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10.12.05 / Ernste und kritische Begegnung / Mit Selbstbildnissen dokumentierte Lovis Corinth die Entwicklung seiner Malerei

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Dezember 2005

Ernste und kritische Begegnung
Mit Selbstbildnissen dokumentierte Lovis Corinth die Entwicklung seiner Malerei

Lovis Corinth (1858–1925) war etwa 40 Jahre alt, als er beschloß, jährlich an seinem Geburtstag ein Selbstporträt zu malen, sozusagen eine Bestandsaufnahme auf der Leinwand vorzunehmen. Entstanden sind wahre Meisterwerke dieses Genres; erst vor Jahresfrist waren 30 der ursprünglich 42 gemalten Selbstbildnisse in der Hamburger Kunsthalle zu sehen. Wie bei kaum einem anderen Maler wird bei Corinth die persönliche Entwicklung und die seiner Malerei gerade an den Selbstbildnissen deutlich. Einen besonderen Einschnitt im Leben wie im Schaffen brachte das Jahr 1911, in dem der Künstler von einem Schlaganfall heimgesucht wurde. Als er nach seiner Genesung erneut zu Palette und Pinsel greifen konnte, malte Corinth auch wieder an seinen Selbstporträts. Allerdings ist die Pinselführung heftiger geworden, der Ausdruck ernster. Wenn Corinth in den frühen Porträts den Betrachter geradezu herausfordernd anblickt, so entdeckt man in den späten Bildnissen einen kranken, melancholisch dreinblickenden und zweifelnden Mann.

„In den Selbstporträts sind tausenderlei Nuancen des seelischen, all die vielen Möglichkeiten seines psychischen Reagierens und seines Verhaltens zu sich selber fixiert“, erläutert Charlotte Berend-Corinth, selbst Malerin, aber auch Modell ihres Mannes, diese Seite seines Schaffens, „die ganze Biographie seiner Seele liegt da ausgebreitet vor uns. Wenige Maler haben eine so umfassende und dichte Folge von Selbstdarstellungen hinterlassen. Die Reihe setzt ein mit jener Bleistiftzeichnung, auf der er sich als Knabe Rechenschaft über sich selbst abgelegt hat, und den jugendlichen Selbstbildnissen aus der Zeit bis zum Pariser Studienaufenthalt, auf denen ihn bereits der suchend-forschende Blick des Malers charakterisiert. Später hat er Selbstporträts alljährlich zum Geburtstag gemalt. Das waren sehr ernste und kritische Begegnungen mit dem eigenen Ich. Nach dem Schlaganfall, nachdem er das metaphysische Grauen erlebt und (wie er im Tagebuch notierte) ,Das Nichts gesehen‘ hatte, schien er mehr zu erschauen, als das Spiegelglas ihm an visuell Wahrnehmbaren bot.“

Der Maler Rudolf Großmann, dessen Porträt Corinth 1924 in seinem Atelier in der Berliner Klopstockstraße malte, schildert den Ostpreußen als einen Mann, der durchaus von sich selbst fasziniert war. „Ist der mal im Gange, elektrisiert er sich selbst, die Umgebung versinkt, oder wird vielmehr mit in sein Ich hineinbezogen ... Die Selbstfaszinierung verlangt nach psychischer Selbstkontrolle, immer wieder greift er zum Selbstporträt. Oft gerät es ihm, ohne daß er es will, ins Überlebensgroße, der Kopf scheint wie geladen den Raum sprengen zu wollen, wird birnenförmig, pathologisch, im objektiven Sinn meistens unähnlich. Ein zweiter Corinth ist da, nicht mehr der objektiv von uns gesehene, ein Gesicht, eine Interpretation seines momentanen Inneren, das ihm Wirklichkeit wird, das er auch uns aufzwingt ...“

Das eigene Gesicht als Experimentierfeld der Malerei – immer abstrahierender, immer dramatischer werden die Pinselstriche. Täuschende Ähnlichkeit ist nicht mehr gefragt, wichtig wird allein der Ausdruck des Gesichts. „Selbstporträts habe ich bereits die schwere Menge hinter mir“, schreibt der Meister selbst, „das merkwürdigste ist“, so moniert er, „alle fallen anders aus, trotzdem der innerste Charakter immer zu Tage tritt.“ SiS


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