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05.11.05 / Ein wahrer Tag der Befreiung

© Preußische Allgemeine Zeitung / 05. November 2005

Ein wahrer Tag der Befreiung
von Ulrich Schacht

Seit einigen Jahren erleben wir im Prozeß verschärfter "politisch-korrekter" Geschichtspolitik und einer ihr hörigen Historiographie, die sich schulpädagogisch und bildungspolitisch ebenso universalmoralistisch spreizt wie sich ihre Thesen massenmedial auf inflationär-manipulative Weise ins Unterbewußte ergießen, den fanatischen Versuch, aus dem 8. Mai 1945 einen Tag der Befreiung werden zu lassen und damit eine Art Nationalfeiertag neuen Typs für alle nachwachsenden Generationen von Deutschen zu stiften. Zwar ist der 8. Mai 1945, was in der Schreckens-Natur der Sache lag, für vom NS-System rassisch und politisch Verfolgte ein Datum existentieller Befreiung im radikalsten Sinne des Wortes gewesen, für den übergroßen Rest der Menschen im geschlagenen und besetzten Land jedoch, das bedingungslos kapituliert hatte, begann eine Zeit der Okkupation, der Deportation, der Verhaftung und Liquidation oder millionenfacher Vertreibung, der Zerschlagung Deutschlands in Besatzungszonen und weltpolitisch konträre Einflußsphären.

Kein Geringerer als der französische Staatspräsident Mitterand hat solcher Verfälschung eindrucksvoll widersprochen und auf die unauslöschbar doppelte Wahrheit jener historischen Stunde verwiesen, als er am 8. Mai 1995 in Berlin in seiner Rede zum 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges bekannte: "Ich bin nicht gekommen, um den Sieg zu feiern, über den ich mich 1945 für mein Land gefreut habe. Ich bin nicht gekommen, um eine Niederlage herauszustellen, weil ich wußte, welche Stärken das deutsche Volk hat, welche Tugenden, welcher Mut in ihm steckten

- wenig bedeutet mir dabei seine Uniform, ja selbst die Vorstellung in den Köpfen dieser Soldaten, die in so großer Zahl gestorben sind. Sie waren tapfer. Sie nahmen den Verlust ihres Lebens hin. Für eine schlechte Sache, aber diese ihre Heldentaten hatten damit nichts zu tun. Sie liebten ihr Vaterland. Das muß man sich klarmachen."

Im radikalen Gegensatz dazu handelt es sich beim 9. November 1989 um einen authentischen Befreiungstag, um einen wirklichen emanzipatorischen Akt, auch und nicht zuletzt im Sinne von Selbstbefreiung einer Volksmehrheit von einer ganz und gar illegitim herrschenden politischen Minderheit. Denn mit ihm ging nicht nur die über 40jährige Existenz der zweiten deutschen Diktatur zu Ende, mit ihm wurde auch die, nationalperspektivisch gesehen, provisorische Republik der Westdeutschen aus dem nur allzu bequemen Donröschenschlaf ihres Eingerichtetseins in die begrenzte Souveränität der Nachkriegsordnung gerissen, wurde aus der unzweideutigen Grundgesetzpflicht zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit der Deutschen endlich ein Terrain praktischer Politik und damit das Ende der diesbezüglichen entspannungspolitischen Fortschritts-phrasen eingeleitet, die zuletzt nichts anderes als Formeln eines vollkommenen Geschichtsstillstandes waren. Insofern geht auch das bei manchem beliebte Deutungsmuster, es habe sich bei der Wende im Herbst 1989 eher um eine "Implosion" des SED-Systems denn um eine "Revolution" gegen es gehandelt, in die Begriffs-Irre, was die radikale Veränderungs-Wucht einschließlich des dazugehörigen Tempos betrifft.

