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03.12.05 / Aufs Maul schauen ...

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Dezember 2005

Hans-Jürgen Mahlitz:
Aufs Maul schauen ...

Dauerthema Rechtschreibreform: Kaum ist sie - in 14 von 16 Bundesländern - in Kraft, da soll sie erneut geändert werden. Der "Rat für deutsche Rechtschreibung", der alle vier Wochen zusammentritt, vollzieht in wohldosierten kleinen Schritten den Rückzug aufs alte Regelwerk. Ende Oktober hatte das Gremium angeregt, häßliche und sinnentstellende Silbentrennungen wieder abzuschaffen. So soll der Esel nicht mehr nach dem "E" und der Urinstinkt nicht mehr nach der zweiten Silbe getrennt werden dürfen.

Ende November legte der Rat nach: Auch die gerade erst reformierten Regeln zur Groß- und Kleinschreibung sollen wieder "zurückreformiert" werden. Damit wäre dann - ganz aktuell - auch die Frage geklärt, wie groß die derzeit regierende Koalition denn nun wirklich ist - zumindest grammatikalisch wäre sie dann tatsächlich "Groß", nämlich großgeschrieben.

Der Vorsitzende des Sprach-Gremiums, Hans Zehetmair, begründet die stückweise Reform der Reform damit, daß in Deutschland wieder nach dem Sinn und nicht stur nach dem Regelwerk geschrieben werden solle. Das ist im Prinzip richtig. Aber man fragt sich erstaunt, warum unsere Politiker erst auf solch glorreiche Ideen kommen, nachdem sie dem Volk diese ungeliebte und ungewollte Rechtschreibreform aufgezwungen haben.

War die Kritik an diesen oft sinnlosen neuen Regeln in den letzten Jahren etwa nicht massiv genug? Reicht es nicht, wenn nahezu alle Betroffenen - Lehrer, Eltern und Schüler, aber auch Schriftsteller und Journalisten - vehement dagegen protestieren, daß ihnen von oben verordnet wird, was richtiges und was falsches Deutsch sein soll?

Was sollen wir Bürger denn sonst noch alles anstellen, um unsere Volksvertreter darauf aufmerksam zu machen, wer eigentlich das Volk ist, das sie zu vertreten vorgeben - und was dieses Volk wirklich will?

Es kann doch nicht sein, daß Protest nur noch wahrgenommen wird, wenn er radikal genug ist, die Grenzen zu verbaler Gewalt überschreitet oder sich gar jener "Regelverletzungen" bedient, die von der '68er APO und ihren ideologisch verblendeten Nachahmern salonfähig gemacht wurden.

Und es kann erst recht nicht sein, daß Politiker schnell einbrechen, wenn mächtige Interessengruppen kräftig auf die Pauke hauen (bis hin zu Nötigung und Erpressung), daß aber leise vorgetragene, sachliche und konstruktive Kritik an Regierungsprojekten allenfalls in Sonntagsreden gelobt, im politischen Alltag jedoch ignoriert wird.

Demokratie heißt doch nicht: Wer am lautesten brüllt, hat recht! Demokratische Politiker sollten sich zwar an das halten, was einst der Reformator Martin Luther empfahl: "dem Volk aufs Maul schauen". Dazu gehört aber auch der von Franz Josef Strauß geprägte Nachsatz "... aber ihm nicht nach dem Mund reden".

Mit einer gesunden Mischung aus mutiger Entscheidungskraft und einfühlsamer Rücksichtnahme hat Luther nicht nur das spätmittelalterliche Konfessionsgefüge, sondern auch die deutsche Sprache reformiert. Die heutige politische Klasse wäre gut beraten, den großen Reformator zum Vorbild und Lehrmeister zu nehmen - nicht nur, wenn es um die Rechtschreibreform geht.


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