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04.02.06 / Warschau vor Neuwahlen / Polnische Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Europafähigkeit sind nicht gesichert

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. Februar 2006

Warschau vor Neuwahlen
Polnische Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Europafähigkeit sind nicht gesichert
von Bernhard Knapstein

In der jungen polnischen Demokratie geht es drunter und drüber. Von Stabilität kann keine Rede sein.

Die von den Zwillingen Jaroslaw und Lech Kaczynski gesteuerte Regierung Marcinkiewicz führt die Republik geradewegs zur Vierten Republik. Dabei treibt die Minderheitsregierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Oppositionsparteien, die die Mehrheit im Sejm stellen, munter vor sich her.

PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski hat soeben den Haushalt mit einem Volumen von 58,5 Milliarden Euro im Sejm durchgeboxt. 230 Änderungsanträge zum Haushalt waren zu überwinden. Einen Teil der dadurch entstandenen Haushaltsänderungen möchte Kazimierz Marcinkiewicz bei den Beratungen in der zweiten Kammer, im Senat, nun wieder rück-gängig machen. Zwar ist die PiS auch im Senat mit 48 von 100 Sitzen in der Minderheit, doch das Druckmittel „Neuwahlen“ hat auch schon im Sejm gefruchtet. Bis zum 19. Februar muß der Haushaltsbeschluß dem Staatspräsidenten zur Unterschrift vorliegen, sonst kann dieser das Parlament auflösen. Da Staatspräsident Lech Kaczynski aber die Interessen seines Zwillingsbruders teilt, wird er ohne Zweifel Neuwahlen ansetzen, wenn sich die Möglichkeit dazu bietet.

Außer der PiS kann derzeit keine Partei etwas mit Neuwahlen anfangen. Die PiS würde nach den Umfragen deutlich zulegen. Die kleinen rechtsradikalen Parteien, welche der PiS-Politik durchaus nahe stehen, könnten herbe Verluste einfahren. Die liberalnationale Bürgerplattform von Donald Tusk, derzeit zweitstärkste Partei im Sejm, würde zwar auch einige Prozentpunkte dazugewinnen. Der Abstand zur PiS würde sich aber dennoch vergrößern.

Nach dem Haushaltsbeschluß geht Jaroslaw Kaczynski die nächsten Schritte seines „Stabilisierungsplans“ für Polen an. Weitere zehn Gesetz müssen vom Sejm verabschiedet werden, sonst winken Neuwahlen. Mit den Gesetzen sollen unter anderem eine Zentrale Antikorruptionsbehörde gegründet, die Eigentumsverhältnisse vieler Beamter durchleuchtet sowie ein Gesetz zur nationalen Sicherheit und zur Energieversorgung beschlossen werden.

Im übrigen fordert die PiS die Unterlassung von Mißtrauensvoten und Kritik an der Regierung, sonst …

Die PiS hat zwar nur von 27 Prozent der Wähler die Unterstützung. Auch sind nur 40 Prozent der Wahlberechtigten überhaupt zur Urne gegangen, dennoch haben die Kaczynskis alle notwendigen Hebel in der Hand, um den von ihnen gewünschten starken Staat durchzusetzen. Dies mag aus innerpolnischer Sicht sogar positiv zu bewerten sein. Auch Marschall Pilsudski hat im Mai 1926 in ähnlicher Weise die Zweite Republik „saniert“, allerdings hat er auch das Militär als Druckmittel eingesetzt.

Aus deutscher Sicht sieht man der Entwicklung eher besorgt entgegen. Dies, zumal die Aktivitäten des polnischen Staatspräsidenten nicht dazu beitragen, das deutsch-polnische Verhältnis zu verbessern. Zwar sieht der neue Haushalt eine Verdopplung der finanziellen Förderung der deutschen Volksgruppe vor, dennoch unterstützt Kaczynski die Arbeit der Polnischen Treuhand, die eine Art polnisches Gegenmodell zu der in Deutschland politisch isolierten Preußischen Treuhand darstellt.

Die Polnische Treuhand propagiert offen die These, daß der Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland bis auf den heutigen Tag noch nicht beendet sei. Ein entsprechendes Plakat dokumentiert diesen vermeintlichen deutsch-polnischen Krieg von „1939 bis 2005“ recht deutlich. Auch wurde die Vorsitzende der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“, die BdV-Präsidentin und Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, erneut in SS-Uniform und Hakenkreuzbinde dargestellt.

Der Vorsitzende der Vertriebenengruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jochen-Konrad, warf der Polnischen Treuhand „antideutsche Hetze“ vor und forderte die polnische Regierung auf, dem Einhalt zu gebieten. Der PiS-Fraktionsvorsitzende Przemyslaw Gosiewski wies die Kritik indessen zurück und erklärte lediglich lapidar, das Plakat sei „vielleicht etwas zu ausdrucksstark“ geraten.

Mit „etwas“ Ausdrucksstärke scheint die Polnische Treuhand generell zu arbeiten. Die PiS-Sejmabgeordnete und Vorsitzende der Treuhand, Dorota Arciszewska-Mielewczyk, gab im Vorjahr eine Erklärung ab, in der sie die historische Tatsache der Vertreibung eine Lüge nannte und von ausschließlich Geflüchteten sprach und sämtlich alle Gefallene, Ziviltote und Ermordete in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, inklusive Pearl Harbour, Hiroshima und Nagasaki den Deutschen zuschrieb. Dies alles verbreitet die Organisation noch heute im Internet.

Der polnische Staatspräsident Lech Kazcynski sieht hierin offenkundig keinen Hinderungsgrund für Sympathiebezeugungen. In einem Interview erklärte er jüngst, er unterstütze die Treuhand und identifiziere sich mit ihren Zielen.

Die polnische Demokratie steckt noch in derart kleinen Kinderschuhen, daß sie noch nahezu ausschließlich mit sich selbst beschäftigt ist. Der Blick über die Grenzen und das Beachten der Befindlichkeiten der Nachbarn scheinen ganz zu fehlen. Das neue Polen hat sich noch nicht aus der Isolation der reinen Selbstbeschäftigung befreit. Im Gegenteil, da Reaktionen von außen von den innenpolitischen Umwälzungen ablenken, werden diese oft primär als bedrohlich oder doch zumindest als unangemessene Einmischung in rein innerpolnische Belange empfunden. Insgesamt wird man die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit in Polen sowie ihre Europafähigkeit noch nicht als endgültig gesichert betrachten können.

Kaczynski dankt dem Himmel: Für den Präsidenten wären Neuwahlen gut. Foto: Reuters / Corbis


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