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04.02.06 / Kirche als Heimat / Warum die US-Amerikaner religöser als die Deutschen sind

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. Februar 2006

Kirche als Heimat
Warum die US-Amerikaner religöser als die Deutschen sind
von Norbert Matern

Eines der interessantesten Rätsel der Religionssoziologie ist die Frage, warum Amerika so viel religiöser als Europa ist“, meint Peter L. Berger in seinem Buch „The Desecularization of the World“. In ihrer Reihe „Werte XXI“ lud die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung den Gründungsrektor des „Deutschen Historischen Instituts in Washington“, Hartmut Lehmann, ein, seine Überlegungen vorzutragen.

Weil Amerika so groß ist, sind generelle Urteile schwer zu fällen. Unbestritten glauben aber 90 Prozent aller US-Bürger an Gott, in Deutschland bestenfalls zwei Drittel. Schon titelte eine große amerikanische Zeitung : „Von der Demokratie zur Theokratie?“ Während in der Bundesrepublik zwei große Kirchen das religiöse Leben bestimmen, sind es in den USA viele, die miteinander konkurrieren. Da kann es vorkommen, daß in kleinen Orten zehn Gotteshäuser nebeneinander stehen, in denen zwar derselbe Gott, aber auf unterschiedliche Weise verehrt wird. Die Gemeinden empfinden sich als Familien, die auch in Notfällen – die Verarmung nimmt zu – für einander einstehen und in der Regel nach dem Gottesdienst zum gemeinsamen Prayer-Breakfast bleiben. Da es in Amerika in den Schulen keinen Religionsunterricht gibt, findet er in den Gemeinden statt. Der amerikanischen Freiwilligkeit steht die deutsche Kirchensteuer gegenüber. Religionssoziologen sprechen von „Religiöser Marktpolitik“.

Aus historischer Sicht, so Lehmann, wirkt die Zeit der Pilgerväter und die große Einwanderung meist katholischer Lateinamerikaner, Iren und Polen nach. Sie gründeten Pfarreien oder fanden in den bestehenden Aufnahme. So ist es auch heute noch bei der starken amerikanischen Binnenwanderung und damit verbundenen Entwurzelung. Man kommt in eine neue Region und findet dort Beheimatung in der Kirche. Das Alte Testament gibt die Situation vor: Der Flüchtling, der Fremde findet Hilfe im Gottvertrauen. So entstand das christliche Amerika im 19. Jahrhundert. Seit 1970 zählen die USA 30 Millionen Neueinwanderer, von denen viele Katholiken sind. Evangelikale und charismatische Gruppen haben erheblichen Einfluß bis in die derzeitige Bushregierung hinein. Die Deutschen schafften Bekenntnisschulen ab, in Amerika nehmen sie zu.

Alle US-Nachkriegspräsidenten haben sich zu ihrem Glauben bekannt. Sie leben die Verbindung von Religion und Nation vor. Politiker nutzen bewußt ihren religiösen Hintergrund. Das prägt.

Der Gottesbezug in der geplanten EU-Verfassung wurde zum Problem, obwohl selbst „katholische“ Staaten wie Polen, Portugal oder Spanien keinen Hinweis auf Gott in ihren Verfassungen haben. Deutschland ist mit seinem Grundgesetz neben anderen wenigen Ländern eine Ausnahme. Anders als in den USA sind die europäischen Massenmedien wenig religiös orientiert .

Während man in Europa in eine Kirche hineingeboren wird, kommt es in den USA meist zu einem freiwilligen Eintritt mit entsprechenden finanziellen Verpflichtungen. Engagierte Christen gelten anders als in Europa auch als gute Patrioten. In Amerika wächst das Christentum, in Europa der Islam.

Lehmann stellt Europa keine gute Prognose. Die Säkularisierung nimmt zu, Kirchen werden verkauft, Gemeinden zusammengelegt. An Stärke gewinnen allerdings die Pfingstbewegungen. Missionare aus der Dritten Welt ersetzen die fehlenden eigenen Geistlichen. In Nordirland und auf dem Balkan gibt es weiterhin „religiöse Reibungen“. An den europäischen Universitäten sollte es, so Lehmanns Rezept, mehr Lehrstühle für vergleichende Religionswissenschaft geben. Nur in genauer Kenntnis anderer Religionsgemeinschaften lassen sich Lösungen entwickeln, wie religiös motivierte Konflikte zu entschärfen sind.

Gottesdienstbesucher im US-Bundesstaat Maine: Die US-Bürger sind eifrige Kirchgänger Foto: AP


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