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10.12.05 / Mit Milchbrei und Rute / Eine Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum zeigt die Bildung zur Zeit der Reformation

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Dezember 2005

Mit Milchbrei und Rute
Eine Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum zeigt die Bildung zur Zeit der Reformation

Im Jahr 2000 ging eine Schock-welle durchs Land: Die Pisa-Studie, an der die meisten Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) teilnahmen, brachte es ans Tageslicht – die deutschen Schüler sind schlechter als ihr Ruf. Von „Bildungsmisere“ oder „Bildungsnotstand“ war bald die Rede. Deutschland im internationalen Leistungsvergleich nur Mittelmaß? Finnland hingegen stand mit Südkorea und den Niederlanden in der Gesamtwertung an der Spitze.

Die Untersuchung über Lesekompetenz, Kenntnisse in Mathematik und Naturwissenschaften wird alle drei Jahre vorgenommen. 2006 ist es wieder soweit. Wird Deutschland dann besser abschneiden? Die Ausbildung unserer Schülerinnen und Schüler steht auf dem Prüfstand. Eine Ausstellung im Nürnberger Germanischen Nationalmuseum gibt Einblick in einen der tiefgreifendsten Umbrüche in der Geschichte unseres Erziehungs- und Bildungswesens. Die unter dem Motto „Mit Milchbrei und Rute“ gezeigten schriftlichen und bildlichen Quellen aus der Reformationszeit zeugen von den neuen pädagogischen Konzepten, die um 1500 entwikkelt wurden. Sie offenbaren den hohen Wert, den man Bildung und Erziehung in dieser Zeit beimaß. Anhand der wichtigsten Schul- und Erziehungsbücher aus der Zeit zwischen 1480 und 1530 sowie Gemälden, Skulpturen,

Graphiken und Alltagsobjekten wird die „Bildungsrevolution“ der Reformationszeit anschaulich gemacht. Das Spektrum reicht von Tischzuchten und Sittenlehren der führenden Reformatoren über die Schulbücher des klassischen Lateinunterrichts und die neuen Lehrmittel der Deutsch- und Rechenschulen inklusive der Bücher von Adam Riese bis zu den ersten Schulbüchern über Musik- und Instrumentenkunde sowie Geographie.

Den Anstoß zur Ausstellung gab ein bislang verschollenes Gemälde mit der Darstellung einer Heiligen Familie, das jüngst mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung erworben werden konnte. Es läßt sich dem Kreis des „Hausbuchmeisters“ zuschreiben, eines bislang namentlich nicht faßbaren Malers und Graphikers der Generation unmittelbar vor Dürer. Das scheinbar nebensächliche Detail zweier sich das Alphabet beibringender Knaben auf dem um 1480 entstandenen Bild wurde zum Ausgangspunkt einer Spurensuche, die aus dem engeren Blickwinkel der Kunstgeschichte hinausführt. Die Konfrontation des Bildes mit jüngeren Darstellungen desselben Themas macht deutlich, wie nachhaltig sich die Bedeutung der Familie als Erziehungsinstanz zwischen 1480 und 1510 veränderte.

Ausstellung und Begleitpublikation vereinen Erkenntnisse der Kunst-, Literatur- und Pädagogikgeschichte und schlagen mit einem Beitrag zum Lernen in Zeiten von Pisa die Brücke zur Gegenwart. Ermöglicht wurde diese fächerübergreifende Perspektive durch die Kooperation mit Spezialisten der Humboldt-Universität Berlin, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften in Kiel.

Daß die neuen Ressourcen in den Köpfen unserer Kinder heranwachsen, ist eine Binsenweisheit. Sie verpflichtet nicht nur zur Vermittlung von praktisch anwendbarem Wissen, wie es durch die Pisa-Studie abgefragt wird, sondern auch zu neuem Nachdenken über das gegenwärtige Ansehen von Bildung in Gesellschaft und Politik. Ausstellung und Katalog regen deshalb nicht nur zur kulturgeschichtlich breiten Beschäftigung mit den historischen Grundlagen von Erziehung und Bildung an, sondern leisten auch einen Beitrag zur aktuellen Debatte.

Nicht zuletzt machen Ausstellung und Publikation auch auf die Möglichkeiten des Lernens in außerschulischen Institutionen wie in Museen aufmerksam. Dort hat man die Chance, sich mit authentischen materiellen Zeugnissen der Vergangenheit auseinanderzusetzen und die Bedeutung der Bewahrung und Erforschung unseres kulturellen Erbes zu erkennen, schließlich ist „das Verständnis der Geschichte eine unverzichtbare Voraussetzung zur Orientierung in der Gegenwart“, wie G. Ullrich Großmann im Vorwort zum Begleitbuch der Ausstellung betont. gnm/os

Die Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, Kartäusergasse 1, ist bis zum 5. März 2006 in der Mittelalterhalle zu sehen, dienstags sowie donnerstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs von 10 bis 21 Uhr (ab 18 Uhr Eintritt frei), Eintritt 5 / 4 Euro; Katalog 119 Seiten, gebunden, zahlr. Abb., im Museum 12,50 Euro.

Die Heilige Sippe: Das Tafelgemälde aus dem Hausbuchmeister-Kreis (um 1480) zeigt auch zwei lernende Knaben.


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