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10.12.05 / Die Zeit drängt / Zahl der Studenten soll sich bis 2012 um über 25 Prozent erhöhen – Universitäten müssen jetzt handeln

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Dezember 2005

Die Zeit drängt
Zahl der Studenten soll sich bis 2012 um über 25 Prozent erhöhen – Universitäten müssen jetzt handeln
von George Turner

Es gibt neue Zahlen, die die einen als Bestätigung ihrer Politik, die anderen als Horror empfinden. Die Studienanfänger werden neuesten Schätzungen zufolge im Jahr 2012 auf 450000 steigen, die Gesamtzahl der Studierenden wird von derzeitig zwei Millionen auf 2,7 Millionen wachsen. Diese Zahlen sollen bis zum Jahr 2020 konstant bleiben.

Das Tröstliche: Bisher sind nahezu alle Prognosen und Schätzungen nicht eingetreten; in der Tendenz ist die dargestellte Entwicklung aber unausweichlich.

Das Betrübliche: Auf die in solchen Situationen übliche Forderung nach mehr Geld wird es zunächst ausweichende Antworten und dann vermutlich nur den berühmten Tropfen auf den heißen Stein geben.

Was also ist zu tun?

1. Die Hochschulen befinden sich in einem bemerkenswerten Prozeß der Umstrukturierung: Die Studiengänge werden auf das gestufte System von Bachelor und Master umgestellt. Angesichts der zu erwartenden Studienbewerber muß dem bevorstehenden Ansturm die besondere Sorge gelten. Dieser neue Studentenberg kann nur bewältigt werden, wenn möglichst viele in relativ kurzer Zeit eine einigermaßen befriedigende Ausbildung erhalten. Das ist das Studium mit dem Bachelor-Abschluß. In diesem Zusammenhang wirkt es besonders kontraproduktiv, wenn an Fachhochschulen neben dem Bachelor- auch der Masterabschluß angeboten werden soll. Aus Prestigegründen wird man hierauf besonderes Gewicht legen. Aber auch die Universitäten müssen ihre Kräfte in die Richtung der Erstausbildung lenken. Es ist nicht völlig falsch, wenn die Hochschulen insoweit als Durchlauferhitzer bezeichnet werden. Ob die Ausbildung „berufsqualifizierend“ wirkt, kann sich nur auf dem Markt erweisen. Dabei sind Einladungen wie „Bachelor welcome“ von Teilen der Wirtschaft zwar ermutigend, aber letztlich unverbindlich. Auf jeden Fall es ist immer noch besser, mit 22 bis 23 Jahren auf einen unsicheren Arbeitsmarkt zu gelangen als mit 27 bis 28, so wie das mit traditionellen Studienabschlüssen der Fall ist.

Die Umstellung auf die neue Studienstruktur geschieht unterschiedlich schnell und nicht überall engagiert. Wenn die Massenfächer nicht begreifen, daß dies alternativlos ist, werden sie überrannt. Auch jede Polemik, wie die, man wolle sich nicht von einem Arzt mit Bachelor-Abschluß operieren lassen und wünsche auch keine Richter nach einem sechssemestrigen Studium, ist fehl am Platz. Das Studium zum Bachelor vermittelt Grundkenntnisse, auf denen man aufbauen kann, entweder im praktischen Beruf oder in einem anschließenden oder später aufzunehmenden Studium mit dem Ziel des Master-Examens. Daß davor eine Auswahl stattzufinden hat, sollte ebenfalls nicht verschwiegen werden. Der Richter oder die Ärztin werden also weiterhin so gut ausgebildet werden wie bisher – nur wird dies in einem anders strukturierten Studium mit anderen Abschlußbezeichnungen geschehen.

2. Bei einer Verlagerung von noch mehr Ressourcen für die Lehre besteht die begründete Befürchtung, daß nicht genügend Mittel für die Forschung verfügbar bleiben. Dem ist nur zu begegnen, indem jeweils Größenordnungen fixiert werden. Die vorhandenen Kapazitäten müssen also verteilt und entsprechend eingesetzt werden. Das heißt es muß festgelegt werden, wer und was für die Ausbildung zum Bachelor eingesetzt wird, welche Personal- und Sachmittel dem Master-Programm zugute kommen und welche für Forschungszwecke einschließlich der Promotionsförderung zur Verfügung stehen. Eine solche „Planwirtschaft“ ist zwar ärgerlich; erfolgt aber keine Festlegung der Mittel, wird die Gesamtkapazität zugrunde gelegt und als Basis für Zulassungsbegehren angesetzt, so daß dann tatsächlich die Gefahr besteht, daß die Belange der Forschung vollends unter die Räder geraten. Die Folge wäre ein Überlaufen der Hochschulen. Allein die Fixierung von Ressourcen für bestimmte Zwecke reicht aber nicht. Dem entsprechend müssen Zulassungsbeschränkungen erfolgen.

3. Fehlende staatliche Mittel durch Gebühren ausgleichen zu wollen, wird das Problem der Überlast nicht mindern. Auch wenn hoch und heilig versprochen wird, daß solches Geld den Hochschulen verbleibt – die Praxis wird anders sein. Bei der Festsetzung der staatlichen Zuschüsse wird die Finanzseite sehr bald „im Sinn“ haben, welche Beträge durch Gebühren zustande kommen; sie werden dann bei der Etataufstellung gedanklich berücksichtigt. Dennoch haben Gebühren einen Sinn wegen des internen und externen Wettbewerbs.

4. Kaum ist man sich einig, daß die Schulzeit verkürzt werden soll, wird schon darüber gejammert, daß den Studienanfängern be-stimmte Fähigkeiten wie Lese- und Analysefähigkeit bis Rechtschreibung fehlen. Auch bei Absolventen nach 13 Jahren wurde über die mangelnde Studierfähigkeit ge-klagt. Jetzt spricht man davon, daß die Hochschulen „nachrüsten“ müßten, wo die Schulen Lücken gelassen haben. Richtig ist, daß die Hochschulen von bestimmten Fähigkeiten der Studienanfänger ausgehen sollten und diese Erwartungen auch zu erfüllen sind. Ebenso trifft es zu, daß zu allen Zeiten Studierende den Anforderungen eines Studiums nicht gewachsen waren. Nur haben sich die Größenordnungen verändert. Wenn von 300000 zum Beispiel ein Anteil von 10 Prozent versagt, sind das 30000, bei zwei Millionen sind es 200000.

Es wird, sollen die Hochschulen nicht zum Reparaturbetrieb für die Schulen werden, nichts anderes übrig bleiben als daß sie Auswahlgespräche führen beziehungsweise Eingangsprüfungen durchführen. Das bindet zweifelsohne Kräfte und ist eine weitere Belastung. Will man das nicht, muß man den Zustand nicht hinreichend vorbereiteter Anfänger in Kauf nehmen. Im übrigen hätten solche Maßnahmen einen Reflex auf die Schulen: Die Eltern würden Druck ausüben, daß dort die Vorbereitung besser würde, wo sie zu beanstanden ist.

Noch ist es Zeit, sich auf die bevorstehenden Aufgaben einzurichten. Es ist zu hoffen, daß darüber nicht wie so oft in der Vergangenheit nur geredet wird und die erforderlichen Maßnahmen ausbleiben oder zu spät kommen.

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