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10.12.05 / Zwischen Kunst und Kommerz / Musikmanager versucht, seinen jungen Schützling in seinem Sinne zu manipulieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Dezember 2005

Zwischen Kunst und Kommerz
Musikmanager versucht, seinen jungen Schützling in seinem Sinne zu manipulieren

Als der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Vincent sechs Jahre alt ist, wird er von Harlan Eiffler, Mitarbeiter von New Renaissance, einer Eliteschule, die junge Künstler fördert, entdeckt. Harlan wird zur wichtigsten Be-zugsperson in Vincents jungem Leben. Allerdings ist Harlan der Meinung, daß Künstler nur durch „die große Traurigkeit“ zu wahrer Inspiration gelangen.

Als ob der stark introvertierte, jedoch hochintelligente Vincent es nicht schon schwer genug hätte, manipuliert Harlan als sein Mentor von Beginn an seine Entwicklung. Nicht nur, daß er dem Jungen zu Weihnachten ein vergiftetes Hündchen unter den Tannenbaum legt, kurz darauf brennt er auch noch heimlich Vincents Heim nieder.

Wie er meint, schwer vom Schicksal gebeutelt, widmet Vincent sich erst dem Schriftstellern. Unglück als Muse, Harlans Plan scheint aufzugehen, bis Daphne plötzlich in das Leben seines inzwischen erwachsenen Schülers tritt.

„Nachdem ich von allen übereinstimmende Aussagen gehört hatte, konnte ich Daphne Sullivan offiziell für sexuell ausschweifend, körperlich fahrlässig und moralisch verworfen erklären.“

Harlan, Ich-Erzähler und Hauptfigur, kann nicht akzeptieren, daß sein Zögling seine Freizeit mit einem solchen Mädchen verbringt, und erreicht mit der Zusicherung eines monatlichen Schecks an Daphne ihr Verschwinden.

Wie erwartet, fabriziert der junge Künstler auf dieses niederschmetternde Ereignis hin ein trauriges Liebeslied nach dem nächsten.

Obwohl Harlan immer wieder schicksalsschwer in Vincents Leben eingreift, kann der Leser sich einer gewissen Sympathie für diese Person nicht erwehren. Im Gegenzug dazu bleibt die leidende Figur des Künstlers dem Leser eher fremd. Während Harlans Charakterzüge deutlich erkennbar sind, wirkt Vincent seltsam farb- und inhaltslos. Trotz ihrer Verschiedenheit verbindet die beiden ein inneres Band, welches keiner von beiden abzustreiten vermag.

Ein sehr klug geschriebenes Buch, das die Massen produzierende Musikbranche in Frage stellt. Der Leser wird sich jedoch während des Lesens des Romans darüber wundern, daß der künstlerisch veranlagte, die kommerzialisierte Massenpopkultur verabscheuende Vincent seinen Erfolg und seine Ausbildung eben genau dieser oberflächlichen Unterhaltungsmaschinerie zu verdanken hat, und er wird sich fragen, wie viele kluge, sensible und einsame Köpfe wohl auch in Wahrheit hinter dem Ruhm und dem Erfolg der unzähligen Sternchen am Entertainment-Himmel unserer Zeit stecken. A. Ney

Joey Goebel: „Vincent“, Diogenes, Zürich 2005, 432 Seiten, 19,90 Euro

Alle Bücher sind über den PMD, Parkallee 86, 20144 Hamburg, Telefon (0 40) 41 40 08 27, zu beziehen.


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