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26.11.05 / USA planen neue "Berliner Mauer" / Um die illegale Einwanderung aus Lateinamerika zu bekämpfen, sollen Zäune und Bewaffnete eingesetzt werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. November 2005

USA planen neue "Berliner Mauer"
Um die illegale Einwanderung aus Lateinamerika zu bekämpfen, sollen Zäune und Bewaffnete eingesetzt werden
von Lieselotte Millauer

Wir leben in der Zeit einer neuen historischen Völkerwanderung, Immigration genannt. In erschreckend zunehmendem Masse scheinen Menschen, die in ihrem eigenen Land keine Chancen, keine Zukunft und somit keine Hoffnung mehr sehen, diese in einem anderen Land zu suchen. Denn die heutigen Technologien sind dabei, die Gesellschaft der gesamten Erde zu verändern.

Fernsehen, Internet, Telefon und Kino bringen die Welt auch ins entfernteste Dorf auf allen Kontinenten. Dies hat vor allem zwei Aspekte: Erstens das positive Gefühl einer Art von Zusammengehörigkeit aller Menschen auf diesem kostbaren, schönen, lebendigen Planeten. Doch zweitens ist da der negative Aspekt einer weltweiten gefährlichen Illusion, daß das Glück in der Ferne, den westlichen Industrienationen, liegt. Für die Chance in diesen Ländern, wo doch Milch und Honig fließt, zu leben, wird alles riskiert: der Verlust von Freunden und Familie, von vertrauter Heimat und kulturellen wie religiösen Banden, und nicht zuletzt die wenigen Ersparnisse und sogar das Leben.

Doch was der Immigrant aus Osteuropa, Asien, Afrika oder Lateinamerika nicht weiß, ist, daß der vermutete Reichtum der großen Industrienationen für den armen, oft ungebildeten Einwanderer eine Fata Morgana darstellt. Daß auch diese Länder ihre Armen, Verzweifelten und Chancenlosen haben, denen ihre eigene Regierung nicht zu helfen imstande oder willens ist, können sie sich nicht vorstellen.

Die dramatischen Konsequenzen dieses Irrtums sehen wir in Europa in den plötzlich aufgeflammten Unruhen in den Ausländer-Ghettos von Frankreich und der immensen Gefahr, daß sie auf Deutschland wie andere Länder übergreifen könnten.

Das gilt besonders auch für die USA, traditionell das begehrteste Einwandererland. Der "amerikanische Traum" ist keineswegs ausgeträumt. Immigration ist zu einem der Hauptprobleme der Regierung in Washington wie der einzelnen Staaten geworden. Kein Tag vergeht, an dem nicht die Zeitungen über illegale Einwanderer berichten. Über menschliche Tragödien, kriminelle Schmuggler, Schießereien an der Grenze zu Mexiko sowie Lösungsversuchen aller Arten.

Rund 500000 illegalen Einwanderern gelingt es jedes Jahr, US-amerikanischen Boden zu erreichen. Doch während Präsident Bush und seine Regierung am meisten illegal einreisende islamische Terroristen fürchten, so haben die Gouverneure von Texas, Arizona und vor allem Kalifornien weit realistischere Sorgen: die tägliche Flut von Latinos, die über die mexikanische Grenze kommen.

Gangs von brutalen Menschen-schmugglern, bestens vertraut mit Schleichwegen wie dem richtigen Umgang mit der Border Patrol, dem US-Grenzschutz, schleusen die alles riskierenden Ärmsten der Armen, meist junge Leute oder auch ganze Familien, in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wie Vieh werden sie in Transporter gestopft, durch die Wüste gekarrt und nicht selten dort einfach ausgesetzt.

Es ist der grausamste Menschenhandel seit Sklavenzeiten. Oftmals werden die illegalen Einwanderer, wenn sie sich auf US-amerikanischem Boden sicher glauben, an einen geheimen Ort gebracht und als Geiseln gehalten. Wie im Mai 2004, als die Polizei 79 Einwanderer befreite, die in einem einstöckigen Haus mitten in Los Angeles gefangengehalten worden wären, bis ihre Angehörigen in Mexiko Lösegeld bezahlt hätten.

