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04.02.06 / Feindliche Übernahme mit Folgen / Schweizer Regisseur dreht Spielfilm über einen arbeitslosen Manager – Gespräch mit dem Hauptdarsteller Ulrich Noethen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. Februar 2006

Feindliche Übernahme mit Folgen
Schweizer Regisseur dreht Spielfilm über einen arbeitslosen Manager – Gespräch mit dem Hauptdarsteller Ulrich Noethen

Eine Lastwagenkolonne steht in der Seitenstraße einer gemütlichen Wohngegend am Rande von Ludwigsburg. Die aufgefahrene Ausrüstung weist auf Dreharbeiten in der schwäbischen Kleinstadt hin. Wir stehen vor einem bungalowartigen Einfamilienhaus und warten darauf, einen Einblick in die Arbeit des Filmteams zu bekommen. „Bummm!“ von Regisseur Alain Gsponer steht auf dem Drehplan.

Beim Betreten des Schauplatzes kommt uns ein sympathischer Mann entgegen. Erst auf den zweiten Blick erkennen wir Schauspieler Ulrich Noethen in ihm. Wir betreten das Wohnzimmer. Die Fensterfront gibt den Blick auf einen leicht abfallenden Garten frei. Im Zimmer wimmelt es von Menschen und Stellwänden. Nach einiger Zeit wendet sich uns ein großer, junger Mann zu. Regisseur Alain Gsponer skizziert den Journalisten mit ruhiger Stimme die zu drehende Szene.

„Bummm!“ ist der zweite abendfüllende Spielfilm des Schweizers. Nach dem Erfolg von „Rose“ auf dem Max-Ophüls-Festival konnte er zwei der namhaftesten deutschen Schauspieler für das Familiendrama gewinnen. „Katja Riemann und Ulrich Noethen waren von Anfang an meine Traumbesetzung. Natürlich hat man vor solchen Schauspielern unglaublich viel Respekt und ist am Anfang sehr vorsichtig“, gibt er während der etwas improvisiert wirkenden Pressekonferenz zu. „Bummm!“ ist ein Schauspielerfilm, darüber sind sich alle Beteiligten einig. Keine leichte Aufgabe für einen jungen Regisseur, doch Katja Riemanns Meinung über die Arbeit mit dem jungen Schweizer ist sehr positiv: „Er ist ein guter Regisseur, und es ist ein großes Vergnügen, mit ihm zu arbeiten – unabhängig von seinem Alter.“

Mit ruhiger Hand bewegt Gsponer am Set die Fäden des Geschehens und versteht es, sensibel aber bestimmt mit den erfahrenen Schauspielern umzugehen.

Noethen sitzt indessen drehbereit auf der Wohnzimmercouch und lockert die Atmosphäre durch seine unkomplizierte Art auf. Dann ist auch die Kamera bereit. Noethen spielt einen Familienvater, der vom Schicksalsschlag der Arbeitslosigkeit getroffen, sich nun zu Hause zurechtfinden muß. Der Schauspieler lobt, „daß Alain Gsponer und sein Autorenteam einen sehr genauen Blick auf familiäre und gesellschaftliche Verhältnisse werfen“.

In der folgenden Einstellung passiert nicht viel. Der Familienvater soll gelangweilt und wortlos auf der Wohnzimmercouch sitzen. Der 1959 in München geborene Schauspieler beweist Souveränität im Umgang mit der theaterähnlichen Situation. Er plaudert mit den Journalisten und kann sich dennoch im Handumdrehen auf seine Szene konzentrieren.

Eine zweite Einstellung mit Noethen wird gedreht, danach erscheint Katja Riemann und setzt sich neben ihren ehemaligen Theaterkollegen auf die Wohnzimmercouch, lächelt ins Blitzlichtgewitter. Mit einer breiten Geste fordert sie den jungen Regisseur auf, sich zu ihnen zu setzen. Sichtlich zurückhaltend gesellt sich der Schweizer zu seinen Stars. Über drei Jahre mußte er auf die Realisierung dieses Films warten. Die Zeit war nicht leicht: „Wenn man von der Filmhochschule kommt und seinen eigenen Film machen will, braucht man einen langen Atem. Man muß sich überlegen, wie man längere Zeit mit 600 Euro im Monat auskommt. Wenn man das nicht kann, wird es sehr schwierig.“ Gsponers Rechnung ist aufgegangen. Statt diverse „Tatorte“ kann er nun seinen zweiten abendfüllenden Spielfilm realisieren, für den er immerhin ein Budget von 1,6 Millionen Euro zur Verfügung hat. Das Warten hat sich also gelohnt. Im Frühsommer kann sich auch der Kinobesucher davon überzeugen.

Simone Seidel und Carlo Avventi / Ricore

 

Herr Noethen, können Sie uns etwas über Ihre Rolle in „Bummm!“ verraten?

