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03.12.05 / Sankt Florian läßt grüßen / Ist Deutschland noch reformfähig? - Opfer ja, aber bitte bei den anderen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Dezember 2005

Sankt Florian läßt grüßen
Ist Deutschland noch reformfähig? - Opfer ja, aber bitte bei den anderen

Ein Aufschrei geht durchs Land. Ein Aufschrei, nicht ein Ruck, wie ihn einige unserer Bundespräsidenten herbeizureden bemüht waren. Der Aufschrei kommt von all jenen, die als erste erfuhren, mit welchem konkreten Beitrag sie sich an der Sanierung von Staatsfinanzen und Sozialsystemen beteiligen dürfen. "Ungerecht!". "Inakzeptabel". "Unsozial". Und: "Hände weg vom Weihnachtsgeld ... von der Eigenheimzulage ... von der Pendlerpauschale". So tönte es aus Kreisen der Beamten, der Wehr- und Zivildienstleistenden, der Eigenheimbauer, der Berufspendler.

Sie alle verbindet eins: die Berufung auf das sogenannte St.-Florian-Prinzip ("O heiliger St. Florian, verschon' mein Haus, zünd' andre an"), benannt nach einem im heutigen Österreich stationierten römischen Beamten, der zu Beginn des 4. Jahrhunderts zum Christentum übertrat und den Märtyrertod erlitt. Ohne eigenes Zutun wurde Florian zum Schutzpatron der Feuerwehren, aber auch der Gärtner. Die nach ihm benannte Geisteshaltung, drohende Lasten auf andere abzuschieben, findet im Leben des Heiligen keine Parallele.

Die heutigen selbsternannten "Schutzbefohlenen" Florians sind natürlich nicht grundsätzlich gegen Reformen. Sie wissen, daß Vater Staat sich selbst und allen seinen "Kindern" den Gürtel enger schnallen muß, um seine Fürsorgepflicht überhaupt noch erfüllen zu können. Sie unterschreiben jeden Aufruf zu Vernunft, Sparsamkeit, Bescheidenheit. Sie ärgern sich über Mitnahme-Mentalität, Schmarotzertum und betrügerische Ausbeutung der Sozialsysteme. Und sie widersprechen nicht, wenn es heißt: Alle müssen Opfer bringen!

Aber sie meinen damit: Alle anderen müssen Opfer bringen! Die Staatsdiener erinnern daran, daß sie schließlich erstens schon genug Opfer gebracht hätten und zweitens immer schon benachteiligt gewesen seien. Die Benutzer (und mit ihnen die Nutznießer) des Öffentlichen Nahverkehrs verweisen auf den ökologischen und energiepolitischen Nutzwert, der sich natürlich nur mit Hilfe großzügiger Subventionen halten lasse. Häuslebauer versichern, nur die staatliche Zulage habe bisher den Totalzusammenbruch des Baugewerbes sowie das Ende der in eigenen vier Wänden seßhaften deutschen Familie verhindert. Viele Pendler nehmen für sich in Anspruch, daß sie schließlich weite Arbeitswege in Kauf nähmen, um nicht arbeitslos zu werden (oder zu bleiben); das dürfe doch vom Staat nicht auch noch bestraft, sondern müsse honoriert werden.

Jeder einzelne von ihnen hat recht. Aber wir sind inzwischen in einer so brenzligen Lage angekommen, daß es nicht mehr um "jeden einzelnen" geht, sondern um den Bestand des Ganzen. So schmerzlich das oft sein mag: Auf "Einzelschicksale" kann keine Rücksicht mehr genommen werden, sonst können wir die ganze Reformpolitik gleich ganz vergessen. Und damit in absehbarer Zeit wohl auch die Existenz eines Landes namens Deutschland - das zeitweise von seinen Bewohnern irrtümlich für eine Art Paradies auf Erden gehalten wurde.

Denn es wird ja so weitergehen, wie es nach Merkels Kanzlerkür und den ersten konkreten Ankündigungen begonnen hat: Ob Lehrer oder Landwirt, Manager oder Mittelständler, Arbeiter oder Angestellter - jeder wird tausend gute Gründe nennen können, warum gerade er von Sparmaßnahmen verschont bleiben muß. Wenn aber alle so denken, bleibt am Ende überhaupt kein "anderer" mehr übrig, dessen Haus St. Florian anzünden könnte.

Kanzlerin Merkel und ihr rot-schwarzes Kabinett stehen angesichts des Reformstaus auf so vielen Gebieten vor einem Berg von Aufgaben; die gigantischste wird es sein, das St.-Florian-Prinzip aus den Köpfen der Menschen herauszubekommen. M.S.

Was mögen sie da schon wieder an Folterqualen ausgeheckt haben? Kanzlerin Angela Merkel und ihr Wirtschaftsminister Michael Glos Foto: Reuters

"Auf Einzelschicksale kann keine Rücksicht mehr genommen werden"


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