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26.11.05 / "Das hat uns sehr geärgert" / Interview mit Christean Wagner, hessischer CDU-Fraktionsvorsitzender und Königsberger

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. November 2005

"Das hat uns sehr geärgert"
Interview mit Christean Wagner, hessischer CDU-Fraktionsvorsitzender und Königsberger

Was planen Sie in ihrem neuen Amt als Fraktionsvorsitzender der Hessen-CDU und somit "zweiter Mann" nach Roland Koch zuerst umzusetzen?

Wagner: Ich muß eindeutig sagen, daß ich mich vollständig in der Kontinuität meines Amtvorgängers befinde. Ich habe bereits als Mitglied des Kabinetts Koch in der Führungsmannschaft Hessens gestanden und deshalb gibt es keine Notwendigkeit neuer Akzente. Einer meiner ersten Auftritte als Fraktionsvorsitzender wird damit zusammenhängen, daß die Opposition sich über den Personalwechsel Gedanken machen will und entsprechende Anträge gestellt hat. Mein Ziel ist es, die Fraktion, die bislang schon in großer Geschlossenheit agierte, zu einem neuen Wahlsieg im Jahre 2008 zu führen.

Während Ihrer Zeit als hessischer Justizminister haben Sie vielbeachtete Bundesratsinitiativen eingebracht. Auf Landesebene haben Sie sich für umstrittene Vorhaben wie die Teilprivatisierung von Gefängnissen eingesetzt. Braucht Deutschland mehr Länderinitiativen dieser Art im Bundesrat?

Wagner: Wir haben eine ganze Anzahl von notwendigen Initiativen unternommen, wie den verbesserten Einsatz der DNA-Analyse bei der Verbrechensbekämpfung und zur Sicherheitsverwahrung. Das waren wichtige Themen, die einer verbesserten Strafverfolgung dienen. Das von Ihnen angesprochene erste teilprivatisierte Gefängnis in Deutschland haben wir in eigener Zuständigkeit, also in hessischer Länderregie, umgesetzt.

Sind teilprivatisierte Gefängnisse ein Vorbild für ganz Deutschland?

Wagner: Auf jeden Fall. Wir wissen, daß wir mit diesem Gefängnis erhebliche Effizienzgewinne erzielen können. Wir sparen mit diesem Gefängnis jedes Jahr rund 660000 Euro. Wir werden etwa statt bundesdurchschnittlich für 50 Prozent künftig für rund 70 Prozent der Strafgefangenen Arbeitsplätze bereitstellen, was einen ganz wichtigen Beitrag für deren Resozialisierung bedeutet.

Sehen Sie nicht auch Gefahren in der Abgabe staatlicher Souveränität in diesem Bereich?

Wagner: Nein, es erfolgt keine Abgabe staatlicher Souveränität. Der Staat ist zuständig, wo hoheitlich gehandelt werden muß. Die Teilprivatisierung ist genaugenommen, bei aller erfreulichen Neugier und allem öffentlichen Interesse, überhaupt nicht so sensationell. Es wird heute schon zum Beispiel die Versorgung von Gefangenen oder das Angebot von Arbeitsplätzen hier und dort privat betrieben. Wir haben jetzt einfach das optimale Maß zusammengefaßt. Dabei geht es um die Entlastung des Steuerzahlers und die Effizienz der Erledigung unserer Aufgaben.

Zurück zum Föderalismus. Das Thema Föderalismusreform steht nach wie vor auf der politischen Agenda. Wie muß sie aussehen?

Wagner: Die Föderalismusreform ist zwar noch nicht umgesetzt, aber sie ist zum Glück verbindlich verabredet worden. Wichtig ist, daß der Beteiligungsföderalismus reduziert wird. Ich war selbst jahrelang Mitglied des Bundesrates, und ich denke, daß jede Ebene ein Stückchen eigenständiger handeln muß, also die Länder weniger beeinflußt werden vom Bund und umgekehrt. In diesem wichtigen Punkt sehe ich, daß die Föderalismuskommission nun durch eine Einigung der beiden großen Parteien, Union und SPD, diesem Ziel ein großes Stück näher gekommen ist. Ich verhehle nicht, daß ein zweiter Schritt nachfolgen muß, die Änderung des Länderfinanzausgleiches. Dort gibt es nach wie vor große Unausgewogenheiten. Das Unterfangen ist noch viel schwerer, weil es natürlich Länder gibt, die dann einiges abgeben müßten. Es kann aber nicht sein, daß zum Beispiel das Land Hessen nach dem Länderfinanzausgleich ärmer ist als Länder, die vor dem Länderfinanzausgleich ärmer als Hessen waren.

