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10.12.05 / Aus "höheren" Beweggründen / Islamisten nehmen im Dschihad auch Opfer aus der eigenen Religionsgemeinschaft als notwendig in Kauf

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Dezember 2005

Aus "höheren" Beweggründen
Islamisten nehmen im Dschihad auch Opfer aus der eigenen Religionsgemeinschaft als notwendig in Kauf

Der Fall der im Irak entführten Susanne Osthoff gibt der deutschen Öffentlichkeit Rätsel auf: Warum entführen mutmaßliche islamistische Fanatiker eine zu ihrem Glauben konvertierte Frau, die sich seit vielen Jahren intensiv für den Irak und seine Menschen – fast ausschließlich Muslime – einsetzt? Wie paßt das verbrecherische Vorgehen zusammen mit den Beteuerungen islamischer Würdenträger, Islam heiße "Frieden"? Islamwissenschaftler Gerd-R. Puin gibt Antworten.

Das Schicksal von Susanne Osthoff im Irak bewegt uns, und es irritiert uns zugleich. Sie ist nicht kämpfende Partei, sondern steht mit ihrem vielfältigen Engagement auf der Seite des irakischen Volks. Sie hilft materiell, aber auch geistig, denn als Archäologin will sie „ihrem“ Land das historische Vermächtnis Mesopotamiens erhalten. Solches oder ähnlich nobles Verhalten von Nicht-Muslimen ist ein Schutz vor religiös begründbaren Übergriffen: „Allah verbietet euch nicht, euch denen gegenüber gütig und gerecht zu verhalten, die euch nicht der Religion wegen bekämpft oder euch aus euren Häusern vertrieben haben“ (Koran 60:8).

Um so mehr Schutz genießt in der islamischen Gesellschaft derjenige, der Muslim ist oder geworden ist wie Frau Osthoff. So soll der Prophet Mohammed (nach Bukhari und Muslim) gesagt haben: „Einen Muslim zu beleidigen ist Bösartigkeit, und ihn zu bekämpfen ist Unglaube.“ Und die höchste islamische Autorität, der Koran, sagt in Sure 4:93: „Und wer einen Gläubigen vorsätzlich tötet, dessen Vergeltung ist die Hölle, wo er (ewig) bleiben soll. Der Zorn Allahs und sein Fluch ist über ihm und er hat ihm eine gewaltige Strafe vorbereitet.“ Überhaupt erlaubt der Islam die Todesstrafe nur in den Fällen von Mord, öffentlicher Unzucht und beim Abfall vom islamischen Glauben.

Dies ist das freundliche Gesicht des Islams, man kennt es aus den Veranstaltungen des christlich-islamischen Dialogs: Gerne glauben die Christen der Botschaft ihrer abrahamitischen Mitbrüder, und gerne beschwören die Muslime, daß „Islam“ eigentlich „Friede“ heiße, besser „Frieden machen“, daß die im Namen Allahs begangenen Verbrechen nichts mit dem Islam zu tun hätten. Auch das möchte man gerne glauben, man möchte Zeuge sein, wenn sich die „Gemäßigten“ von den „Radikalen“ abgrenzen. Doch leider geschieht dies bei uns nur in Ansätzen, im Irak und in den anderen islamischen Ländern überhaupt nicht.

Warum ist es so schwer, den gemäßigten vom radikalen Islam zu unterscheiden? Weil sich beide Gruppen auf dieselben Texte berufen können, welche die Quellen der islamischen Religion sind: auf den Koran (als dem letzten Wort Gottes an die Menschheit), auf die Sunna (die überlieferten Sprüchen und Taten des Propheten) und die Sira (die vorbildliche Biographie des Propheten). Während sich die gemäßigten Muslime der versöhnlichen Teile dieser drei Überlieferungen bedienen und über die gegensätzlichen Aussagen schweigen, beziehen sich die „Islamisten“ oder „Dschihadisten“ auf die andere, unversöhnliche Hälfte in denselben Texten und wischen die versöhnlichen Stellen beiseite. Beide Seiten treffen also eine Auswahl aus einer gewaltigen Menge an Aussagen, die im Laufe der frühen Geschichte des Islams entstanden sind. Von keiner der Seiten werden sie historisch relativiert, als Symbole verstanden oder theologisch hinterfragt.

