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31.12.05 / Ist die Wiedervereinigung gescheitert? / "Der Kommunismus in der deutschen Erinnerungskultur" – 4. Internationale Symposium der Stiftung Ettersberg

© Preußische Allgemeine Zeitung / 31. Dezember 2005

Ist die Wiedervereinigung gescheitert?
"Der Kommunismus in der deutschen Erinnerungskultur" – 4. Internationale Symposium der Stiftung Ettersberg
von Manfred Müller

Die Wiedervereinigung Deutschlands ist gescheitert! Dieser verhängnisvolle Satz wurde nie ausgesprochen auf der Weimarer Tagung der Stiftung Ettersberg, aber er war die unausweichliche Konsequenz der elf Vorträge, der mit Erfahrungen aus der SED-Diktatur gesättigten Wortmeldungen und der abschließenden Podiumsdiskussion „Woran erinnern?“

Es war ein bunter Haufen, der sich im Weimarer Reithaus an der Ilm neben dem halb im Gebüsch verborgenen Denkmal des DDR-Staatsdichters Louis Fürnberg (1909–1957), des Verfassers der Hymne „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“, versammelt hatte: DDR-Forscher aus den alten und den neuen Ländern, westdeutsche Altlinke aus der Studentenbewegung von 1968, Ex-Häftlinge aus DDR-Zuchthäusern und verfolgte Bürgerrechtler, evangelische Pfarrer und Bildungspolitiker, Professoren sowie jede Menge Lehrer aller Schultypen. Fördernd beteiligt an der Veranstaltung waren die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit in München und die Landeszentrale für politische Bildung in Erfurt.

Die hohe Zahl von über 200 Teilnehmern sollte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß das öffentliche Interesse an vier Jahrzehnten DDR-Geschichte schwindet, im Einladungstext stand denn auch zu lesen: „Die Erinnerung an die SED-Diktatur ist bis heute defizitär.“ Dafür gibt es Gründe, einer davon ist, daß die wissenschaftliche Aufarbeitung des deutschen Kommunismus, anderthalb Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung 1990, noch immer überlagert ist von der ununterbrochenen Beschäftigung mit „Drittem Reich“ und Zweitem Weltkrieg. Das führt dann schließlich dazu, daß westdeutsche Journalisten, wie die in Weimar anwesende Franziska Augstein von der „Süddeutschen Zeitung“, den kriminellen Charakter des SED-Regimes schlichtweg leugnen!

Am ersten Tag mußte zunächst ein Überblick gegeben werden über die in der alten, westdeutschen Bundesrepublik erfolgte Auseinandersetzug mit Theorie und Praxis des Kommunismus in SBZ und DDR. Schon in seiner Eröffnungsrede warnte Hans-Joachim Veen aus Weimar vor Analogieversuchen zwischen kommunistischer und nationalsozialistischer Gewaltherrschaft einerseits sowie vor einer „Hierarchisierung der individuellen Leiden und Opfer“ auf der anderen Seite.

Die Bilanz, die Horst Möller aus München und Bernd Faulenbach aus Bochum über die westdeutsche Sicht auf den kommunistischen Nachbarstaat zogen, war erschreckend. Jeder wache Zeitgenosse konnte wissen, was zwischen Rennsteig und Rostock an Schrecklichem geschah, wenn er es wissen wollte. Hinsichtlich des Glaubens an den Fortbestand der deutschen Teilung ist wohl kaum Erhard Epplers Rede zu überbieten, die der Sozialdemokrat am 17. Juni 1989 und damit nur fünf Monate, bevor in Berlin die Mauer fiel, gehalten hat.

Während dieses wie auch während anderer Referate wurde im Publikum Widerspruch laut, wenn von der „Wende“ statt von der „friedlichen Revolution“ gesprochen wurde. Daß das, was im Sommer 1989, während die Westdeutschen zuschauten, in den DDR-Städten geschah, eine Revolution war, kann man schließlich beim jungen Karl Marx nachlesen. Er schrieb 1844 in seiner Einleitung „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“: „… alle Verhältnisse umzuwerfen in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“

Die beiden folgenden Beiträge von Hans-Ulrich Thamer aus Münster und Günther Heydemann aus Leipzig waren der Auseinandersetzung mit dem „Faschismus“ in beiden deutschen Staaten gewidmet. Während sie in Westdeutschland spät einsetzte, aus verständlichen Gründen, war ein verordneter „Antifaschismus“ der „Gründungsmythos“ des SED-Staates, was freilich nicht verhinderte, daß Hunderte ehemaliger Nationalsozialisten, darunter auch NS-Juristen und Wehrmachtsgeneräle, unter Walter Ulbricht Karriere machen konnten.

