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10.12.05 / Ein Weihnachtswunder / Warum Hilfsbereitschaft manchmal das größte Fest sein kann

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Dezember 2005

Ein Weihnachtswunder
Warum Hilfsbereitschaft manchmal das größte Fest sein kann
von H. Patzelt-Hennig

Es war wieder einmal die Hüfte, die Dora Berger zu schaffen machte! Die Schmerzmittel, die sie im Haus hatte, halfen kaum. Und zum Arzt konnte sie nicht. Der Weg zwischen ihrem vom Ort ziemlich abgelegenen Häuschen und der Straße zum Dorf war tief verschneit, Massen waren da in den letzten zwei Tagen vom Himmel gekommen. Und auf ein Räumungsfahrzeug der Gemeinde konnte sie nicht hoffen, die berührten Nebenstraßen und Wege wie den zu ihr hin schon lange nicht mehr. Auch von den Straßen der Umgebung brachte der Rundfunk ungute Meldungen. Sich dort mit ihrem 14 Jahre alten kleinen VW zu bewegen wäre ebenfalls unratsam gewesen, da sie für ihr Auto nur Sommerreifen besaß. So sah es aus. Und in ein paar Tagen war Weihnachten!

Eingekauft hatte Dora Berger für das Fest auch noch nicht. Warum sie damit in diesem Jahr so lange gezögert hatte, konnte sie nicht einmal sagen. Eigentlich war es ihre Art, alles gleichzeitig zu besorgen und was ausstand oder anfiel, kurzfristig zu erledigen. Aber im Hinblick auf Weihnachten hatte sie sich in diesem Jahr Zeit gelassen. Leider! Nur das Weihnachtsbäumchen, das hatte sie sich zeitig beschafft. Und darüber freute sie sich jetzt ganz besonders.

Auf dem Adventskranz hatten, den jeweiligen Sonntagen entsprechend, bereits alle Kerzen gebrannt. Sie sah in ihm nicht mehr das, was er sonst vermittelte. Ihre Vorfreude auf den Lichterglanz am Weihnachtsbaum verdrängte das stille Frohsein vor dem Kerzenschein jenes Kranzes gewissermaßen. Das war jedes Jahr so, gestand Dora Berger sich ein. Bei diesen Gedanken aber erschrak sie plötzlich, denn ihr fiel jetzt ein, daß sie die Kerzen für den Weihnachtsbaum noch gar nicht gekauft hatte.

Ihre augenblickliche Hilflosigkeit und das Abgeschiedensein von allem setzten ihr allmählich mehr und mehr zu. Eins kam zum anderen. Ihr war ja nicht einmal gegeben, zum Briefkasten zu können. Selbst der Postbote war seit zwei Tagen nicht mehr bei ihr gewesen, dem sie die Weihnachts-post für ihre Freunde und Bekannten hätte zum Weiterbefördern mitgeben können. Und der übernächste Tag war schon der Heilige Abend!

Bei all dem half auch nicht das Telefon. Sie konnte sich nichts bestellten. Es kam niemand durch den Schnee. Und gegenüber denen, die sie anriefen, tat sie so, als sei bei ihr alles in Ordnung. Sie war nicht gewohnt zu klagen. Eine Disziplin, die sie das Leben gelehrt hatte. Und sterbenskrank war sie ja schließlich auch nicht. Ebensowenig würde sie hungern, wenn sie nicht mehr ins Dorf kam. Einige Konserven hatte sie als Vorrat immer im Keller. Und es hatte in ihrem Leben schon allemal schlechtere Weihnachten gegeben, wenn sie an die Jahre nach 1944 dachte. Nach der Vertreibung aus der Heimat und den Jahren, die dann kamen. Aber – bei aller Vernunft, ein Problem zeichnete sich schon stark ab. Die Salbe, die sie nahezu in doppelter Menge auf den schmerzenden Bereich aufgetragen hatte, ging rapide zu Ende. Und die nächste Apotheke lag im Nachbarort!

