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07.01.06 / Vom Klassenprimus zum Klippschüler / Deutsche Nukleartechnologie und Kernkraftnutzung im internationalen Vergleich – ein Trauerspiel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 07. Januar 2006

Vom Klassenprimus zum Klippschüler
Deutsche Nukleartechnologie und Kernkraftnutzung im internationalen Vergleich – ein Trauerspiel
von Hans-Jürgen Mahlitz

Die Kernenergie sei „die einzige Energieerzeugungsart, die kein CO2 emittiert, zudem effektiv fossile Energie ersetzen und den globalen Energiehunger decken kann.“ Eine Aussage, die schon deshalb höchst bemerkenswert ist, weil sie nicht von einem Vertreter der sogenannten „Atom-Lobby“ stammt. Im Gegenteil: Ausgerechnet Dr. Patrick Moore, Mitbegründer von Greenpeace, ließ sich zu dieser Jubelarie auf die Atomkraft hinreißen. Und das, nachdem Greenpeace im Anti-AKW-Kampf jahrzehntelang stets an vorderster Front gestanden hatte.

Natürlich ließ Dr. Walter Hohlefelder, als Präsident des Deutschen Atomforums Spitzenrepräsentant eben dieser Atom-Lobby, es sich nicht nehmen, den Greenpeace-Saulus-Paulus genüßlich zu zitieren. Gelegenheit dazu fand er kürzlich auf einem „Forum für Zukunftsenergien“ im Brennelementelager Gorleben. Da zu diesem Zeitpunkt gerade kein Castor-Transport samt begleitendem Protest-Reisekader im Anmarsch war, fand die hochkarätig besetzte Veranstaltung keinen Eingang in die überregionale Berichterstattung – was aufgrund der gebotenen Informationsfülle durchaus zu bedauern ist.

Im Kern ging es darum, überzeugend darzulegen, daß die Kernenergie eben nicht ein Auslaufmodell ist (wie man aus dem bundesdeutschen Ausstiegsbeschluß herauslesen könnte), sondern eine wichtige Zukunftsenergie. Diese beiden gegensätzlichen Positionen lassen sich auch geografisch beschreiben: Deutschland gegen den Rest der Welt. Denn längst haben auch jene Länder, die Deutschland anfangs auf dem Weg in eine AKW-freie Zukunft begleitet hatten, dies als Irrweg erkannt.

Zum Beispiel Schweden: Im Jahre 1980 waren die Skandinavier weltweit die ersten, die sich per Gesetz den Ausstieg aus der Nukleartechnologie verordneten, getragen von einer breiten Bevölkerungsmehrheit. Heute befürworten laut einer aktuellen Umfrage 83 Prozent der Schweden den Weiterbetrieb der vorhandenen Anlagen. Die Stockholmer Regierung hat sich inzwischen mit den Betreibern verständigt, ein Nachrüstprogramm aufzulegen und damit für alle Nuklearanlagen eine Laufzeit von 60 Jahren zu ermöglichen.

Auch in der Schweiz sollen die Kernkraftwerke 60 Jahre lang in Betrieb bleiben. Außerdem beschloß das Parlament in Bern, die Möglichkeit zum Bau neuer Reaktoren ausdrücklich zuzulassen.

In den USA, wo vor neun Jahren der vorerst letzte Reaktor-Neubau ans Netz ging, wurde für bislang ein Drittel aller 104 Atomkraftwerke eine Laufzeitverlängerung genehmigt. Dort geht man davon aus, daß nahezu der gesamte Kraftwerkspark 60 Jahre lang laufen kann.

Kanada hat seit 2003 drei bereits stillgelegte AKW wieder in Betrieb genommen. Eine weitere Anlage steht kurz vor der Reaktivierung – ein Begriff, der in diesem Zusammenhang durchaus wörtlich zu nehmen ist.

Die Niederländer beabsichtigen, das Kernkraftwerk Borssele mindestens bis 2033 weiter zu betreiben, also 20 Jahre länger, als sie ursprünglich geplant hatten.

Noch weiter geht die britische Regierung: Sie prüft nicht nur Laufzeitverlängerungen, sondern auch den Bau mehrerer neuer Kraftwerkblöcke.

Insgesamt sind derzeit in 31 Ländern 440 Kernkraftwerke in Betrieb. Davon sind 125 in den letzten 20 Jahren ans Netz gegangen. 22 Atommeiler zur Stromerzeugung befinden sich im Bau. Sechs AKW – zwei in der Ukraine, je eins in China, Japan, Korea und Rußland – waren 2004 fertiggestellt worden.