Volkhard Knigge thematisierte die Umgestaltung der DDR-Gedenkstätten nach 1990 am Beispiel Buchenwalds. Auch dieses 1937 errichtete Konzentrationslager war Instrument der DDR-Geschichtspolitik. Deshalb erscheint es auch unverständlich, daß die DDR-Regierung das Lager 1952 abbrechen ließ, um auf den Relikten 1958 eine Gedenkstätte zu errichten.

Die Referate des zweiten Tages, vielleicht die aufschlußreicheren zur Rettung der Erinnerungskultur, waren der didaktischen Umsetzung der SED-Diktaturgeschichte und Erfahrungsberichten vorbehalten.

Während Marianne Birthler aus Berlin ausführlich über die Arbeitsweise der vulgo „Gauck-Behörde“ genannten Einrichtung informierte, wo 2004 pro Monat 7800 Anfragen eingegangen seien, beschrieb der Theologe Peter Maser aus Münster die Arbeit der beiden Bundestagsenquetekommissionen 1992/98, bei denen 327 Sachverständige und Zeitzeugen aufgetreten seien.

Das „Zeitgeschichtliche Forum Leipzig“, für das Reiner Eckert sprach, ist eine Zweigstelle des „Hauses der Geschichte“ in Bonn und will durch Ausstellungen und Vorträge DDR-Kenntnisse vermitteln. Das will auch, eingegrenzt auf die Zuchthäuser, die Gedenkstätte Bautzen, aus der Silke Klewin kam, die zu berichten wußte, daß ehemalige Häftlinge sächsisch sprechende Führer durch die Zuchthauslandschaft ablehnten.

Ehrhart Neubert und Joachim Gauck sind allein durch ihre Prominenz und wegen ihres Fachwissens gefragte Referenten. Neubert erzählte von einer Reise nach Moskau, wo neuerdings wieder Stalin-Büsten aufgestellt würden, worauf ein russischer Freund ihm erklärt habe: „Nichts ist schwerer vorauszusagen als die Vergangenheit!“ Bedenkenswert waren auch seine Ausführungen zu den Erinnerungstypen Ost und West. So berichtete er unter der Rubrik „Wendehälse“ von einem Pallotiner Pater, der in russischer Gefangenschaft Marxist geworden sei, in der DDR als Atheist gewirkt habe, nach 1989 wieder zum katholischen Glauben zurückgefunden habe und von seinem Orden wieder aufgenommen worden sei. Gauck dagegen, der vorzüglich erzählen kann, schilderte Eindrücke von einer Reise in die Rostocker Partnerstadt Bremen wenige Tage nach dem Mauerfall. Er sei damals „mächtig verliebt in die Freiheit“ gewesen und habe in euphorischer Stimmung von der friedlichen Revolution und der neuen Freiheit geschwärmt, worauf ihm ein Bremer Freund sagte, so sprächen hierzulande nur CSU-Mitglieder.

Auf der Schlußdiskussion, geleitet von Christian Semler, einem versprengten APO-Mitglied, das heute als „taz“-Redakteur in Berlin lebt, wurden von dreien der vier Teilnehmer die Negativposten der angesichts der schwindenden Erinnerungskultur offensichtlich gescheiterten Wiedervereinigung aufgelistet. Besonders Hubertus Knabe von der Gedenkstätte Hohenschönhausen sowie der CDU-Abgeordnete und einstige Dissident Arnold Vaatz wußten sich gegenseitig zu übertreffen in der Aufzählung von Argumenten gegen eine fortschreitende Einheit der Deutschen. Diese Sichtweise erscheint durchaus realistisch, wenn man die enttäuschten Hoffnungen der Ex-DDR-Bürger ernst nimmt.


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