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31.12.05 / Zu früh gefreut? Zu früh getadelt? / Nach dem EU-Finanzgipfel war manche Aufgeregtheit etwas voreilig

© Preußische Allgemeine Zeitung / 31. Dezember 2005

Zu früh gefreut? Zu früh getadelt?
Nach dem EU-Finanzgipfel war manche Aufgeregtheit etwas voreilig
von Hans-Jürgen Mahlitz

Das Publikum war irritiert: Erst vernahm man, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe auf dem Brüsseler EU-Parkett einen glänzenden Auftritt hingelegt. Doch wenig später hieß es, sie habe auf dem Altar des „Moloch Europa“ den letzten Rest von nationaler Haushaltsdisziplin geopfert. Wie paßt das zusammen?

Frau Merkel war – auch in dieser Zeitung – vor allem für die Art ihres internationalen Auftretens gelobt worden. Sachlich und selbstsicher hatte sie es geschafft, die Streithähne Chirac und Blair zum Nachgeben zu bringen und die Gegensätze zwischen bisher privilegierten Alt-Mitgliedern und subventionsbedürftigen EU-Neulingen zu überbrücken.

Damit hat die Bundeskanzlerin auch für das Land, dessen Repräsentantin sie ist, Pluspunkte gesammelt; so hat sie zweifellos das Ansehen Deutschlands gemehrt. Dies läßt sich in den ausländischen Kommentaren aus allen Himmelsrichtungen nachlesen.

Insbesondere wird bei unseren Nachbarn hervorgehoben, daß Deutschland – immerhin das bevölkerungsreichste der 25 Mitgliedsländer dieser Europäischen Union – endlich Führungsstärke gezeigt und die ihm angemessene Rolle gespielt hat. Bislang war man es von Berlin (und früher von Bonn) stets so gewohnt, daß die Deutschen sich lieber duckten, den Kopf einzogen, dafür das Scheckheft herauszogen und, wenn man sich auch so nicht aus der Verantwortung stehlen konnte, auf die Besonderheiten unserer jüngeren, unseligen Vergangenheit verwiesen – „wir als Deutsche ...“

Da konnte man das nüchtern-unaufdringliche Selbstbewußtsein der neuen Regierungschefin als durchaus wohltuend empfinden. Und auch als glaubwürdig. Denn die übertriebene Selbstkasteiung, mit der deutsche Politiker bislang gern durch die Lande zogen und verkündeten, daß wir Deutschen selbstverständlich die größten Verbrecher der Weltgeschichte und insofern ein einzig Tätervolk seien – das hat bei unseren Nachbarn ohnehin eher Mißtrauen geweckt.

Daß Merkels neue außenpolitische Linie, so wie sie in Brüssel sichtbar wurde, auch ihren Preis hat, war von vornherein klar. Unklar war zunächst, wie hoch dieser Preis sein würde: minus hundert Millionen, plus eine Milliarde, minus drei Milliarden, plus dreihundert Millionen, jeder kam zu einem anderen Ergebnis.

Natürlich war die Bundesregierung daran interessiert, das Minus möglichst klein und das Plus umso größer zu rechnen. Und ebenso natürlich war die Opposition erpicht, das Brüsseler Ergebnis, an dessen Zustandekommen sie nicht beteiligt war, möglichst negativ aussehen zu lassen. Man sollte das eine wie das andere nicht überbewerten.

Zum Beispiel darf man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß die FDP, wäre es im Spätherbst 2005 doch noch zu einer schwarz-gelben Koalition in Berlin gekommen, dem gleichen Kompromiß in Brüssel freudig zugestimmt, ihn vermutlich sogar als Paradebeispiel routinierter liberaler Außen- und Europapolitik hochstilisiert hätte. Und die Grünen hätten, wäre Gerhard Schröders wundersame Vision vom Wahlabend Wirklichkeit geworden, als Juniorpartner einer neuaufgelegten rot-grünen Koalition wohl nach dem bekannten Einzelhändler-Motto verfahren: „Darf es noch ein bißchen mehr sein?“ Fischer & Co. waren ja immer schon recht großzügig, wenn es das Geld anderer Leute (etwa der Steuerzahler) zu verteilen galt.

Über die Feiertage haben sich die Aufgeregtheiten um den EU-Beitrag schnell wieder gelegt. Was aus unserer Sicht bleibt, ist der Ärger darüber, daß Deutschland der Zahlmeister Europas bleibt. Da ist es nur ein schwacher Trost, daß es uns unter der Regie einer anderen Bundesregierung noch schlimmer hätte treffen können.

So steht Frau Merkel nun, nach dem diplomatischen Meisterstück in Sachen Außenwirkung, vor einer deutlich schwierigeren Aufgabe: Sie wird den Bürgern im eigenen Lande zu erklären haben, wozu wir dieses Europa, diese Europäische Union, eigentlich brauchen, und warum sie uns, wenn schon nicht lieb, so doch immer teurer sein soll. Man darf gespannt sein, wie die Kanzlerin diese Herausforderung bewältigen wird.

Vermittlerin: Angela Merkel mit dem englischen Premier Tony Blair, der die EU-Haushaltsgespräche blockiert hatte


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