19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
26.11.05 / Gegenstück zur "Penthesilea" / Kleists "Käthchen von Heilbronn" in Wiesbaden erfolgreich aufgeführt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. November 2005

Gegenstück zur "Penthesilea"
Kleists "Käthchen von Heilbronn" in Wiesbaden erfolgreich aufgeführt
von Esther Knorr-Anders

Ein wahres Wunder an Kraft, Anmut und farbiger Volkstümlichkeit", nannte Gerhart Hauptmann Kleists "Käthchen von Heilbronn". Heinrich von Kleist schuf mit dem "historischen Ritterspiel" das Gegenstück zu seiner "Penthesilea". Er selbst nannte es "die Kehrseite der Amazonenkönigin, ihren anderen Pol, ein Wesen, das ebenso mächtig ist durch Hingebung, als jene durch Handeln". Stellt die "Penthesilea" den letalen Geschlechterkampf in den Vordergrund, agiert Käthchen unter Hingabezwang dem geliebten Mann gegenüber. Allerdings weiß sie kraft eines Schick-salstraumes, daß sie mit ihm vereint wird.

Das Schauspiel ist im Mittelalter angesiedelt, bietet in seiner Thematik aber modernes Psychodrama. Liebe ist immer Bann, Verzauberung, und nicht nur in vergangenen Zeiten glaubte der Mensch an Geister, Schutzengel, an den Satan. Der Wiesbadener Intendant Manfred Beilharz lieferte in dieser Saison eine textlich stark geraffte Inszenierung, die sich als glücklich erwies. Kleist ließ in seinem Schauspiel durchaus ironisch-spöttische Gags zu; Beilharz verzichtete nicht darauf. Aus der geschlossenen Ensemble-Gesamtleistung stachen natürlich die Hauptprotagonisten, insbesondere "Käthchen" (Anna Maria Kuricova) und "Graf Wetter vom Strahl" (Sebastian Münster), hervor. Allen gemeinsam war eine heute so selten zu hörende Sprachkultur.

Kurz zum Inhalt: Das Femegericht tagt. Waffenschmied Friedeborn aus Heilbronn (Hans Jörg Krumpholz) klagt Wetter vom Strahl an, seine Tochter Käthchen verzaubert, verführt zu haben, wie eine "Hure" folge sie ihm, wohin er auch zöge, ein Satan sei er. Krumpholz gelingt es, Empörung, Verzweiflung und eigene Verstrickung in den Aberglauben eindringlich Ausdruck zu verleihen. Nicht weniger eindringlich weist Strahl die Beschuldigung zurück. Er fordert vom Femerichter (Volker K. Bauer), Käthchen als Zeugin zu rufen. In einem gnadenlosen Verhör bezeugt sie, daß ihr nichts geschehen sei. Strahl wird freigesprochen. Später, allein mit sich, dämmert ihm, daß er Käthchen liebt, aber heiraten kann er sie aus Standesgründen nicht.

Käthchen folgt ihm erneut. Sie wird ihm lästig. Strahl verliebt sich in die schöne Kunigunde, will sie heiraten. Gräfin Helena wittert als Frau und mehr noch als Mutter die Verlogenheit Kunigundes. Strahl braucht dazu etwas länger.

Ein Racheakt des abgewiesenen Verlobten Kunigundes läßt ihre Burg Thurneck in Flammen aufgehen. Die aus dem Gemäuer entflohene Kunigunde vermißt ein ihr wertvolles Futteral. Käthchen hastet in die brennende Burg, um das Wertstück für die Braut von Strahl zu holen. Glück-lich soll er werden, es ist ihre Form unselbstsüchtiger Liebe. Im Rauch droht Käthchen zu ersticken. Strahl, der sie retten will, wird von Kunigunde zurückgehalten. Als die Burg schließlich einstürzt, steigt Käthchen aus den schwelenden Trümmern, hinter ihr, nur schemenhaft wahrnehmbar, ihr Schutzengel. Er bleibt zurück, vergeht in den Rauchschwaden. Stille! Wer jetzt nicht an Schutzengel glaubt, verdient keinen.

Die wohl berühmteste Szene des Stücks ist die sogenannte "Traumszene": Strahl findet Käthchen schlafend bei einem Holunderbusch. In trance-ähnlichem Zustand befangen, spricht sie im Schlaf. So erfährt er, daß sie ihn liebt, daß ihr in einem Silvesternachtstraum ein Engel an der Seite Strahls erschien. Bestürzt erinnert er sich eines gleichen Silvesternachtstraums. Weiter erfährt er, daß sie ein rotes Mal am Halse trage, das sie als des Kaisers Tochter ausweise. Auch dieses Zeichen hatte Strahl in jenem Traum gesehen. Er läßt sie nach Schloß Strahl führen. Noch einmal greift der Schutzengel ein. Er vereitelt einen Giftanschlag Kunigundes, die Käthchen als Rivalin aus dem Weg räumen will. Ein weiterer Grund: Käthchen hat Kunigunde in der Grotte baden sehen. Ihre Schönheit ist bloßes Kunstprodukt aus Kosmetika, Perücke, Ersatz- und Stützteilen. Die Entdeckte kreischt, ihre sonst schmeichelnde Stimme gleicht klirrenden Eiswürfeln. Beilharz flicht eine dem Publikum kaum zugängliche Szene ein: Vor Kunigunde schleicht eine ins Badetuch gehüllte, kahlköpfige, schiefe Frauengestalt - zu deuten wohl als Alter ego Kunigundes.

Finale: In Anwesenheit des Hofes, gibt der Kaiser (Uwe Kraus) dem Grafen Strahl Käthchen zur Frau. Er hat sie zur Prinzessin von Schwaben erhoben. In der vorher stattfindenden nächtlichen Szene bekannte sich der Kaiser zur Vaterschaft. Als Beweis diente ihm ein Amulett, das er in seliger Nacht einer kurzen Liebe schenkte, des Heilbronner Waffenschmiedes Ehefrau ...

Diese eindrucksvolle Inszenierung deutscher Dichtung wurde vom Publikum in Wiesbaden mit langem Applaus und vielen Bravorufen gewürdigt. Sie wird noch die ganze Saison über zu sehen sein.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren