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07.01.06 / Zurück zur Großmacht / Rußland setzt sein Erdgas und -öl für seinen Wirtschaftskrieg gegen die Ukraine ein

© Preußische Allgemeine Zeitung / 07. Januar 2006

Zurück zur Großmacht
Rußland setzt sein Erdgas und -öl für seinen Wirtschaftskrieg gegen die Ukraine ein
von M. Rosenthal-Kappi

Der russische Bär demonstrierte am 1. Januar in Gestalt des staatlich kontrollierten Gaskonzerns „Gasprom“ der aufmüpfig gewordenen Ukraine die Macht seiner Klauen. Er versucht, ihr einen Gaspreis zu diktieren, der den bisherigen, subventionierten, um das Vierfache übersteigt. Begründet hat Gasprom die Preiserhöhung mit einer Angleichung der Preise an jene, die auf dem Weltmarkt üblich seien. Tatsächlich gibt es aber keinen einheitlichen Preis für russisches Gas. Während der Westen um die 250 US-Dollar für 1000 Kubikmeter Gas bezahlen muß, erhalten russische Konzerne immer noch einen Freundschaftspreis von 40 US-Dollar.

Nach einem ähnlichen Streit samt länger anhaltendem Embargo hatte Weißrußland seine Anteile an den Pipelines den Russen übergeben und erhält im Gegenzug 1000 Kubikmeter Gas weiterhin für 47 Dollar. Diese Preisvortteile für die ehemaligen Bruderstaaten will Gasprom allmählich abbauen. Rumänien soll zugesagt haben, für 2006 einen Preis von 280 US-Dollar zu akzeptieren, von Moldawien hingegen werden 160 US-Dollar verlangt. Moldawien aber will diese Erhöhung von bisher 50 Dollar nicht hinnehmen und hat eine Zusage von der Ukraine erhalten, bei Engpässen mit ukrainischem Gas versorgt zu werden.

Um die Kontrolle der Pipelines geht es unter anderem auch im derzeitigen Konflikt zwischen Rußland und der Ukraine. Für den Transit von Rußland nach Westeuropa über ihr Territorium verlangt die Ukraine Transitgebühren. Die Eskalation des Gasstreits ist, da sind sich alle einig, politisch motiviert. Das Klima zwischen beiden Ländern begann sich bereits 2004 mit dem Sieg der „orangenen Revolution“ in Kiew deutlich zu verschlechtern. Gasprom, dessen Aktienanteil Putin gerade zu 50 Prozent als staatlich deklarieren ließ, hilft dem Präsidenten bei Wahlkämpfen. Mit dem Sieg der „orangenen Revolution“ in Kiew mußte Putin eine außenpolitische Niederlage einstecken, da Moskau die alten Machthaber unterstützt hatte, denen Wahlfälschung nachgewiesen wurde. Die Folge war, daß das ukrainische Volk auf die Straße ging und so dem heutigen Präsidenten Juschtschenko doch noch zum Wahlsieg verhalf. Viktor Juschtschenko gilt als liberal und prowestlich eingestellt. Seit seinem Amtsantritt strebt die Ukraine eine möglichst baldige Aufnahme in EU und Nato an. Eine Aufnahme in die WTO könnte ihr sogar noch vor Rußland gelingen.

Ein solches Bestreben kann den Mächtigen in Rußland kaum gefallen. Im Gegenteil. In Rußland gelang es dem Präsidenten gemeinsam mit seiner Einheitspartei, den sogenannten Bären (Medwedy), allzu demokratische Strömungen im Keim zu ersticken, liberale Kandidaten unter fadenscheinigen Vorwänden von Wahllisten streichen zu lassen, um die Macht Putins nicht zu gefährden. Die Angst, daß in Moskau ähnliches geschehen könnte wie in Kiew, scheint tief zu sitzen. Eine friedliche Revolution paßt nicht in das Bild, das Putin und seine Treuen von Rußland haben. Sie wollen eine wiedererstarkte Großmacht.

Zum Russischen Reich aber gehört unter historischen Aspekten betrachtet untrennbar auch die Ukraine. In Kiew entstand im Frühmittelalter der erste russische Staat, die Kiewer Rus (zirka 838–1240), ein Großreich, das hohes Ansehen in Europa genoß, dessen riesiges Gebiet von Ostslawen, Finnen und Balten sowie von iranischen und turkstämmigen Völkern bewohnt wurde und das sich über das Gebiet der heutigen Staaten Rußland, Ukraine und Weißrußland erstreckte.

Infolge der engen Handelsbeziehungen mit dem Byzantinischen Reich trat die Rus zum orthodoxen Glauben über. Ihre bedeutendsten Herrscher, denen es gelang, das Vielvölkergemisch zu einigen, waren Namensvettern des heutigen russischen Präsidenten: Wladimir der Heilige und Wladimir Monomach, die das Reich im 10. und 11. Jahrhundert zur Blüte brachten. Wladimir Putin, dessen „gelenkte Demokratie“ die Absicht hat, die untergegangene Großmacht Sowjetunion durch ein gestärktes Rußland zu ersetzten, könnte dies in einer dritten Amtszeit verwirklichen, wenn er, wie bereits gemunkelt wird, das Wahlgesetz ändert, um wiedergewählt werden zu können.

