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24.12.05 / Ziemlich schwere Kost / Professorin für englische Literatur berichtet über Repressionen im Iran

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Dezember 2005

Ziemlich schwere Kost
Professorin für englische Literatur berichtet über Repressionen im Iran

Ein Meisterwerk!", "Famos", "Ich war bezaubert" und "Bemerkenswert!" lautete der frenetische Jubel in den USA auf "Lolita lesen in Teheran". Die heute in Washington lehrende Autorin, Azar Nafisi, beschreibt hierin ihre Erlebnisse als Professorin für englische Literatur an der Freien Islamischen Universität in Teheran und der Universität von Allameh Tabatabai. Die Iranerin berichtet von ihren Erlebnissen als westlich orientierte, selbstbewußte Frau in einem sich seit den 80er Jahren Stück für Stück in sich selbst und somit in den Islam zurückziehenden Landes.

"Nicht lange danach erließ die Regierung eine neue Kleiderordnung für Frauen in der Öffentlichkeit und zwang uns, entweder den Tschador oder ein langes Übergewand mit Kopftuch zu tragen. Die Erfahrung hatte gezeigt, daß man die Einhaltung dieser Regeln nur mit Gewalt durchsetzen konnte. Weil die Frauen den Erlaß mit überwältigender Mehrheit ablehnten, führte die Regierung die Vorschrift erst am Arbeitsplatz und dann in den Geschäften ein, die von da an unverhüllten Frauen nichts mehr verkaufen durften. Ungehorsam wurde mit Geldstrafen, bis zu 76 Peitschenhieben und Gefängnis geahndet." Azar Nafisi zog sich daraufhin aus dem Berufsleben zurück und kümmerte sich nur noch um ihre beiden Kinder und ihren Mann, doch schon wenige Jahre später erkannte die Regierung, daß sie die Intellektuellen, indem sie sie zum Untertauchen gezwungen hatte, interessanter und somit mächtiger gemacht hatte. "Folglich beschloß man, uns zurückzuholen, auch um uns besser unter Kontrolle zu haben, und nahm Kontakt zu Leuten wie mir auf, die früher als dekadent und verwestlicht gebrandtmarkt worden waren." Von da an stand die Professorin für englische Literatur unter ständiger Kontrolle und mußte regelmäßig nachweisen, daß die in ihren Seminaren behandelte Literatur die iranische Jugend nicht verderben würde. 1995 erhielt Azar Nafisi jedoch aufgrund ihrer Weigerung, den Schleier zu tragen, Lehrverbot. Von da an unterrichtete sie bis zu ihrer Ausreise in die USA 1997 heimlich jeden Donnerstagmorgen eine kleine Gruppe von Frauen in ihrer Wohnung.

Diese Unterrichtsstunden stehen im Mittelpunkt von "Lolita lesen in Teheran". Die Autorin beschreibt den Wandel der verschleiert ins Haus huschenden jungen Frauen und der kurz danach in Jeans und T-Shirts ihr gegenübersitzenden Literaturinteressierten, die Lebenshintergründe der verschiedenen Teilnehmerinnen, die Interpretationsansätze aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes, um von da aus immer wieder auf ihre eigene Geschichte hinzuweisen.

Ein Grund, warum "Lolita lesen in Teheran" in Deutschland nicht ähnlich gefeiert wurde wie in den USA, dürfte die Tatsache sein, daß sich der Inhalt für den Durchschnittsdeutschen, der in der englischen Literatur nicht ganz so bewandert ist, schwer erschließt. Zu langatmig sind die Passagen, in denen die Autorin über ihre Seminare berichtet, zu undurchschaubar die Anspielungen auf Werke von Autoren wie Vladimir Nabokov, Jane Austen, Henry James und F. Scott Fitzgerald. Wer also mehr über die Lebensumstände im Iran erfahren will, muß sich durch so manche umständliche Kapitel durcharbeiten, um zwischendurch fündig zu werden. Rebecca Bellano

Azar Nafisi: "Lolita lesen in Teheran", DVA, München 2005, geb., 421 Seiten, 17,90 Euro


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