Die menschlichen Tragödien sind die eine Seite. Die andere ist die Suche nach einer Lösung. Klar ist, daß der Menschenstrom nicht zu stoppen ist. Denn wer bereit ist, solche Strapazen zu erdulden und sich solchen Gefahren auszusetzen, ist auch bereit, hart zu arbeiten. Und es ist kein Geheimnis, daß die Masse der illegalen Latinos wie auch der Legalen einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Wirtschaft leistet. Trotz gesetzlicher Verbote, Geldstrafen und der Ausweisung von Illegalen wird von offizieller Seite oft auch ein Auge zugedrückt. Keiner arbeitet so hart und so billig wie einer, der nichts zu verlieren hat. Illegale Einwanderer arbeiten in der Landwirtschaft, in organisierten Hausreinigungsdiensten, nähen Billig-Kleidung für Fabriken und sind die besten Kinder- und Hausmädchen, nicht nur für die Mittelklasse, sondern auch für die Reichen von Beverly Hills. Die Frauen, die durch die palmengesäumten Straßen mit den Luxusvillen abends zur Bushaltestelle wandern, sind immer Latinos, die dann endlich nach Hause fahren, um ihre eigenen Kinder zu betreuen.

Im letzten Jahr haben nach einem Bericht in der "Los Angeles Times" legale wie illegale Latino- Einwanderer 46 Milliarden US-Dollar in ihre Heimatländer überwiesen. Das ist mehr als alle multinationalen Firmen und Organisationen verdienen. Und weit mehr als alle finanzielle Hilfe für Lateinamerika von den USA, Welt-Bank und Internationale Währungsfonds gemeinsam.

Diese verschiedenen Gesichtspunkte sind es, die eine Lösung so schwierig machen. Wenn man mit einem Schlag alle illegalen Einwanderer aus Kalifornien entfernen würde, bräche die Wirtschaft zusammen. Doch ähnlich wie die Deutschen und Franzosen um ihre nationale Identität fürchten, so ist auch der normale US-Amerikaner von der Furcht beseelt, sein geliebter Sonnenstaat könnte in fremde Hände fallen. Diese Angst ist nicht ganz unberechtigt.

Historisch gesehen, wurde Mexiko nach dem verlorenen Krieg gegen die USA 1848 gezwungen, Kalifornien, Arizona und Texas an die amerikanischen Union abzutreten. Insgeheim fühlen viele Mexikaner daher eine gewisse Berechtigung, vor allem in Kalifornien, wo noch fast alle Städte und die meisten Straßen spanische Namen haben, leben zu dürfen. Eine spanischsprachige Radiostation warb kürzlich mit einem riesigen Plakat über den Freeways mit dem Slogan: "Welcome to Los Angeles, Mexico!" Nach öffentlichen Protesten wurde die Kränkung entfernt.

Ab diesem Jahr hat L. A. mit dem politisch steil aufsteigenden Star Antonio Villariagosa zudem den ersten mexikanischen Bürgermeister seit 125 Jahren. Ein in den Armenvierteln von South

L. A. legal aufgewachsener brillanter, dynamischer "Selfmademan" und Politiker, der wahrscheinlich der beste Bürgermeister werden wird, den die Stadt je hatte.

Villariagosa ist keiner, der die Augen vor Problemen verschließt. Häufig besucht er nachts den berühmten Slum Skid Row mitten in Downtown Los Angeles, wo ein großer Teil der 91000 Obdachlosen vom Raum Los Angeles unter unwürdigsten Bedingungen auf den Straßen lebt. Doch es sind keineswegs die illegalen Einwanderer, die nun hier gelandet sind. Die sind alle auf zäher Jobsuche. Dies durchaus anerkennend, hat bereits Kaliforniens letzter Gouverneur Gray Davis, ein Demokrat, ein Gesetz vorgeschlagen, nachdem auch illegale Einwanderer einen gültigen Führerschein erhalten sollen, um unerlaubtes und daher unkontrolliertes Autofahren zu verhindern. Der Führerschein, die "Drivers License", ist in Kalifornien jedoch so gut wie ein Ausweis, mit dem man reisen, Autos mieten und überhaupt alles kann, für das man sich ausweisen muß.

