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31.12.05 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 31. Dezember 2005

Susannes neue Freunde / Weshalb wir nicht demonstriert haben: Was uns Frau Osthoff von ihren "Entführern" berichtet, klingt doch alles ganz nett?
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Also die Entlassung des Hisbollah-Terroristen Mohammed al-Hammadi aus deutscher Haft hat mit der Freilassung von Susanne Osthoff nichts, aber auch gar nichts zu tun, bekräftigt das Auswärtige Amt mit hastigem Nachdruck. Daß Frau Osthoff fast zeitgleich mit der Freisetzung des Libanesen von ihren Häschern laufengelassen wurde, sei Zufall. Und Lösegeld sei auch keines geflossen! Wer nach diesen Dementis ernstgeblieben ist, der versteht etwas von Staatsräson.

Wie hoch der Einsatz der deutschen Regierung nun wirklich war, werden wir – zumindest von offizieller Seite – nie erfahren. Ergo verlassen wir uns auf unsere düsteren Ahnungen, die uns schon die ganze Zeit der Entführung hindurch begleitet haben. Von einigen Medien wurden die Deutschen durch die Blume gerügt, daß sie nicht wie andere Völker massenhaft auf die Straße gegangen seien, um die Freilassung ihrer Landsmännin zu fordern. Nun ja, da war halt dieser Verdacht, daß hier etwas anders ist als sonst bei solchen Entführungen. Nur Genaues wußte keiner.

Der Verdacht trog nicht. Was Zeitungen und Fernsehen uns als finstere Kidnapper verkaufen wollten, hat sich inzwischen als eine Gruppe humanitärer Helfer herausgestellt, wie uns Susanne Osthoff selbst aufklärte. Man muß sich richtig gut verstanden haben. Den Darlegungen der Frau Osthoff folgend unterschieden sich die vermeintlichen Entführer von generösen Gastegebern nur darin, daß sie erstens kein Geld hatten und zweitens keine Absage duldeten, weshalb sie die Deutsche gleich von ihrem Wagen abholten, bevor sie „Terminschwierigkeiten“ hätte vorschützen können. Seitdem wir all das wissen, was uns Frau Osthoff via „Al-Dschasira“ mitgeteilt hat, wirkt die Aufregung deutscher Politiker darüber, daß sie alsbald ins gastliche Zweistromland zurückkehren möchte, vollkommen deplaciert. Auch da ist der Volksmund schon wieder weiter im Erkenntnisprozeß: „Sollse doch!“ hört man aus allen Ecken. Aber nur kein Geschrei, wenn die nächsten Gastgeber weniger liebevoll mit ihr umgehen sollten – das ist derzeit Konsens in Deutschlands Straßen. Manchmal muß Vernunft kaltschnäuzig sein, wenn man sie durchhalten will.

Dabei macht kühler Realismus keineswegs so unglücklich, wie die Romantiker behaupten. Die deutsche Jugend ist seit langem nicht mehr so optimistisch gewesen wie Ende 2005, wollen Meinungsforscher herausgefunden haben. Ein Grund für den Frohsinn der Nachwachsenden wird darin liegen, daß das Älterwerden dabei ist, seinen Schrecken zu verlieren. Das hat einerseits mit der modernen Medizin zu tun. Andererseits mit dem Fernsehen: Wer als Erwachsener über die Feiertage sogenannte „Kinderfilme“ über sich ergehen ließ, hat eine Ahnung davon bekommen, was die Kleinen heute aushalten müssen – und können! Als, sagen wir mal, Achtjähriger hätte der Verfasser dieser Zeilen spätestens nach einer Viertelstunde „Harry Potter“ psychologischer Hilfe bedurft und freiwillig sein eigenes Zimmer aufgegeben, um nur ja nicht des Nachts mit den im Film gesehenen Monstern und Fährnissen allein zu sein. Die Stepkes von heute stecken den Horror mit links weg. Sie sind bereits gestählt von den „normalen“ Nachmittagsserien für Vor- und Grundschulkinder. In atemberaubender Geschwindigkeit lösen sich dort grelle, laute Szenen mit noch schrilleren Werbespots ab, daß einem der Kopf schwirrt.

Wer seine Kindheit zwischen Potters „Kammer des Schreckens“ und dem Kabelfernsehen verbacht hat, kann nur Optimist werden. Was soll denn noch kommen? Frühere Generationen verbrachten, wenn sie spät genug geboren waren, um Krieg und wirkliches Elend zu verpassen, die ersten Jahre in einer Art Heimatfilm. Wenn dann die ersten Informationen aus der Wirklichkeit auf die Pubertierenden herniederkamen, war der Schock gewaltig. Die Zukunftserwartungen fielen entsprechend düster aus: Atomkrieg, Umweltdesaster und Weltuntergang gleich nach dem Schulabschluß.

