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19.11.05 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. November 2005

Alles vertilgen / Sparen brauchen wir jetzt nicht mehr: Schwarz-Rot hat beschlossen, daß sich die Wirtschaft nächstes Jahr fabelhaft erholt
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Koalition nennt sich seit dieser Woche, was man in romantischeren Tagen als "Verabredung zum Duell" bezeichnet hat: Nur Barbaren fallen unverabredet übereinander her wie die Viecher. In der besseren Gesellschaft schickt man Vertreter, die sich auf die Regeln verständigen und die Einzelheiten klarmachen. Offen bleibt nur das Entscheidende: Wer von den Kontrahenten das tödliche Rendezvouz überleben wird.

In Berlin wagt man da hinsichtlich der Liäson von Schwarz und Rot schon eine recht konkrete Voraussage: der, der zuerst hinschmeißt und die Koalition platzen läßt, werde der Gewinner sein. Er kann dann mit dem Finger auf den anderen zeigen und dem Volk zurufen, daß "der da" alles vermasselt hat.

Bis dahin muß jeder den Eindruck erwecken, brav zu sein. Das ist beiden Partnern bislang glänzend gelungen. Da ging ein entspanntes Lächeln durch die Runden, ordentlich gepäppelt durch reichlich gegenseitige Nettigkeiten. Es wird Eingikeit demonstriert: Wir müssen alle Opfer bringen, das weiß jeder. Das Parteiengezänk muß ein Ende haben, damit wir uns endlich um die wichtigen Dinge kümmern können.

Für die künftige Kanzlerin ist es das Wichtigste, daß sie die künftige Kanzlerin ist. Das war diese Woche so gut wie geschafft. Na also. Dafür hat sie beträchtliche Opfer gebracht, das CDU-Programm beispielsweise. Nun aber müssen wir die "Bürger mitnehmen bei unseren Reformen", mahnt die Schröder-Nachfolgerin. Wohin genau, das soll sich erst später zeigen.

Bevor beschlossen wurde, nach welchen Maximen sich das eigene Regierungshandeln der nächsten vier Jahre eigentlich gestalten soll, befand Schwarz-Rot erst einmal über den Konjunkturverlauf. Das hat Eichel auch immer so gemacht: "Ausgehend von der günstigen Konjunkturprognose (seiner eigenen) sind unsere Sparanstrengungen völlig ausreichnend" - diesen Satz gebar Hans Eichel alle halbe Jahr aufs Neue. Die Konjunktur verlief dann regelmäßig im Sande statt günstig. Das brachte den scheidenden Finanzmann jedoch keine Sekunde ins Schleudern: "Aufgrund unvorhergesehener Schwankungen" fuhr er dann mit leichter Hand die Schulden hoch.

An diese Tradition möchte die neue Koalition anknüpfen, denn "man darf den Menschen nicht zu schnell zu viel Neues zumuten". Wie Eichel stützt sie ihre mittelfristige Finanzplanung darauf, daß 2006, konjunkturell gesehen, ein wunderbares Jahr wird. Wenn es anders kommt, wird man eben "aufgrund unvorhergesehener ..." - die Schulden hochfahren? Hier könnte es erstmals eng werden. Das geht nämlich kaum noch: Nachdem Brüssel den Knüppel für ein weiteres Jahr in den Sack sinken ließ und Berlin für 2006 Straffreiheit trotz abermaligen Verstoßes gegen die Maas-tricht-Kriterien versprochen hat, will die EU 2007 endlich einmal genauer hinsehen. Bevor es zu spät ist, wollen Schwarz und Rot daher noch einmal einen kräftigen Schluck aus der Schuldenpulle nehmen. Wie beim Eichel mit dem Verprechen, daß es der letzte sein wird. Danach muß umgeplant werden. Die Öffentliche Hand gleitet geschmeidig in unsere Taschen.

Die Mehrwertsteuer geht rauf, "Steuervorteile" verschwinden. Es soll zudem Ausgabenkürzungen geben, was man ja kaum glauben mag. Man darf den Staat aber nicht "kaputtsparen", wird die versprochene fiskalische Selbstbescheidung gleich wieder eingeschränkt.

Dabei soll es durchaus sozial gerecht zugehen. "Kaputtsparen" soll sich nämlich auch der Bürger nicht. Wer das bisher zum Schaden seines Konsumverhaltens getan hat oder deshalb, weil er auf irgendwelche Sprüche wie "Selber für's Alter vorsorgen" reingefallen ist, den will Schwarz-Rot angemessen bestrafen: Der Sparerfreibetrag wird auf kaum mehr als die Hälfte heruntergesäbelt.