Arnold Schwarzeneggers erste Handlung als Gouverneur von Kalifornien war, dieses Gesetz zu stoppen. Dabei wäre es eine gute Sache gewesen und hätte den hart arbeitenden Menschen ohne Visum ein Gefühl von Rechtmäßigkeit gegeben.

Tatkräftige Unterstützung des republikanischen Gouverneurs erhielt dafür die von besorgten Bürgern im letzten Jahr gegründete Border Control Militia, die "Minute Men". Bullige Rancher, die sich mit Schlagstöcken aller Art (heimlich sogar mit verbotenen Waffen) an der Grenze aufbauen, um verhaßte Illegale mit Brachialgewalt und Beschimpfungen in ihr Heimatland zurückzutreiben oder festzunehmen. Wie aus einem der alten "Western" entsprungen.

Es gab Proteste der Menschenrechtsorganisationen dagegen und Proteste von besorgten Bürgern. Aber irgendwann verloren entweder die selbsternannten Grenzbewacher die Lust, oder sie fanden nicht, was sie suchten. Eine Lösung stellten sie auch nicht dar.

Neueste Diskussionen gehen dagegen um eine Art "Berlin Wall", einen Zaun über 2900 Kilometer von Texas nach Kalifornien entlang der Grenze zu Mexiko. Einen solchen Zaun gibt es im übrigen schon in San Diego, dem Grenzübergang von Mexiko nach Kalifornien. Für 35 Millionen US-Dollar werden gerade die letzten 5,7 Kilometer fertiggestellt.

Aber mehr ist von öffentlicher Seite offenbar nicht geplant. "Es ist nicht die Rede davon, eine gewaltige Mauer um unsere Grenzen zu errichten", kommentierte die Homeland Security.

Und was meint Jim Gilchrist, Gründer des "Minute Men"-Projektes? Er möchte die Zahl der Grenzkontrolleure von 11000 auf 30000 erhöhen und die Beamten der Einwanderungsbehörde auf 10000 (von 6000). Bis das geregelt wäre, wünscht er sich den Einsatz von National Guard und Militär.

In der Zwischenzeit geht alles seinen alten Gang. Die Unbeirrten riskieren Leib und Leben, die Schmuggler machen ihre Geschäfte in dem - wie es jemand nannte - "Kult der Gesetzlosigkeit". Die überlastete Grenzpolizei drückt oft ein Auge zu. Oder verhaftet. Um die Gangster schnell wieder zu entlassen (zu 90 Prozent) und die harmlosen Illegalen abzuschieben. Denn Gefängnisse und Internierungslager quellen über von jenen, die nach Auffassung der Regierung eine "Gefahr" darstellen, als vermeintliche Terroristen oder größere Drogenhändler.

Die mexikanischen Konsulate verteilen ungehindert ihren "Guia del Migrante Mexicano", einen Ratgeber, wie man am einfachsten über die Grenze kommt und auf der US-amerikanischen Seite nicht erwischt wird. Mit Ratschlägen wie: "Überschreite die Grenze, wenn die Hitze am niedrigsten ist. Trage keine schwere Kleidung, wenn du einen Fluß durchqueren mußt. Achte auf Coyoten. Schicke Deine Kinder nicht mit Fremden über die Grenze."

Von allen Immigranten haben die Mexikaner es bei weitem am besten. Sie sind nahe ihrer Heimat. Sie haben in den Konsulaten eine starke Vertretung. Und sie finden mehr als genügend Landsleute, um sich zu Hause zu fühlen. Spanisch ist die erste Fremdsprache für viele US-Amerikaner. Und es ist ihnen immer noch lieber als Russisch - Hollywood ist beispielsweise in russischer beziehungsweise ex-sowjetischer Hand.

Letztlich sind die USA ja selbst eine Nation von Einwanderern. So erscheint es fast natürlich, daß in Los Angeles theoretisch die ganze Welt zu Hause ist.

Die deutsche Journalistin Lieselotte Millauer lebt seit über 14 Jahren in Los Angeles.


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