Das bedeutet, die leistungsfähigen Länder dürfen nicht dafür bestraft werden, daß sie ihre Hausaufgaben gemacht haben?

Wagner: Genauso ist es. Die Zuständigkeiten müssen entzerrt und klarer getrennt werden.

Stichwort Bildungspolitik - Wie lassen sich die Länderbefugnisse heute noch sinnvoll stärken?

Wagner: Sie sind ja jetzt schon überwiegend stark, aber hier muß es - etwa im Hochschulbereich - noch weitergehende Kompetenzen der Länder geben. Ich sehe auch einen Bereich, der mein jetziges Ressort besonders betrifft: Die künftige Zuständigkeit der Länder für die Strafvollzugsgesetze. Für die Durchführung des Strafvollzugs vor Ort sind die Länder bereits jetzt zuständig. Das Problem ist nur - der Bund hat die Gesetze gemacht. Hier werden künftig die Länder für die Gesetzgebung zuständig sein.

Im Bereich Bildung ist die Hoheit der Länder in letzter Zeit kritisch beurteilt worden - Stichwort Pisa. Ist es sinnvoll diese Hoheit auszubauen?

Wagner: Die Bildungshoheit liegt überwiegend bei den Ländern. Pisa macht ja geradezu deutlich, wie wichtig der Wettbewerb der Länder ist. Eine ganze Anzahl von Ländern wie Bayern, Baden-Württemberg und zunehmend auch Hessen können erheblich bessere Ergebnisse in der Schule vorzeigen als andere Bundesländer. Der Wettbewerbsföderalismus ist ein Ansporn für die jeweiligen Regierungen, sich nicht auf zentrale Vorschriften des Bundes zu berufen, sondern selbst aktiv und initiativ zu werden.

Sollte es nicht einen stärkeren Einfluß des Bundes in der Bildungspolitik geben?

Wagner: Das wäre höchst fatal - eine rot-grüne Regierung, die jetzt mehrere Jahre in ihrem Amt ist und zum Glück abgelöst wird, hätte etwa in Deutschland die integrierte Gesamtschule flächendeckend einführen können unter Abschaffung von Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Das wäre eine Katastrophe gewesen.

Was wird denn das Ergebnis der Föderalismusreform sein?

Wagner: Die verbindlichen Ergebnisse führen zu einer deutlichen Entzerrung der wechselseitigen Zuständigkeiten. Das bedeutet, daß die Länderhoheiten in einzelnen Bereichen ausgeweitet werden und der Bund künftig von der Zustimmung des Bundesrates bei Gesetzgebungsangelegenheiten weniger abhängig sein wird.

Wenn man die Parallele Brüssel-Berlin zieht - auf EU-Ebene versucht Deutschland Kompetenzen des Nationalstaates zu wahren oder gar zurückzuholen. Gilt ähnliches auch für die Bundesländer gegenüber dem Bund?

Wagner: Das kann man so allgemein nicht beantworten. Ich bin der festen Überzeugung, daß das föderale Prinzip oder das Subsidiaritätsprinzip ausdrücklich auch in Brüssel praktiziert werden muß. Im EU-Verfassungsvertragsentwurf ist auf deutsches Betreiben diese Subsidiaritätsklausel eingebracht worden, die auch meiner Überzeugung entspricht, wonach die kleinere Einheit in aller Regel besser weiß, was ihr nützt als eine weit vom Ort des Geschehens entfernte Zentralgewalt.

Stichwort Ausweitung Brüsseler Kompetenzen - nach den Unruhen in Paris meldete sich die EU mit Vorschlägen für neue EU-Sozialfonds als Mittel gegen die Ursachen der Gewalt - wie sehen Sie diese Versuche, den Nationalstaaten Zuständigkeiten abzunehmen?

Wagner: Ob das wirklich Brüssels Aufgabe ist, wage ich sehr zu bezweifeln. Aber wenn die EU für soziale Integration Mittel zur Verfügung stellen will, dann dient das ja einem guten Zweck. Für die Integration der im Lande lebenden Ausländer muß viel getan werden. Wir Hessen zum Beispiel haben eine Entscheidung getroffen, wonach künftig nur noch solche Schüler die Grundschule besuchen können, die auch deutsch sprechen. Deshalb haben wir zahlreiche Deutschkurse für ausländische Kinder eingerichtet.