Einst wäre das von der Union noch als "Enteignung des kleinen Sparers" verunglimpft worden. Von ihren neuen Freunden haben die Schwarzen jedoch gelernt, daß die düstere Gestalt jenes "Sparers" bloß auf dem Geld sitzt, daß dem Staat viel besser zu Gesicht stünde. Die Christdemokraten haben nach langem Widerstand nun sogar begriffen, daß der Staat auch die Konjunktur lenken muß, weshalb er erst einmal richtig Geld vom Volk nehmen muß, wo es ohnehin falsch verteilt ist, um es dann vernünftig auszugeben. "Konjunkturprogramm" nennt man das. Solche Programme sind zwar in den 70ern alle-samt gescheitert und haben den Weg in den Schuldenstaat geebnet. Wo wir nun aber schon mal da sind, im Schuldenstaat, da laßt es uns doch noch ein einziges mal versuchen, nächstes Jahr - meinen erstmals einträchtig Rote wie Schwarze.

Ob Widerstand zu befürchten ist gegen das "Konjunkturprogramm"? I wo, von den Jungen weiß ohnehin keiner mehr, was das im Einzelnen bedeutet und wie fulminant die damals vor 30 Jahren gegen die Wand gefahren sind, denken sich die Strategen von Merkel und Müntefering. Da wird auch keiner murren. Hätten sie wie Vorgänger Schröder hingegen eine "Kommission" eingesetzt, um ihre Planlosigkeit zu verbergen - du liebe Zeit, das hätte ein hämisches Gelächter ausgelöst!

Lästig sind die sogenannten Wirtschaftsforschungsinstitute, die schon während der Schröderzeit in Prognosen und Gutachten Sachen hinausposaunten, die nun gar nicht zum Optimismus der Regierenden paßten. Und sie wollen es nicht lassen. Pünktlich zur Ankündigung des unmittelbar bevorstehenden Aufschwungs veröffentlichte das Mannheimer "Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung" (ZEW) am Dienstag einen Bericht, dem zufolge sich die deutschen Unternehmen gegenwärtig zwar einigermaßen wohl fühlen, ausgerechtnet auf die koalitionsamtlich für rosig erklärte nähere Zukunft aber mit Sorge blicken.

Die Wirtschaftsforscher sind nicht die einzigen, welche die Bedürfnisse der großen Koalition schroff ignorieren. Noch vor der Amtsübernahme haben Vertreter von Schwarz-Rot bei der Bundesbank vorbeigeguckt, um etwas von den deutschen Goldreserven abzustauben, die sie für den politisch dringend benötigten Aufschung 2006 klimpern lassen wollten. Die einstige Festung der D-Mark holte die Zugbrücken hoch und schimpfte sogar öffentlich über den Besuch. Ein ärgerlicher Affront. Schließlich wirbt die Kanzlerin in spe dieser Tage um "Vertrauen" dafür, daß sie "für eine gute Zukunft" ringt. Nun sorgte die Bundesbank dafür, daß jeder erfuhr, wie sie die Eiserne Reserve anknabbern wollte. Von wegen "Vorsorge für die Zukunft", werden böse Zungen jetzt zischen.

Haben wir uns etwa getäuscht? Ist Frau Merkel gar so eine, die nur nach außen so hausbacken wirkt wie ein graues Plastiksparschwein und in Wahrheit denkt: Zwei tolle Jahre hauen wir raus, was übrig ist, und dann könnt ihr mich alle mal? Ach was, keine Sorge. Merkel hat bei Kohl die Langstrecke gelernt und macht Politik nach dem Motto: "Es muß viel geschehen, aber passieren darf nichts." Nummer sicher währt am Längsten.

Die Natur bestätigt das. Pünktlich zum Koalitionsvertrag feierte im fernen Australien die Schildkröte Harriet ihren 175. Geburtstag. Charles Darwin hatte die damals Fünfjährige 1835 nach England verschleppt; rund 15 Jahre später transportierte man sie nach Sydney. Danach passierte im Leben der gepanzerten Dame nichts Aufregendes mehr. Zu erwähnen bleibt nur, daß ihre Betreuer erst um 1950 herausfanden, daß sie eine Frau war. Vorher hatte man sie über 100 Jahre lang "Harry" gerufen. Und? Hat sie das gestört? Nein, ebensowenig wie sich Angela Merkel das Gekichere über ihre Kochtopffrisur zu Herzen genommen hat. Einfach weiterlaufen und alles vertilgen, was einem in den Weg wächst - mit dieser Philosophie sind Angela und Harriet weiter gekommen als alle ihre längst versunkenen Stallkonkurrenten.

Die Union hat bei der SPD in kurzer Zeit viel gelernt - sogar, wie man eichelt, ohne rot zu werden. Bühnenbild ab 2007 Zeichnung: Götz Wiedenroth


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