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26.11.05 / Weihnachtszauber / Wie heiße Maronen die Generationen verbinden und Kindheitserinnerungen wecken

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. November 2005

Weihnachtszauber
Wie heiße Maronen die Generationen verbinden und Kindheitserinnerungen wecken
von Renate Dopatka

Herrlich, diese klare Winterluft! - Ich hätte richtig Lust, mal wieder über den Weihnachtsmarkt zu bummeln. Du nicht auch?" Den Autoschlüssel schon in der Hand, schaute Christine gereizt zu ihrem Vater hinüber, der im Vorgarten stand, freudig die Nase in die Luft hielt und einfach nicht ins Haus zurückgehen wollte. Bei aller Liebe: zuviel war zuviel! Reichte es nicht, daß sie ein gut Teil ihres Feierabends opferte, um für ihn einzukaufen und seine Wohnung ein wenig auf Vordermann zu bringen - mußte er sie da noch mit seinen sentimentalen Wünschen aufhalten? "Weihnachtsmarkt?" Sie verzog das Gesicht. "Aus dem Alter sind wir doch beide längst heraus. Oder macht es dir etwa wirklich noch immer Spaß, an all diesen Kitschbuden vorbeizulatschen?" Auf seinen Stock gestützt, blickte der Vater sehnsüchtig Richtung Innenstadt. "Um sich ein wenig verzaubern zu lassen - dafür ist man doch nie zu alt", erwiderte er leise. "Tut mir leid!" Mit Schwung ließ sich Christine hinters Steuer ihres Autos fallen. "Dieser ganze Weihnachtszinnober steht mir bis zum Hals! Außerdem wartet zu Hause ein dicker Wust an Akten, den ich übers Wochenende durchsehen muß." Etwas im Blick ihres Vaters ging ihr plötzlich nah, und sie lächelte versöhnlich: "Sei mir nicht böse, Papa - vielleicht ein andermal, ja?" "Schon gut, meine Kleine", lächelte der Vater, aber seine Augen schauten ins Leere. Winkend sah er ihr nach, um dann langsam ins Haus zurückzukehren. Seine gebeugte Gestalt glaubte Christine auch dann noch im Rückspiegel wahrzunehmen, als die stille Vorortsiedlung längst hinter ihr lag - Wie immer führte sie ihr Weg ins Stadtzentrum, wo sie ein komfortables Hochhausappartement bewohnte, am Marktplatz vorbei. Wo sonst Obst- und Gemüsehändler ihre Waren feilboten, herrschte jetzt weihnachtlicher Lichterglanz. Bisher war sie stets achtlos an diesem stimmungsvollen Treiben vorübergefahren. Statt sich an Glanz und Glimmer zu erfreuen, hatte sie sich über das ziellose Verhalten auswärtiger Weihnachtsmarktbesucher geärgert, die auf der vergeblichen Suche nach einem freien Parkplatz den Verkehr immer wieder ins Stocken geraten ließen. An diesem Abend schaute sie zum ersten Mal genauer hin. Ihre Blicke schweiften über festlich geschmückte Holzbuden, Karussellpferdchen und rauchgeschwängerte Bratwurststände, um schließlich an einem Schild, auf dem in großen Lettern "Heiße Maroni" geschrieben stand, hängenzubleiben. Heiße Maronen. Ein erinnerungsschweres Lächeln spielte um ihren Mund. Ja, es gab eine Zeit in ihrem Leben, da hatte der Weihnachtsmarkt große Anziehungskraft für sie besessen. Das Geld war knapp gewesen in der kleinen Familie, trotzdem hatte es der Vater immer geschafft, in der Adventzeit ein paar Münzen beiseite zu legen, um ihr davon ein Tütchen gebrannte Mandeln, Lebkuchen oder gar ein kleines Rauschgoldpüppchen zu kaufen. Und nie hatte sie den Heimweg angetreten, ohne in ihren frostklammen Händen ein Schälchen frisch gerösteter, heißer Maronen zu halten. Der Gedanke daran stimmte Christine plötzlich wehmütig. Zu Hause, auf ihrer kühlen Ledercouch, ein Glas Sherry in der Hand, starrte sie lange auf den Aktenstapel auf ihrem Schreibtisch. Die Arbeit wartete, aber was immer sie jetzt auch in Angriff nähme: Sie wäre nur mit halbem Herzen dabei - kurzes Zaudern, dann holte sie ihr Handy hervor: "Ich bin's, Papa. Ich weiß, es ist schon spät" Sie zögerte - "Fehlt dir etwas, meine Kleine?" fragte die besorgte Stimme ihres Vaters. "Nein, nein, alles in Ordnung. Es ist nur, als ich vorhin am Markt vorbeikam, habe ich einen Stand mit heißen Maronen entdeckt. Und seitdem spuken mir die Dinger ständig im Kopf herum." "Aber warum hast du nicht gleich welche gekauft?"

"Hmm, irgendwie hatte ich wohl Angst, sie könnten mir nicht so recht schmecken, wenn ich sie mir selber kaufe." "Aha! Du willst wohl, daß ich sie dir spendiere?" "Würdest du denn?" "Das fragst du noch?" Christine hörte den hellen, fröhlichen Klang seiner Stimme. Und deutlich glaubte sie zu sehen, wie sich seine gebeugte Gestalt dabei immer mehr aufrichtete - so wie sie es sich gewünscht hatte.

Weihnachtsstimmung: Märkte locken Jung und Alt

Bisher war sie achtlos am Markt vorübergefahren


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