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14.01.05 / Reißerisch, aber nicht immer neu / Meinhard Miegel über die Zukunftschancen des Westens und neue Mächte

© Preußische Allgemeine Zeitung / 14. Januar 2006

Reißerisch, aber nicht immer neu
Meinhard Miegel über die Zukunftschancen des Westens und neue Mächte

Der Westen befindet sich in der Defensive. Seine alternde und in großen Teilen religiös laue Bevölkerung fühlt sich bedroht von Massen an jungen und fanatisierten Menschen islamischen Glaubens aus Afrika und Asien. Mit Indien und China lauern zwei Riesenreiche auf ihre Chance, zur wirtschaftlichen oder weltpolitischen Großmacht zu werden. Resignative Geister könnten nun zu dem Fehlschluß kommen, den Kopf in den Sand zu stecken und noch mal eine rauschende Party zu feiern, für deren Kosten dann die zukünftigen Generationen aufkommen.

Meinhard Miegel, Vorstand des Bonner Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft sowie Sprecher der etwas in die Versenkung geratenen Initiative Bürgerkonvent, ist aus anderem Holz geschnitzt. Er hat keinen Faible für die Resignation, sondern eine Affinität zum Realismus.

In seinem Buch „Epochenwende“ geht Miegel der Frage nach, wie die Menschen in den sogenannten früh industrialisierten Ländern des Westens den Wandel aktiv gestalten können. Der Untertitel „Gewinnt der Westen die Zukunft?“ ist natürlich etwas reißerisch und soll Aufmerksamkeit erregen. Katastrophen- und Krisenliteratur à la Spenglers „Untergang des Abendlandes“ geht eben besser über den Ladentisch.

Zusätzlich haftet dieser Zeile etwas Vermessenes an, denn selbst so vorausschauende Männer wie Miegel, der schon seit 30 Jahren vor den Auswirkungen des demographischen Wandels warnt, können nicht die Zukunft vorhersagen. Mit den Büchern über den vermeintlichen Niedergang Deutschlands oder sogar des Westens insgesamt – laut Miegel sind die Vereinigten Staaten demnächst auch an der Reihe – lassen sich gute Geschäfte machen und Lesereisen organisieren.

Mit ein wenig Murren nimmt man daher zur Kenntnis, daß der Autor fast 300 Seiten darauf verwendet, teilweise sehr vertraute Fakten dem geneigten Leser ein weiteres Mal zu unterbreiten. Es empfiehlt sich daher eine Lektüre, die die versteckten Früchte herauspickt. Das ist nicht immer leicht, da Miegel recht pauschal sein apodiktisches Urteil über alle Länder des Westens fällt, ohne zwischen den bisweilen doch sehr unterschiedlichen Bedingungen in Amerika, Deutschland, Frankreich oder Großbritannien zu unterscheiden. Mit Interesse zieht man jedoch beispielsweise seine Ausführungen zu den zerbrochenen Familien zu Rate. Die Sozialingenieure in allen Parteien tun so, als ob mit immer mehr Geld und immer mehr Ganztagsangeboten der „Masterplan“ für die Familienpolitik vorgegeben sei.

Völlig zu Recht weist Miegel darauf hin, daß zumindest viele Deutsche nur noch in Kategorien des Konsums denken. Erst muß das Auto da sein, dann zweimal Urlaub im Ausland, schön wäre auch ein Haus, und wenn dann noch ein paar Euro übrig sind, kann man vielleicht auch an die Familienplanung herangehen. In den 50er Jahren war die Prioritätenliste umgekehrt: Erst das Kind, dann die Fernreise, dann ein Häuschen und obendrauf vielleicht noch einen Kleinwagen.

Bedenkenswert scheint auch Miegels Einwand, daß die Arbeitslosigkeit nicht nur strukturelle Gründe hat, sondern vor allem ein Kopfproblem darstellt. Der Autor hält nichts von dem wilden Gefuchtel der Politiker, die mit vermeintlich beschäftigungsfördernden Maßnahmen wie Konjunkturprogrammen oder angeblich Arbeit schaffenden Subventionen dem Problem zu Leibe rücken wollen.

Viele Deutsche sind sich einfach zu fein, bestimmte Arbeiten anzunehmen. Es sei ja geradezu absurd, wenn sich keine einheimischen Arbeitslosen finden, die Spargel stechen, bei der Ernte helfen oder in Pflegeberufen tätig sein wollen. Natürlich kann nicht jeder jede Arbeit übernehmen. Aber daß rund fünf Millionen Menschen für diese Arbeiten nicht in Frage kommen, läge daran, daß eine Kombination von staatlichen Fürsorgeleistungen und Schwarzarbeit oft lukrativer ist als „normale“ Arbeit.

Viele Wahrheiten werden insbesondere den deutschen Gewerkschaften nicht passen, die von innerstaatlicher Umverteilung träumen. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ sagte aber Miegel zurecht, daß in Zukunft nicht mehr zwischen wohlhabenden und ärmeren Deutschen umverteilt wird, sondern zwischen Deutschen, Ungarn und Chinesen. Denn wenn für gleiche Arbeit jemand in Hamburg 40000 Euro, in Ungarn 6000 Euro und in China 1200 Euro als Jahreseinkommen erhält, dann ist dies die logische Konsequenz.

Vielleicht kommt ja auch alles ganz anders. Vielleicht führt das Nebeneinander von wirtschaftlicher Liberalisierung und politischer Gängelung in China zur Explosion. Vielleicht steigen Mächte auf, die wir jetzt noch gar nicht auf der Karte haben. Vielleicht wird in der westlichen Welt ganz tüchtig reformiert oder weiter herum gewurstelt. Vielleicht ist der Westen auch mal wieder Avantgarde, denn die Überalterung der Gesellschaft wird in einem halben Jahrhundert zum Beispiel China noch viel brutaler treffen als die früh industrialisierten Länder.

Doch egal was kommt: Wir alle müssen von unserem hohen Roß herunter, damit wir uns ungefähr das leisten können, was bisher selbstverständlich war. Ohne frischen Elan wird das aber nicht gehen. Ansgar Lange

Meinhard Miegel: „Epochenwende – Gewinnt der Westen die Zukunft?“, Propyläen Verlag, Berlin 2005, 312 Seiten, 22 Euro


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