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10.12.05 / Erste Schritte – kein Fauxpas / Außenpolitik – gelungener Auftakt der neuen Bundesregierung

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Dezember 2005

Erste Schritte – kein Fauxpas
Außenpolitik – gelungener Auftakt der neuen Bundesregierung

Samuel P. Huntington hat vor 40 Jahren zusammen mit Zbigniew Brzezinski ein Buch mit dem Titel „Politische Macht“ geschrieben. Im Vorwort danken die beiden Autoren ihren Frauen mit lesenswerten Worten: „Wie stets kommt der Dank an die Ehefrauen zuletzt. Dies rührt wahrscheinlich daher, daß sie stets die ersten sind: die ersten, die uns kritisieren, aber auch die ersten, die uns Mut zusprechen; die ersten, die unsere ,kostbare‘ Zeit in Anspruch nehmen, und die ersten, die uns helfen, wenn die Zeit knapp wird. Sie bringen uns als erste wieder auf die Erde zurück, wenn die Kritiken über unser Buch gut ausfallen, und sie sind auch die ersten, die Lobeshymnen auf uns anstimmen, wenn die Kritiken schlecht sind. Daher ist dieses Buch in vieler Hinsicht auch ihr Buch.“

Solcher Realitätssinn und Humor zeichnet viele Amerikaner aus, auch die beiden außen- und geopolitischen Experten. Sie dürften zu den Männern in Washington gehören, die mit besonderer Spannung erwartet haben, wie die neue deutsche Kanzlerin sich nun auf dem internationalen Parkett be-wegen wird. Wird sie die erste sein, die ehrlich Kritik übt, und die erste, die den Freunden Mut macht in der Krise? Wird sie die Leistungen der Freunde jenseits des Atlantiks angemessen würdigen und sie auf die Erde zurückholen, wenn das Lob von der falschen Seite kommt?

Es hat nichts mit Feminismus zu tun, wenn man konstatiert, daß Frauen anders Politik machen als Männer. Natürlich gilt für alle die alte Weisheit, daß es in der Politik keine ewigen Freunde und keine ewigen Feinde, sondern nur ewige Interessen gibt. Aber vielleicht vermögen manche Frauen diese Interessen besser mit Freundschaften zu verbinden als Männer. Im Fall von Merkel, ihrem Vorgänger und den deutsch-amerikanischen Beziehungen dürfte das nicht allzu schwer sein. Sie hat die Chance, das neue Kapitel in den Beziehungen zu ihrem Buch zu machen.

Bisher hat sie auf dem Feld der Außenpolitik jedenfalls noch keinen Fehler begangen. Ihre erste Reise ging nach Paris, die erste ihres Außenministers nach Washington. Diese Woche ist Steinmeiers Amtskollegin Condoleezza Rice in Berlin. Sie und Steinmeier bereiten das Terrain für den Besuch Merkels in Washington in der ersten Januarhälfte vor, es soll ein erfolgreicher Besuch werden. Bis dahin wird Bush sich vermutlich aus dem Popularitätstief etwas herausgearbeitet haben, die Regierung arbeitet daran mit einiger Verve. Bis dahin wird das Geheimnis um die CIA-Gefängnisse aufgeklärt sein. Bis dahin wird man auch etwas klarer sehen, wohin die Reise mit der Uno geht und wie weit die Iraner mit ihrer Atombombe sind. Bis dahin werden die Europäer weiter auf der Stelle getreten sein, denn solange die Briten die Ratspräsidentschaft innehaben, wird es in Europa keinen Fortschritt geben. Überhaupt scheint Frau Merkel mit den Briten auch wenig anfangen zu können, diese bleiben irgendwie mit ihren eigensinnigen Interessen im Nebel der Insel gefangen.

Aber ganz unabhängig von der Lage in sechs Wochen: Die Kanzlerin wird in der Außenpolitik erst einmal Reparaturarbeiten zu erledigen haben. Dabei ist das Verhältnis zu Washington nur ein Teil. Scherben gilt es auch in Europa zu beseitigen. Steinmeier fing damit in Moskau an, Frau Merkel flog nach Warschau.