Noethen: Ich spiele einen Familienvater oder besser gesagt jemanden, der Broterwerb betreibt. Es handelt sich um einen richtiggehenden Workaholic, der zum mittleren bis höheren Management einer großen Firma gehört. Nun sitzt er plötzlich wegen einer feindlichen Übernahme auf der Straße. Er kommt nach Hause und lernt im Laufe des Films seine Familie kennen. Natürlich kennt er seine Angehörigen, aber er wird mit Dingen konfrontiert, von denen er keine Ahnung hatte. Er stellt zum Beispiel fest, daß sein älterer Sohn, der seinen Dienst bei der Bundeswehr leistet, schwul ist. Dann lernt er die Kunstgalerie seiner Frau kennen. Er finanziert sie zwar, weiß aber nicht, ob seine Frau nur ein Hobby betreibt oder richtige Ambitionen hat. Dann ist da noch sein jüngerer Sohn, der mit Sprengstoff experimentiert und Vogelhäuschen in die Luft sprengt. Mit der Zeit versteht er also, daß es zur Welt, in der er bisher gelebt hat, eine Parallelwelt gegeben hat, eben die seiner Familie.

Kann man diese Situation mit Ihrer persönlichen vergleichen? Gerade als Schauspieler ist man ja auch viel unterwegs.

Noethen: Nein. Das Leben, das ich führe, ist zwar auf seine Art auch entfremdet, aber bei weitem nicht so, wie das des Protagonisten dieses Films. Klar: Ich bin auch längere Zeit von zu Hause weg, dafür sind aber die Zeiträume, die ich daheim verbringe, um so intensiver.

Sie spielen also einen Workaholic. Würden Sie sich selbst auch als arbeitssüchtig bezeichnen?

Noethen: Nein, das würde ich nicht. Wenn ich mal längere Zeit zu Hause rumhänge und nichts zu tun habe, dann werde ich schon kribbelig, gar keine Frage. Das merkt meine Frau daran, daß ich anfange, Quatsch zu machen. Ich versuche das zu kompensieren, indem ich daheim nicht auf der Couch herum liege, sondern meine häuslichen Pflichten übernehme. Ich kann zum Beispiel ganz gut kochen und nicht nur irgendwelche ausgefeilten Supermenus, sondern das ganz alltägliche Essen, das man Tag für Tag dem Schulkind auf den Tisch stellt.

Der Regisseur des Films ist sehr jung. Kannten Sie Alain Gsponer?

Noethen: Ich kannte Alain nicht. Ich habe das Drehbuch gelesen und fand schon die ersten Fassungen sehr gut. Ich finde, daß Alain Gsponer und sein Autorenteam einen sehr genauen Blick auf familiäre und gesellschaftliche Verhältnisse werfen. Erstaunlich bei so jungen Leuten. So pointierte und genaue Dialoge zu schreiben und dann noch über eine ältere Generation: Das ist schon etwas ganz besonderes.

Ihre Partnerin im Film ist Katja Riemann, mit der Sie bereits mehrmals zusammen gespielt haben. Wie sieht die Zusammenarbeit mit ihr aus?

Noethen: Katja und ich kennen uns schon seit einiger Zeit. Wir waren beide in Berlin am Schillertheater engagiert. Dann hat jeder seine eigene Karriere gemacht. Katja noch viel mehr als ich. Sie stand in den letzten Jahren im Rampenlicht und mußte unter einer regelrechten Pressekampagne leiden. Wir haben zum Beispiel in „Bibi Blocksberg“ zusammen gearbeitet. Der Respekt und die Zuneigung zwischen Katja und mir sind mit der Zeit ständig gewachsen.

In Ihrer Filmographie fällt auf, daß Sie in vielen Kinderfilmen gespielt haben. Gibt es dafür einen Grund? Liegen Ihnen Kinderfilme besonders?

Noethen: Na ja, der Kinderfilm wird ja nach wie vor, selbst wenn man dafür den Bundesfilmpreis erhält, unter feuilletonistischen Gesichtspunkten eher mit einem Achselzucken wahrgenommen. Für mich ist es ganz wichtig, keine Berührungsängste zu irgendeinem Genre zu haben. Ich möchte aber auch nicht in eine Schublade gesteckt werden, nach dem Motto: Das ist der mit dem Kinderfilm. Zu einem gewissen Zeitpunkt waren Kinderfilme für mich genau das Richtige. Da kam zuerst das Angebot für „Das Sams“. Das war einfach eine tolle Rolle, die ich mit Begeisterung gespielt habe. Danach haben sich andere Kinderfilme ergeben, und ich hab sie alle sehr gerne gemacht. Im Kinderfilm ist einfach eine andere Art zu spielen möglich. Sehen Sie, die Schauspielerei hat unglaublich viele Facetten. Leider sind viele meiner Kollegen zu ihrem Bedauern auf eine ganz schmale Bandbreite festgelegt. Ich habe stets versucht, mich dagegen zu wehren, so vereinnahmt zu werden. Zum Glück ist die Bandbreite meiner Rollen recht groß.

Das Gespräch führten Simone Seidel und Carlo Avventi / Ricore

Ratlos: Wie soll es weitergehen, fragt sich Ulrich Noethen als arbeitsloser Manager Roland Spatz. Foto: ricore


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