Beide Seiten sind, verglichen mit der mitteleuropäischen Gesellschaft, extrem konservativ und richten sich in ihrem Handeln nach den ihnen gemäßen Texten; gerade die Islamisten tun dies. Und in der Frömmigkeit läßt sich ein Muslim ungern von einem anderen übertreffen; so kommt es, daß sich in den letzten 20 Jahren die liberalen Muslime stets vor den weniger liberalen rechtfertigen müssen, weil letztere die klareren Aussagen des Korans auf ihrer Seite haben. Werfen wir also einen Blick auf die religiös sanktionierenden Elemente der islamistischen Ideologie:

Zunächst werden die versöhnlichen Passagen mit Hilfe der Lehre außer Kraft gesetzt, daß im Falle von Widersprüchen der zuletzt offenbarte Vers gelte. Nach dem Korangelehrten Suyûtî (1445–1505, „ist alles im Koran, das von Vergebung für die Ungläubigen, von der Freundschaft mit ihnen, von der Toleranz und Zurückhaltung ihnen gegenüber handelt, abgeschafft (,abrogiert‘) durch den ,Vers des Schwertes‘, nämlich: ,Wenn nun die Schutzmonate abgelaufen sind, dann tötet die Götzendiener, wo immer ihr sie findet, ergreift sie, belagert sie und lauert ihnen aus jedem Hinterhalt auf! …‘ (Koran 9:5); durch diesen Vers sind 124 andere (das heißt versöhnlichere Koran-) Verse aufgehoben.“

Als nächstes gilt es, die Lehre von Gottes absolutem Eins-Sein („Tauhîd“) so zu betonen, daß sich aus der Nicht-Anerkenntnis des Tauhîd ein Abfall vom Islam ableiten läßt, ein Vorgang, der sich bis in die Gegenwart wiederholt. Wenn es gelingt, auf diese oder andere Weise andere Muslime zu Ungläubigen zu erklären (der Vorgang heißt „Takfîr“), dann steht dem Kampf oder einem Krieg gegen sie kein religiöses Hindernis mehr im Wege. Wir wissen nicht, ob die muslimische Konfession eine Rolle spielt, zu der sich Susanne Osthoff bekennt, oder ob man ihre Bekehrung zur Muslima anzweifeln kann, weil sie nicht dem Frauenbild der Entführer entspricht. In jedem Fall steht die Hilfstätigkeit von Frau Osthoff im Zusammenhang mit ihren Unterstützern in Deutschland, die ja keine Muslime sind, und insofern mit der deutschen „Regierung“, denn an freiwillige Spenden von deutschen Individuen glaubt wohl kein Iraker …

Das nächste Element ist der Dschihâd selbst, eine Pflicht für jeden Muslim, solange sich nicht genügend Kämpfer „auf dem Wege Gottes“ befinden. Das in der islamischen Welt seit dem Fall des Kommunismus verbliebene Feindbild ist der Westen, und Bin Laden rennt offene Türen ein, wenn er sagt: „Der einzige Weg ist der Dschihâd gegen die westlichen Mächte, die danach streben, dieses bittere Schicksal [der Unterjochung] der arabischen und islamischen Gemeinschaft aufzuerlegen, und zwar seit dem Fall des osmanischen Kalifats 1924 …“

Der abstrakte „Feind des Islams“ heißt also konkret USA, Israel, Rußland, Indien, China und so weiter sowie ihre Verbündeten auf der ganzen Welt – darunter natürlich auch Deutschland. Erklärtermaßen geht es bei der Drohung gegen Frau Osthoff darum, der deutschen Außenpolitik die Aufgabe der Solidarität mit der Koalition im Irak abzupressen. Es geht um eine Etappe in dem Dschihad, dessen meiste Opfer Muslime sind. Es geht um die Schlacht vor dem Sieg, um die „höheren“ Beweggründe, die auch noch das größte Verbrechen rechtfertigen.

Der Säulenheilige des modernen Islamismus, Maudûdî (1903–1979), drückte es so aus: „Das größte Opfer für die Sache Gottes wird im Dschihâd dargebracht, denn in diesem Kampf gibt der Mensch nicht nur sein eigenes Leben und sein Hab und Gut hin, sondern er vernichtet auch Leben und Eigentum anderer … Was bedeutet der Verlust einiger Menschenleben, selbst wenn es einige Tausende oder mehr sein sollten, gegenüber dem Unheil, das die Menschheit befallen würde, wenn das Böse über das Gute und der aggressive Atheismus über die Religion Gottes den Sieg davontragen würde … Denn als Ergebnis dessen würde nicht nur die Religion Gottes in Gefahr geraten unterzugehen, sondern die ganze Erde würde zu einer Heimstatt des Schlechten, der Unmoral und des Verderbens werden …“

Vor diesem Hintergrund ist die Gefahr für Susanne Osthoff groß. Doch es bleibt die Hoffnung, daß ihre Entführer bloß gemeine Kriminelle sind, die sich ihre Drohung gegen Lösegeld abkaufen lassen. Auch das würde ein bezeichnendes Licht auf die Lage im Irak werfen.

Dr. Gerd-R. Puin, geboren 1940 in Königsberg/Pr., war bis zu seinem Ruhestand als Islamwissenschaftler an der Universität des Saarlandes beschäftigt.

Deutsche Moslems setzen sich für Susanne Osthoff ein: Die Entführung der Archäologin sorgte für entschiedene Distanzierung von den Tätern. Foto: pa


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