Es läge auch im Interesse Europas, das Weimarer Dreieck (Paris, Berlin, Warschau) zu stärken und die stark personalisierten Beziehungen zu Moskau auf ein sachlicheres Niveau herunterzufahren. Es sollte endlich Schluß sein mit den rührseligen Umarmungen der Männerfreunde, die dann in überschwenglichen Worthülsen endeten. Jedenfalls ist die kühle und nüchterne Frau Merkel dafür nicht geeignet, und ihr Außenminister Steinmeier ist auch nicht der Typ dafür.

Frau Merkel wird also nicht nur die Türkei-Debatte in ein ruhigeres, rationales Fahrwasser lenken, sondern auch die personalisierte Rußland-Politik, die schon unter Kohl begann, auf das Feld der freundschaftlichen Interessenpolitik führen. „Deutsche Außen- und Europapolitik gründet sich auf Werten, und sie ist Interessenpolitik“, hat sie in ihrer Regierungserklärung erfreulich nüchtern vorgetragen. Das wird sie nun auf den verschiedenen Feldern zu beweisen haben.

Für deutsche Regierungen gelte der Primat der Außenpolitik, meinte Kanzler Bismarck. Hier hat seine späte Nachfolgerin wahrscheinlich noch Erkenntnisbedarf. Aber das kann schneller kommen, als ihr lieb ist. Viele innenpolitische Themen sind heute eng mit außen- oder gar geopolitischen Themen verwoben, etwa die Ausländerfrage, die Zuwanderungspolitik, die Umweltpolitik oder die Wirtschaftpolitik. Es muß nicht immer gleich die große Krise sein, wiewohl man auch dies nicht ausschließen kann.

Im Nahen und Mittleren Osten kann jederzeit eine Krise ausbrechen. Was passiert zum Beispiel, wenn die riesigen Erdölreserven in Kanada durch technologischen Fortschritt preiswerter auf den Markt geworfen werden können als die arabischen? Immerhin steht Kanada nach Saudi-Arabien mit diesen Reserven an zweiter Stelle der weltweiten Anbieter, noch vor Irak, Iran, Kuweit oder Rußland.

Die Welt steckt voller Herausforderungen. Europa kann es sich eigentlich nicht mehr leisten, so weiterzuwursteln wie bisher. Je früher die unsinnige Aufblähung und Überdehnung beendet wird, um so eher kann man sich auf die Vertiefung und damit auf die wirkliche Zukunft des alten Kontinents konzentrieren.

Natürlich kann man nicht schon jetzt den Türken sagen, daß es mit der Vollmitgliedschaft nichts wird. Aber man kann von der Überforderung der Aufnahmenfähigkeit der EU reden; Frau Merkel hat das auch getan. Und sie hat erkannt, daß die Krise Europas heute eine Krise des Vertrauens ist. Vertrauen braucht Verläßlichkeit, Realitätssinn und den Mut zur Ehrlichkeit. Menschliche Tugenden, die man in Brüssel ebenso oft vermißt wie im Dialog mit Polen, Rußland und Amerika.

Genügend Stoff also für die nächsten Jahre, auch wenn man bei der SPD nicht müde werden wird, das Lied von der Kontinuität zu singen. Die einzige Konstante in der Außenpolitik sei die Geographie, lehrte Bismarck. Sie bestimme die Interessen. Frau Merkel wurde dem gerecht, ihre ersten Besuche galten den unmittelbaren Nachbarn und der Nato in Europa. Steinmeier zog die weiteren Kreise. Indem die Bundeskanzlerin noch die Werte hinzufügt, die für sie die Würde des Menschen ausmachen (Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, Toleranz), zeigt sie einen Ariadne-Faden auf, der durch das Wirrwarr der heutigen globalisierten Welt führen könnte. Diesem gesunden außenpolitischen Instinkt sollte sie folgen. Lim

Ausweichend: „Wir versprechen, alles zu tun was wir können, um Fehler zu berichtigen, falls sie auftreten“, wand sich die US-Außenministerin um eine direkte Aussage. Foto: Reuters


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