Führend im Kraftwerk-Neubau ist Indien. Dort werden bis 2010 neun im Bau befindliche Anlagen die Stromerzeugung aufnehmen. Bis 2020 plant die Regierung in Neu-Delhi die Installation weiterer 15 Gigawatt elektrischer Leistung aus Kernkraft; das würde etwa zehn bis zwölf Reaktorblöcken heute üblicher Dimension entsprechen.

Die Russen sind dabei, sechs neue Kernkraftwerke zu errichten; sie sollen zwischen 2008 und 2011 in Betrieb genommen werden. Weitere zehn bis 20 Gigawatt sind in der Vorplanung bis 2020 ausgewiesen.

Japan hat drei Anlagen im Bau und will zudem seine Nuklear-Kapazität bis 2020 um 17 Gigawatt steigern. Die Chinesen haben, nach der bereits erwähnten Inbetriebnahme zweier Kraftwerke im vergangenen Jahr, den Bau weiterer acht Anlagen fest beschlossen. Insgesamt will das fernöstliche Riesenreich bis 2020 seine Kernkraftkapazitäten um 30 Gigawatt erweitern.

In Europa sind die Franzosen und die Finnen Vorreiter beim weiteren Ausbau der Kernkraft. Paris hat das Genehmigungsverfahren für einen neu entwickelten Reaktortyp namens ERP eingeleitet, der 2012 fertiggestellt sein soll. Finnland baut bereits an einem solchen ERP-Reaktor in Olkiluoto; er soll 2009 den Betrieb aufnehmen.

Interessant ist auch die Entwicklung in Südafrika. Hier arbeitet man intensiv an der Entwicklung eines sogenannten Kugelhaufenreaktors. Diese Technologie, die von Fachleuten als „Generation IV“ bezeichnet wird, basiert auf bahnbrechenden Forschungsarbeiten von Prof. Dr. Rudolf Schulten an der Kernforschungsanlage Jülich in den 70er Jahren. Von diesen zukunftsträchtigen Arbeiten blieb uns Deutschen lediglich ein sündhaft teures „Industriedenkmal“ in Form des Hochtemperaturreaktors THTR beim westfälischen Hamm, der nie in Betrieb gehen durfte und so zum ersten Opfer eines ideologisch verblendeten Zeitgeistes wurde. Außerhalb Deutschlands gilt er als das am weitesten in die Zukunft greifende technologische Konzept, möglicherweise die letzte Stufe vor einem Fusionsreaktor (der dann nicht mehr die Spaltung schwerer, sondern die Verschmelzung leichterer Atomkerne zur Energiegewinnung nutzen soll).

Gerade in diesen Tagen, in denen Rußland aller Welt demonstriert, wie mächtig man als Lieferant wichtiger Energieträger ist, spielt die Frage der Versorgungssicherheit eine wichtige Rolle. Kernkraftkritiker wenden gern ein, die weltweiten Uranvorräte seien schnell erschöpft, zumal wenn weitere Kraftwerksneubauten beschlossen würden. Dem ist entgegenzuhalten, daß allein durch Produktionssteigerungen in den heute arbeitenden Minen der Uranbedarf bis 2010 gedeckt werden kann. Insgesamt jedoch reichen die bekannten, aber noch nicht zum Abbau erschlossenen Uranvorräte für deutlich über 200 Jahre aus. Bis dahin aber dürfte man – da sind sich nicht nur die Plasmaphysiker sicher – die heute noch übergroßen Probleme bei der Zähmung der Fusionsenergie im Griff haben. Dies ist übrigens die Methode, mit der auch die Sonne ihre lebensspendende Energie erzeugt.

Zur Versorgungssicherheit gehört nicht nur, daß genügend große Brennstoffvorräte verfügbar sind. Es ist auch wichtig, wo man verwertbares Uran bekommt. Die bedeutendsten Lieferländer sind Australien und Kanada (50 Prozent Weltmarktanteil), also Staaten, deren politische Stabilität deutlich höher einzuschätzen ist als bei vielen Erdöl- oder Erdgaslieferanten. Hinzu kommt, daß der nukleare Brennstoff einen vergleichweise winzigen Platzbedarf zur Lagerung hat: Ein Kilo angereichertes Uran hat ein Energiepotential, das etwa 80000 Kilo Kohle entspricht. Es ist also viel einfacher als bei allen anderen Energieträgern, sich ausreichende Vorräte für Krisenzeiten zuzulegen.

In Deutschland liegt, trotz rot-grünem Ausstiegsbeschluß, der Anteil der Kernkraft an der Stromerzeugung seit Jahren konstant bei etwa einem Drittel, im Grundlastbereich sogar bei 50 Prozent. Somit kann man die Atomenergie zum Leidwesen aller AKW-Gegner als Rückgrat unserer Elektrizitätsversorgung bezeichnen.