Sie sehen keine Gefahr, daß der Nationalstaat zwischen Brüssel und den Bundesländern an Handlungsfähigkeit einbüßt?

Wagner: Ich sage, daß Brüssel nicht immer mächtiger werden darf. Ich habe ja gerade vom Subsidiaritätsprinzip gesprochen. Es ist meine politische Überzeugung, daß die kleinere Einheit grundsätzlich mehr Zuständigkeit haben muß für eigene Angelegenheiten als eine Zentralgewalt. Das kann man aber auch auf das Verhältnis der Bundesländer zu ihren eigenen Gemeinden übertragen.

Ein anderes EU-Thema mit starkem Einfluß auf Deutschland ist das Antidiskriminierungsgesetz. Sie zählen zu den erklärten Kritikern dieses Gesetzes - warum?

Wagner: Weil dieses Gesetz einen massiven Eingriff in die Vertragsfreiheit bedeutet. Ich muß zum Schluß frei entscheiden dürfen, ob ich mit dem mir sympathischeren Bewerber um eine Mietwohnung den Mietvertrag schließe, oder ob ich dazu gezwungen werde, den Vertrag mit dem Unsympathischeren zu schließen. Das muß ich im Rahmen der Vertragsfreiheit frei entscheiden dürfen. Die Kriterien, die dort von der EU aufgestellt werden, kann ich nicht teilen. Das ist ein massiver Angriff auf die Freiheit in unserem Staate.

Ist das nicht ein EU-Kuckucksei?

Wagner: Es ist eine höchst ärgerliche Richtlinie, zu deren Umsetzung wir jetzt gezwungen sind, aber eins zu eins und nicht eins oben drauf. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen, an denen ich teilgenommen habe, deutlich gesagt, daß wir künftig beim Entstehen von Richtlinien vorher besser informiert sein wollen, um Fehlentwicklungen künftig schon im Keime zu vermeiden.

Zu einem anderen Thema - wie haben Sie als Ostpreuße die Feiern zum 750. Stadtjubiläum Königsbergs erlebt?

Wagner: Ich bin Mitglied des Vorstands der Stadtgemeinschaft der Königsberger, war früher im Bundesvorstand der Landsmannschaft der Ostpreußen und bin auch im Landesvorstand des Hessischen Landesverbandes der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen. Ich bin sehr enttäuscht darüber, daß die offiziellen Stellen in Rußland, an der Spitze Putin, nicht gemeinsam mit der Stadtgemeinschaft der Königsberger eine Jubiläumsfeier durchgeführt haben. Ich habe als Königsberger glänzende Kontakte zu den dort jetzt in Königsberg lebenden Russen und den offiziellen Stellen, zu Museumsdirektoren, zu den Leitern von verschiedenen Archiven und zur Universität. Da gibt es eine wirklich gute und völlig unverkrampfte Zusammenarbeit. Diese Menschen hätten es genau so gerne gesehen wie wir, daß wir eine gemeinschaftliche Jubiläumsveranstaltung durchführen. Ich bedaure auch sehr, daß Bundeskanzler Schröder die Jubiläumsfeier 750 Jahre Königsberg überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat. Das gleiche gilt für Putin. Das hat uns sehr irritiert und geärgert. Auf der anderen Seite muß ich sagen, daß wir Anfang August gemeinsam mit den Russen über viele Tage hinweg sehr, sehr schöne Jubiläumsfestakte in Königsberg begangen haben. Das ist ein bißchen Trost für die Verärgerung über Schröder.

Das Interview führte Sverre Gutschmidt.

Dr. Christean Wagner (CDU) wurde am 12. März 1943 in Königsberg geboren und ließ seinen eigenen Sohn aus Heimatverbundenheit in Königsberg taufen. Regelmäßige Reisen nach Ostpreußen sind für ihn selbstverständlich.

Nach dem Abitur in Bremen 1962, studierte Wagner in Marburg und Heidelberg Rechtswissenschaften. 1972 promovierte er zum Doktor der Rechte und war bis 1985 in verschiedenen öffentlichen Ämtern in leitender Position (Stadtdirektor, Landrat des Landkreises Marburg-Biedenkopf). 1986 bis 1987 war er Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, um dann 1987 zum Hessischer Kultusminister ernannt zu werden. 1991 wurde er Mitglied des Hessischen Landtags, 1999 Stellvertretender Vorsitzender der hessischen CDU-Landtagsfraktion und Hessischer Minister der Justiz. Seit 23. November 2005 ist er Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion.


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