Wenn die Schmerzen schlimmer wurden, was dann? So fragte Dora Berger sich angesichts der nur noch ganz dünnen Tube. „Dann kann mir nur noch ein Engel helfen!“ murmelte sie leise vor sich hin. In der folgenden Nacht verspürte sie aber eine bedeutende Linderung ihrer Beschwerden. Vielleicht hat mir mein Beten geholfen, dachte sie, als sie aufstand und es immer noch so war. Und sie dankte Gott für die Besserung. Vorsorglich hielt sie ihr Bein, in das der Schmerz von der Hüfte her immer so gewaltig zog, aber noch so viel wie möglich in Ruhestellung.

Am frühen Nachmittag erhob sie sich dann jedoch einmal ganz spontan, ohne etwas zu bedenken. Denn sie vernahm sonderbare Geräusche in der Nähe ihres Hauses und meinte auch, Stimmen zu hören. Gespannt begab sie sich vor die Haustür. Da glaubte sie, sie traue ihren Augen nicht. Eine kleine Schar junger Leute aus dem Dorf hatte ihr von der Straße her einen breite Fußpfad geschaufelt, der schon fast bis zum Beginn ihres Gartenzaunes reichte. Dora Berger drängten sich Freudentränen in die Augen. „Ich fasse es nicht!“ jauchzte sie den Jugendlichen entgegen. Die blickten auf und strahlten. „Das mußte doch sein!“ hörte sie einen der jungen Burschen sagen. Es ergab sich ein kurzes Hin- und Herrufen, das damit endete, daß Dora Berger sie alle einlud, ins Haus zu kommen. „Wenn wir den Gang bis dort geschaufelt haben, kommen wir!“ bekam sie zur Antwort.

Glücklich begab sie sich daraufhin in die Küche. Dort bereitete sie einen großen Topf voll weihnachtlichem Früchtepunsch vor, für den sie glücklicherweise alles im Haus hatte. Und dann füllte sie eine große Schale mit Pfeffernüssen, die sie wie jedes Jahr schon ein paar Wochen vor Weihnachten gebacken hatte, wie es ihre Mutter und ihre Großmuter auch immer getan hatten. Und wie sie es von ihrer Großmutter aus der ostpreußischen Heimat kannte, füllte auch sie dieses Weihnachtsgebäck stets in einen Leinenbeutel zum Aufbewahren. Nicht in Dosen oder Blechbehälter.

Als sie die jungen Menschen dann vor ihrer Tür hörte, zündete sie auch noch einmal die Kerzen auf dem Adventskranz an. Und als die „Weihnachtsengel“, wie sie die jungen Leute bei sich nannte, in ihre Stube traten, war für sie alle gedeckt. „Wärmt euch schön auf!“ sagte Dora Berger herzlich. Schnell ergab sich ein ungezwungenes Geplauder, bei dem Dora Berger immer von neuem ihre Dankbarkeit bekundete. Und wie groß diese war, ließ sich für die jungen Helfer erst ermessen, als sie Einzelheiten über Doras Lager erfuhren. Was diese besonders freute war wiederum, daß ihre „Weihnachtsengel“ sich mit dem Aufbrechen Zeit ließen. Sie schloß daraus, daß es ihnen bei ihr gefiel. Und als sie sich verabschiedeten, nahm Dora Berger jeden von ihnen einzeln in die Arme und sprach nochmals ihren innigsten Dank aus. Auf dem Nachhauseweg wurde dann von der jungen Schar beschlossen, daß man ihr noch am selben Nachmittag die fehlende Salbe besorgen wollte, von der Dora Berger im Gespräch zum Glück den Namen genannt hatte. Und gut eine Stunde später standen zwei der Jungen mit einer Salbe vor ihrer Tür. Kurz darauf klingelte dann auch noch ein Mädchen aus der „Engelschar“. Sie brachte Kerzen für den Weihnachtsbaum, die sie ihrer Mutter abgebettelt hatte mit dem Versprechen, ihr am nächsten Tag neue zu besorgen.

Und am nächsten Tag konnte Dora Berger auch schon selbst ins Dorf, um sich das zu den Feiertagen noch Fehlende zu beschaffen. Und alle, denen sie an diesem Tag begegnete, kamen zu der einhelligen Meinung, sie lange nicht mehr so von Herzen froh gesehen zu haben. Aber – war das ein Wunder?

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