Im Gegenteil: Die revolutionäre Dynamik des Prozesses, zugleich Teil des Zusammenbruchs eines politischen Großsystems, das die halbe Welt beherrschte, fegte zwischen dem Herbst 1989 und der Volkskammerwahl vom

18. März 1990 auch gleich noch die zeitweilige Elite der Bürgerbewegung, die den unmittelbaren Aufbruch vor Ort forciert hatte, mit hinweg, ging ihr Konzept einer "reformierten" DDR den Volksmassen doch nicht weit genug. Der Revolutionshöhepunkt, der symbolpolitisch und real-emotional zweifellos am Tag des Mauerfalls und der Besetzung des Todesstreifens durch Deutschland und Berlin von Deutschen aus Ost und West seinen Höhepunkt erreichte, hatte eine strukturpolitische Komplementärpointe, die im Ergebnis besagter Volkskammerwahl lag und damit in einem beispiellosen zivilisatorischen Akt einen Wahlvorgang zur Revolution gemacht hatte, der die alten Verhältnisse unwiderruflich beseitigte. Daß der Vorgang dabei nicht nur ein Schock für die längst im Orkus der Geschichte verschwindenden alten SED-Funktionseliten war, sondern vor allem auch für den linksliberalen Mainstream der Bundesrepublik Deutschland und seine Legitimationsexperten in Wissenschaft, Kultur und Bildung, unterstreicht ja nur den revolutionären Charakter der Entscheidung: Sie richtete sich nämlich gegen zwei deutsche Funktionseliten gleichermaßen, ohne daß das der Mehrheit der Wähler, die an die Urnen gegangen waren, zu diesem Zeitpunkt anhaltender Euphorie auch nur bewußt sein konnte. Konnte sie doch nicht ahnen, wie sehr das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes im Westen Deutschlands bewußtseinspolitisch schon unterlaufen war.

16 Jahre nach dem Mauerfall scheint die politisch und ökonomisch depressiv stimmende Wirklichkeit von heute das emotionale Großereignis von damals, das so gravierende Konsequenzen gehabt hat, der Lächerlichkeit preiszugeben und bösartige ideologische Konjunkturritter wittern ihre Chance, die Revolution von einst als historischen Grundirrtum materiell bestochener Volksmassen zu deuten. Das aus pathologischer Denunziationslust stammende Stichwort des westdeutschen Regierungs-Philosophen Habermas vom "D-Mark-Nationalismus" war ja nur die frühe Totschlagsvokabel eines intellektuellen Teilungs-Fetischisten, dem, wie seinen aktuellen Nachläufern, die ganze Richtung nicht paßte. Das offizielle Deutschland folgt dem zwar nicht, es feiert den 3. Oktober ebenso höchstoffiziell wie es der Novembertage des Jahres 1989 heftig gedenkt.

Aber es ist noch gar nicht solange her, daß die gerade abgewählte Regierung Überlegungen öffentlich testete, aus dem fixen Nationalfeiertag 3. Oktober einen flexiblen Sonntag zu machen, der sich ökonomisch rechnen läßt. Der 3. Oktober aber, der staatsrechtlich relevante Tag der Wiedervereinigung Deutschlands, ist jedoch nichts Geringeres als das souveränitätspolitische Siegel auf dem unumkehrbaren Prozeß der Wiedervereinigung der Nation, der mit dem Mauerfall am 9. November 1989 begann und damit mit einem revolutionären Akt eines Großteils des deutschen Souveräns.

Dennoch sollten wir uns, die Zeugen jener glücklichen Geschichtsstunde im November 1989 geworden sind, diese glück-liche Zeugenschaft von niemandem destruieren lassen. Mag Deutschland heute in innerer Verfassung sein wie es will, seine äußere, die sich in der Wiederherstellung der nationalen Einheit zeigt, ist das Ereignis einer grandiosen Tat, deren Voraussetzung Mut, Seelenweite und Himmelsglück sind. Kein anderes deutsches Datum kann dem

9. November 1989 moral- und symbolpolitisch das Wasser reichen. Er ist für alle Zukunft der Herzensfeiertag der Deutschen und der große Bruder des Vernunftfeiertags 3. Oktober.

Foto: Nieder mit der Mauer: Ost-Berliner im November 1989


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