Auch mit diesen Katastrophen sind heute 18jährige seit Kindesbeinen aufgewachsen. Seitdem sie fernsehen, wird ihnen das finale Fiasko, der Untergang Deutschlands und der Welt allwöchentlich versprochen. Er kommt dann aber nie, weshalb sich die instinktive Einstellung in sie eingräbt: Alles halb so wild – geht schon irgendwie weiter.

Die neue Kanzlerin paßt auf diese Teenager wie angegossen: Alle beschreiben sie als sachorientiert und unideologisch, eine Frau, die ernsthaft aber gelassen ihre Arbeit macht, ohne sich von Knalleffekten verleiten oder Untgergangsszenarien verunsichern zu lassen. Mit sanfter Stimme läßt sie uns mitteilen, daß wir ab 2007 jährlich zwei Milliarden mehr netto in den EU-Topf zahlen müssen, obschon weder sie noch wir eine Ahnung haben, woher wir das Geld nehmen sollen. Soviel Gelassenheit läßt auf eingefleischte Zuversicht schließen.

Die indes versprühte auch ihr Vorgänger, und das mit erheblichem Grund, wie sich nun zeigt. Sein neuer Titel lautet „Bundeskanzler a. D.“, die Abkürzung steht für „außer Dienst“. Ein Witz: Man kommt kaum noch mit, in wessen „Diensten“ sich der Altkanzler mittlerweile alles befindet: Ein Verlag, ein Öl- und Gasgigant mit angeschlossenem Medienimperium und nun auch noch eine Redneragentur. „Harry Walker“ heißt die US-Firma und ist ein sündhaft teurer Mietservice, bei dem man per Katalog abgelegte Staatsmänner bestellen kann, damit die einem in der Aktionärsversammlung oder dem Managerkongreß etwas Glanz versprühen. Da halten die dann eine Rede (die sie nicht geschrieben haben) über die Weltlage, und alle Zuhörer schnüffeln versonnen den Odem des Großen und Ganzen. Vor allem der Veranstalter, der noch Jahre hinterher beim Sektempfang ganz beiläufig einfließen lassen wird: „Als wir damals den Schröder bei uns hatten, da hat der schon gesagt … “ Mit etwas Glück hat sich der Gesprächspartner von der Konkurrenz nur die B-Liga von der Resterampe ausrangierter Spitzenpolitiker leisten können und müßte in dem Moment mit einem abgehalfterten Ministerpräsidenten kontern. Macht er das wirklich, kann man ihn mit einem herablassenden Lächeln zertreten wie eine Laus. Solche Siegeserlebnisse lassen sich Unternehmensführer bis zu 250000 US-Dollar kosten. Das ist der Spitzentarif für eine Rede bei „Harry Walker“, in dessen Stall auch die beiden Ex-US-Präsidenten Carter und Clinton ihr Auskommen gefunden haben.

Im Prinzip funktionieren solche Läden wie Schauspieleragenturen, nur daß hier die Darsteller den Text nicht lernen müssen, weil sie ihn ja ablesen dürfen. Wie echte Schauspieler müssen indes auch die Politpensionäre aufpassen, daß sie nicht verramscht werden. Sonst wird das Publikum übersättigt. Und jeder Lohnredner sollte seine Marktnische finden. Wenn Michail Gorbatschow beipielsweise auftritt, weiß man bereits vor dem Blick aufs Programm, daß es um Kinder, Hunger oder Frieden geht. Eine Rede über Wirtschaft würde dem Gorbi kein Mensch abkaufen, das wäre nicht „glaubwürdig“. Zur Glaubwürdigkeit gehört nämlich ein unverwechselbares Profil, also kann man auch nicht über alles Mögliche reden, sondern braucht „sein Thema“. Der frühere Sowjetführer hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung ein Profil erredet, das ihn irgendwo zwischen Peter Ustinov und dem Dalai Lama ansiedelt.

Schröder wird sich eine andere Maske retouchieren lassen, die des harten Analytikers mit dem sozialen Gewissen. Auf den Leib geschnitten wäre ihm, dem Sozialdemokraten mit dem US-kritischen Geruch, das Thema „Turbokapitalismus“: Wie geldgierige Egoisten ihre herausgehobene Stellung hemmungslos zur „Gewinnmaximierung“ ausnutzen. Zu dem Komplex könnte er sogar auswendig vortragen.

Diese Jugend kann nichts mehr aus der Fassung bringen – da bleibt ihr nur noch Zuversicht

" … siebenstellige Beträge bitte deutlich schreiben!" Zeichnung: Götz Wiedenroth


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