritischen Phase und seit Montag auch personell mit Fragezeichen versehen. Ausgesandte Hiobsbotschafter reden gezielt von einem Scheitern. So weit wird es noch nicht kommen, es sei denn die Linke in der SPD gewinnt auf dem Parteitag die Oberhand und sucht das Bündnis mit den Neokommunisten und den Grünen. Schon deshalb unterliegen die Koalitionäre der Dynamik jeder großen Koalition: Man ist zu einem Minimalerfolg verurteilt. Sonst drohen Neuwahlen und da würde man bei dem jetzigen Durcheinander unweigerlich abgestraft. Es gibt also für die bürgerlichen und halbwegs reformwilligen Kräfte keine Alternative mehr zum Versuch einer großen Koalition. Das um so mehr, als sich der Minimalerfolg auch benennen läßt: Föderalismusreform, Subventionsabbau, Flexibilisierung des Arbeitsmarkts.

Ganz gleich wie die taktischen Böllerschüsse in den Parteien verhallen und die innerparteilichen Machtspiele um Kurs und Posten beendet werden, jede neue Regierungsformation wird vor der alten Feststellung stehen, daß das A und O für einen kurzfristigen Erfolg die Reform des Arbeitsmarkts ist. Denn das läßt sich nicht nur in den monatlich vorgetragenen Pegelständen der Nürnberger Statistik messen, dadurch würden auch Mittel frei für den Haushalt und dadurch flössen auch Mittel in die leeren Sozialkassen. Deshalb hieß es ja auch im Wahlkampf "Arbeit hat Vorfahrt". Aber wie soll man den Arbeitsmarkt reformieren ohne die heilige Kuh der SPD namens Kündigungsschutz anzufassen? Man wird vermutlich wieder mal ins Ausland schauen - und dort sogar fündig werden. Der Blick nach Österreich mit seiner Arbeitslosenquote von 5,2 Prozent (halb soviel wie in Deutschland) läßt Neid und Neugierde aufkommen.

In der Tat hat Österreich eine deutlich effektivere Arbeitslosenvermittlung. Es ist dem österreichischen Arbeitsmarktservice (AMS) gelungen, die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit von 126 Tagen auf knapp 100 Tage zu verkürzen und den Anteil der großen Problemgruppe Langzeitarbeitslose von 18,4 auf 7,9 Prozent zu verringern. Offene Stellen bleiben nur noch 30 Tage unbesetzt, früher waren es 45. Im Vergleich zu Deutschland sind das Traumzahlen. Hier muß ein Arbeitsloser im Durchschnitt dreimal so lange warten, bis er vermittelt ist, nämlich 38 Wochen. Und das, obwohl die Bundesagentur für Arbeit rund 15000 reine Vermittler beschäftigt (man fragt sich übrigens, was die anderen 80000 Angestellten der Agentur verwalten). Zu Beginn der rot-grünen Herrschaft 1998 waren es 11000 Vermittler, die allerdings dreimal soviel Arbeitslose vermittelten. Heute sind die gewerblichen Zeitarbeitsunternehmen im Aufwind, sie haben fast 400000 Arbeitskräfte beschäftigt.

Private arbeiten offenbar effektiver als die beamtenähnlichen BA-Leute. Eine Verlagerung auf private Stellenvermittlung wäre eine Lösung, die Österreicher haben das getan. Aber auch die staatlichen Stellen können effektiv arbeiten. Es ist eine Frage der persönlichen Betreuung, dezentralisierter Strukturen (sprich Kommunen) und konsequenter Kundenorientierung. Gute Ergebnisse wie in Österreich fallen nicht vom Himmel, erst recht nicht, wenn die Arbeitszeiten länger sind als in Deutschland. Die Arbeitnehmer in der Alpenrepublik arbeiten jeden Tag 50 Minuten länger als bei uns. Irgendwann muß man mit den Reformen mal Ernst machen. Der Österreicher Helmut Reisinger, Chef des IT-Unternehmens Nextiraone Deutschland, weist darauf hin, daß Österreich schon vor mehr als zehn Jahren mit der Reform des Arbeitsmarktes begonnen hat und sie auch in engem Zusammenhang mit der Belastung der Unternehmen sieht. Längere Arbeitszeiten und geringere Ertragssteuern (25 Prozent im Gegensatz zu 38,7 in Deutschland) und eine günstigere Relation von Lohnkosten und Produktivität haben aus Österreich einen begehrten Standort in der EU gemacht. Deutsche, insbesondere Sachsen, gehen mittlerweile ins Alpenland zum Arbeiten. Reisinger bringt es auf den Punkt: "Wir haben in Österreich sicher auch andere Verhältnisse. Aber man hatte den Mut zu umfassenden Reformen, selbst einer Rentenreform. Die Probleme sind nicht gelöst, aber angepackt. Das ist schon die halbe Miete. In Deutschland wird immer erst alles bis zum bitteren Ende aus-diskutiert."

Sicher, Österreich hat viel Tourismus und Arbeitsplätze in dieser Branche setzen weniger (Aus-) Bildung voraus als die wissens- und kapitalintensiven Industrie- und Dienstleistungssektoren. Und richtig ist auch, daß Wien mit großzügigen Vorruhe- und Frühpensionierungsprogrammen seit Mitte der 80er Jahre die Zahl der Erwerbspersonen erheblich reduziert hat. Das könnte sich noch rächen, weil auch in Österreich das demographische Defizit auf die Sozialkassen drückt. Und auch die ausgeprägte Sozialpartnerschaft der Österreicher ist nicht immer dienlich, zum Beispiel wenn die Lohnzurückhaltung mit dem Horten von Arbeitskräften in den staatlichen Betrieben erkauft wird. Aber jedes Land hat seine Eigenarten und muß damit leben. Wichtig ist der Anfang.

Ein berühmter Österreicher, Karl Kraus, hat sein Land einmal als "Versuchslabor des Weltuntergangs" bezeichnet. Das war gemünzt auf das Ende der Monarchie, ist aber durchaus anwendbar auf die heutige Umbruchsituation, weil auch heute die gesellschaftlichen Strukturen erschüttert sind. Vielleicht ist das das Geheimnis des Erfolgs in Österreich und übrigens auch anderswo: Man versucht es, man geht das Problem schon praktisch an, wenn erst 70 Prozent erfaßt und durchdacht sind und verbessert dann auf dem Weg. Reformversuch statt Diskussion bis zum Untergang. Von diesem Pragmatismus der Nachbarn könnten die Berliner Koalitionäre viel lernen.

Foto: Viele Köpfe, wenig Sinn: Die 15000 Vermittler der Bundesagentur für Arbeit hoffen zur Fußball-Weltmeisterschaft Arbeitssuchende wenigstens in ein kurzfristiges Arbeitsverhältnis zu bringen.


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