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12.11.05 / Aufnahme mit Hindernissen / Bulgariens EU-Beitritt ist gefährdet, doch verschieben möchte Brüssel ihn trotzdem nicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / 12. November 2005

Aufnahme mit Hindernissen
Bulgariens EU-Beitritt ist gefährdet, doch verschieben möchte Brüssel ihn trotzdem nicht
von Ernst Kulcsar

In Bulgarien gibt sich die EU-Prominenz derzeit die Klinke in die Hand, wie um zu beweisen, daß der EU-Beitritt des kleinen Balkanstaates (7,8 Millionen Einwohner) nun doch am 1. Januar 2007 erfolgen wird.

So traf am 3. November der Präsident des Europäischen Parlaments, Josep Borrel, zu einem offiziellen Besuch in Sofia ein und sicherte dem Land die volle Unterstützung zu, betonte aber im selben Atemzug in einer Ansprache vor dem bulgarischen Parlament, hinsichtlich eines EU-Beitritts im Jahre 2007 müsse das Land noch "verstärkte Anstrengungen" unternehmen. Zwar versprach der EU-Parlamentspräsident im Namen Brüssels eine Kampagne in den EU-Staaten zu starten über Bulgariens Bemühungen im Zuge des Beitritts, zwar äußerte sich auch der zwei Tage zuvor eingetroffene Berichterstatter des Europäischen Parlaments für Bulgarien, Geoffrey van Orden, zuversichtlich über den Beitritt - doch Beobachtern drängte sich der Eindruck auf, als versammele sich ein Ärztekonzil am Bett eines Schwerkranken, um ihm und sich selbst Mut zuzusprechen.

Berichterstatter van Orden sprach mit dem Präsidenten Bulgariens Georgi Parwanow, Premier Sergej Stanischew und anderen Politikern. Bulgarischen Quellen zufolge betonte van Orden "akuten Nachholbedarf" in der Angleichung an die europäische Rechtsordnung, "umgehende Maßnahmen" seien nötig in den "Bereichen freier Dienstleistungsverkehr, Gesellschaftsrecht, Landwirtschaft, Regionalpolitik sowie Justiz und Inneres". Die "organisierte Kriminalität" sei nach wie vor "besorgniserregend", sie wirke sich auf "vielfältige Bereiche des gesellschaftlichen Lebens" aus. Wenn das auch hart klingt: Präsident Parawanow und der rumänische Präsident Basescu werteten in einer gemeinsamen Erklärung den Fortschrittsbericht für Bulgarien und Rumänien als "objektiv, ausgewogen und wertvoll".

Ob Bulgarien das Ziel der EU-Mitgliedschaft schon 2007 erreichen kann, bleibt trotz aller Anstrengungen offen. Die Wirtschaft ist trotz eines fünfprozentigen Anstiegs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2004 das Sorgenkind. Zwar konnte das Haushaltsdefizit auf ein Prozent des BIP reduziert werden. Das BIP pro Kopf beträgt indes immer noch nur magere 2500 Euro. Besser sind die Werte vom Arbeitsmarkt und bei der Geldwertstabilität. Die Inflationsrate hält sich bei etwa vier Prozent und die Arbeitslosigkeit stagniert bei 11,7 Prozent. Auch der Tourismus entwickelt sich zunehmend zu einem stabilen Wirtschaftsfaktor, allein 2004 besuchten allein mehr als eine halbe Million Deutsche das Balkanland.

Nur ausländische Investoren haben auf dem bulgarischen Fremdenverkehrsmarkt noch nicht in dem von Sofia erhofften Ausmaß fußgefaßt.

Gegenüber 1995 erscheint das Gesamtbild der bulgarischen Wirtschaft jedoch schon als großer Erfolg, denn in Folge des Zusammenbruchs der kommunistischen Kommandowirtschaft sackte die Ökonomie des Landes zunächst ins Bodenlose: Das Realeinkommen sank auf weniger als ein Drittel. Viele Haushalte meldeten sich von der Energieversorgung ab, 45 Prozent der Bevölkerung waren 1999 auf selbst hergestellte Nahrungsmittel angewiesen und etwa 80 Prozent der Bulgaren kämpften buchstäblich ums tägliche Überleben. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sah diese Situation als "notwendige Übergangsphase" und zog die Schraube noch fester an. Der IWF empfahl sogar die Einführung des Euro noch vor dem EU-Beitritt, was wiederum die Europäische Zentralbank ablehnt. Der Wirschafts-Nobelpreisträger Joseph E. Stieglitz plädierte darauf für einen vorgezogenen EU-Beitritt.

Die Politik verhielt sich angesichts dieser Situation wie der Fuchs, dem man das Fell abzieht und der optimistisch behauptet, alles sei nur ein Übergang.

Nachdem von 1990 die "Union Demokratischer Kräfte" (SDS) den friedlichen Wandel Bulgariens herbeigeführt hatte, regierte mehrere Legislaturperioden die Sozialistische Partei (BSP) in einer Koalitionsregierung. Die konservativ geführte SDS war es, die den Beitritt zu EU und Nato in Gang gebracht hatte. Die 2001 folgende Regierung der kurz zuvor um den ehemaligen König Simeon II. von Sachsen-Coburg-Gotha gegründeten "Nationalen Bewegung Simeon II." behielt den konservativen Kurs ihrer Vorgängerin bei.

Bei den Parlamentswahlen zur 40. Nationalversammlung vom Ende Juni 2005 wurde die BSP erneut stärkste Kraft. Eine Wählerinitiative namens "Attacke" sorgte indessen mit rassistischen und EU-feindlichen Wahlkampfparolen für Irritationen bei den europäischen Partnern. Am EU-Kurs Sofias vermochte die Gruppierung jedoch nicht ernsthaft zu rütteln.


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