In den nächsten 15 Jahren müssen konventionelle Kraftwerke mit insgesamt 20 Gigawatt Leistung vom Netz genommen werden, weil sie veraltet und nicht mehr sicher beziehungsweise umweltschonend genug sind. Nach derzeitiger Rechtslage kämen bei einem fortbestehenden Atomausstieg noch einmal 20 Gigawatt Ersatz für die bis dahin abzuschaltenden AKW hinzu. Das heißt, bis 2020 müßten 40 Prozent der heutigen Kraftwerkkapazität ersetzt werden – wodurch, hat uns noch keiner der Ausstiegsapostel erklären können.

Seriöse Fachleute sind jedenfalls übereinstimmend der Ansicht, daß die hochgelobten „erneuerbaren Energien“ (womit wohl nachwachsende Energieträger gemeint sind) auch in fernerer Zukunft nicht mehr als zwei Prozent des weltweiten Primärenergiebedarfs werden decken können.

Für den Bürger und „Normalverbraucher“ ist es nicht nur wichtig, wo der Strom herkommt, sondern auch, was er kostet. Hier ist die Kernenergie eindeutig im Vorteil. Zwar ist der Kapitaleinsatz spürbar höher als bei konventionellen Kraftwerken – Sicherheit ist gerade bei dieser Technologie unverzichtbar, hat aber ihren Preis. Dafür ist der nukleare Brennstoff, also niedrigangereichertes, für militärische Zwecke völlig ungeeignetes Uran, wesentlich billiger als Kohle, Öl und Gas – gar nicht zu reden von den Kosten, die bei Windenergie und ähnlichen alternativen Luxusprojekten zur Besänftigung des ökologischen Gewissens anfallen.

Zum Thema Sicherheit ist noch anzumerken: Die deutschen Kernkraftwerke zählen nach wie vor zu den sichersten der Welt. Bei der jährlichen Erfassung der Anlagen mit der größten Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit (also den wenigsten Betriebsstörungen) liegen sie regelmäßig auf Spitzenplätzen. Lange Zeit war demzufolge nukleare Sicherheitstechnologie ein bedeutender, arbeitsplatzschaffender Exportschlager. Diese führende Rolle geht uns durch den politisch-ideologisch motivierten Ausstieg, die daraus folgende Isolierung und Abkoppelung von der internationalen Forschung und Entwicklung zunehmend verloren. Oder im Klartext, wie es Atomforums-Präsident Hohlefelder formulierte: „Wir werden in diesen Fragen nicht mehr richtig ernst genommen.“ Nicht nur bei Pisa, sondern auch in diesem Bereich entwickeln wir uns also zielstrebig vom Klassenprimus der Physikerwelt zum belächelten Klippschüler.

Wenn wir – was in bundesdeutschen Medien ja nur selten vorkommt – hier einmal ausführlich die Vorteile der friedlichen Nutzung der Kernenergie darstellen, bedeutet das keineswegs, das wir blind wären für Gefahren und Risiken.

Es ist überhaupt nicht zu bestreiten, daß diese Technologie weitaus komplizierter, schwieriger zu handhaben und damit auch mit größeren Risiken behaftet ist als alles, was der Mensch bisher eingesetzt hat, um sich Energie nutzbar zu machen. Um so höher muß der materielle und geistige Einsatz sein, um diese Technik so sicher wie nur möglich zu machen. Daß dies möglich ist, haben vier Jahrzehnte Kernkraftnutzung in Deutschland ohne einen einzigen wirklich schweren Zwischenfall im Nuklearbereich gezeigt. Das es – leider – auch anders geht, daran erinnert uns Tschernobyl.

Diese Katastrophe, die inzwischen zwei Jahrzehnte zurückliegt, darf nie vergessen werden – nicht, um damit unsinnige Ausstiegsszenarien dramatisch zu untermalen, sondern um immer wieder anzumahnen: Doppelte, dreifache, vierfache Sicherheit ist das oberste Gebot. In diesem Falle darf man sogar einmal sagen: „Egal, um welchen Preis!“

Die anderen Industrieländer der Welt setzen selbstbewußt auf den Ausbau der Kernenergie

Wie die Energielücke nach dem Atomausstieg gefüllt werden soll, steht noch in den Sternen

Weltmeister in Sachen Zuverlässigkeit: Im Jahr 2004 (für 2005 sind noch keine Zahlen verfügbar) lag das Kernkraftwerk Isar II bei der Bruttostromerzeugung weltweit auf dem ersten Platz. Unter den ersten zehn von insgesamt 440 AKW findet man weitere vier deutsche Anlagen. Auch diese Zahlen belegen das nach wie vor hohe Sicherheitsniveau. Foto: pa


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