Als Machtinstrument dient der „Großmacht Rußland“ heute der Reichtum an Erdgas- und Erdölressourcen. Wie die aktuellen Vorgänge zeigen, könnte Rußland mit seiner Position in die Fußstapfen der OPEC-Staaten treten und Rohstofflieferungen künftig als politisches Druckmittel verwenden gegen jeden, der sich russischen Interessen entgegenstellt.

Brisant gestaltet sich das Bestreben der Ukraine, Natomitglied zu werden, sowie die Drohung, die Pacht für den Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol zu erhöhen, deren Stationierung vertraglich bis 2017 geregelt ist. Hier wird Rußland an empfindlicher Stelle getroffen. Würde die Ukraine in absehbarer Zeit in die Nato aufgenommen, dürften die Verträge ohnehin hinfällig sein. Da muß das alte Feindbild des Gegners Nato wieder bemüht werden. Dabei gibt es seit langem schon Teilgebiete, auf denen die einstigen Feinde zusammenarbeiten. Es sei nur das Stichwort „Terrorismusbekämpfung“ genannt. Gemeinsame militärische Übungen vor der Ostseeküste (beispielsweise mit der Baltischen Flotte vor der Küste des Königsberger Gebiets) im vergangenen Jahr zum Schutz vor Umweltkatastrophen zeigen, daß erneutes Säbelrasseln nur dazu dienen soll, die Ukraine davon abzuhalten, vor Rußland ein Bündnis mit den begehrten Partnern EU und Nato einzugehen.

Verbal kämpfen beide Seiten mit harten Bandagen. Von „Vertragsbruch“ ist auf ukrainischer Seite die Rede, mit „Diebstahl“ kontert die russische.

Vertragstreue scheint nicht gerade das Aushängeschild beider Streithähne im Umgang miteinander zu sein. Schon seit 1999 gab es immer wieder Streit um Gaslieferungen und deren Bezahlung. 2001 wurde vertraglich geregelt, wie die ukrainischen Schulden auf zwölf Jahre verteilt beglichen werden könnten. Für die Durchleitung des für den Export nach Westeuropa bestimmten Gases wurde der Ukraine eine Transportgebühr pro 1000 Kubikmeter Gas in Höhe von zuletzt 1,093 US-Dollar pro 100 Kilometer Strecke zugesprochen, die teils mit Gasentnahmen verrechnet wurde.

Julia Timoschenko, die im ukrainischen Gasgeschäft zu Reichtum gekommen ist, beschwor den Streit herauf, als sie nach der orangenen Revolution als ukrainische Ministerpräsidentin nach Moskau reiste und eine Erhöhung der Transitgebühr auf rund zwei US-Dollar verlangte. Zu Entnahmen aus den für Europa be-stimmten Gaslieferungen war es früher schon gekommen, weil die Ukraine aus dem Vertrag mit Rußland das Recht ableitet, 15 Prozent der Gasmenge abzuzapfen. Gasprom spricht davon, daß der Vertrag jährlich neu verhandelt werden müsse.

Die Ukraine hat im Dezember mit Turkmenistan einen Gasliefervertrag abgeschlossen, wäre somit unabhängiger von russischem Gas, wenn nicht die turkmenischen Pipelines durch russisches Territorium in die Ukraine führen würden. Diese Leitung wird die russische Seite kappen, wie ein Sprecher von Gasprom mitteilte. Rußland schloß zur gleichen Zeit einen eigenen Liefervertrag mit Turkmenistan ab.

Als Rußland am Neujahrstag der Ukraine den Gashahn abdrehte, bekamen dies auch EU-Staaten zu spüren: Deutschland, Österreich, Ungarn und Polen erhielten trotz langfristiger Verträge ein Viertel weniger Gas aus Rußland. Um die europäischen Abnehmer nicht zu verärgern, öffnete Gasprom inzwischen die Gashähne wieder.

Wie gefährlich es für die EU ist, im Notfall von nur wenigen Transportwegen und Energielieferanten abhängig zu sein, tritt nun deutlich zutage. Was auch immer man hinter dem Machtgebaren des russischen Gaskonzerns vermuten mag, ob nun Moskau die ukrainische Regierung unter Juschtschenko in Mißkredit bringen oder eher die Kritiker der geplanten Ostseepipeline von deren Wichtigkeit überzeugen wollte – eines ist deutlich geworden: Die Konzentration auf nur wenige Transportwege und die Abhängigkeit von der Energieversorgung durch einen Großanbieter könnte für die gesamte EU fatale Folgen haben.


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