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11.02.06 / Unmenschliche Politik

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. Februar 2006

Hans-Jürgen Mahlitz:
Unmenschliche Politik

Das Schicksal der beiden im Irak entführten deutschen Geiseln war bei Redaktionsschluß dieser Ausgabe noch völlig ungewiß. Die Entführer haben Forderungen genannt, ein Ultimatum gestellt und dieses verstreichen lassen. Seither tagt der Berliner Krisenstab hinter dicht verschlossenen Türen. Zur Zeit gibt es keinen auch noch so vagen Hinweis, in welche Richtung die Dinge sich entwickeln könnten: Befreiung, Ermordung, weiter anhaltende Ungewißheit oder konkrete Kontakte mit den Geiselnehmern - für die beiden Opfer und ihre Angehörigen jedenfalls ein schier unerträglicher Zustand.

Sollte es zu Kontakten zwischen Bundesregierung und Entführern kommen (oder unbemerkt von Medien und Öffentlichkeit bereits gekommen sein), stellt sich allerdings die Frage: Worüber will man eigentlich verhandeln? Seit der Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers 1977 durch die RAF gilt in Deutschland das eiserne Prinzip: Forderungen von Geiselnehmern stehen nicht zur Disposition, mit Verbrechern verhandelt man weder über Lösegelder noch über Freilassung von Gesinnungsgenossen oder sonstige pseudopolitische Ansinnen. Kontakte können nur dem Zweck dienen, die Entführer zur Aufgabe zu bewegen oder eine Befreiungsaktion vorzubereiten.

Die Argumentation war stets klar und logisch: Ein Staat darf sich nicht erpressen lassen. Gibt er einmal nach, muß er immer nachgeben. Auf Nachahmer wird man dann nicht lange warten müssen; in gewissen Kreisen spricht es sich sehr schnell herum, wo etwas zu holen ist. Auch sind dem Rechtsstaat die Hände gebunden, wenn zum Beispiel von ihm verlangt wird, rechtskräftig verurteilte Straftäter vorzeitig aus der Haft zu entlassen.

Und schließlich ist der Staat ja in besonderer Weise dem Gemeinwohl verpflichtet, wobei es freilich etwas merkwürdig anmutet, daß vielen Politikern ausgerechnet bei solchen Gelegenheiten das Gemeinwohl einfällt, das ihnen ansonsten aber ziemlich egal zu sein scheint.

Die harte Linie wurde jahrzehntelang konsequent eingehalten. Der Preis war unerträglich hoch: Schleyer zahlte ihn damals - mit seinem Leben. Keine Staatsräson kann und darf etwas daran ändern: Für die Opfer hat das eigene Schicksal einen ganz anderen, alles überragenden Stellenwert. Das ist menschlich, und wer Geiseln oder ihren nächsten Angehörigen dieses gute Recht auf persönliche Unversehrtheit zugunsten des Gemeinwohls absprechen will, sollte sich sehr genau überlegen, ob er in vergleichbarer Lage auch selbst so heldenhaft wäre. Die Erfahrung lehrt jedenfalls, daß diejenigen, die aus sicherer Entfernung sich zu tapferen und moralisch unanfechtbaren Helden erklären, im Ernstfalle oft die größten Feiglinge und Lumpen sind. Dies gilt übrigens auch umgekehrt: Die wahren Helden sind im grauen Alltag oft völlig unscheinbar und unauffällig.

Politiker allerdings dürfen in solchen Kategorien nicht denken. Sie müssen, so schwer ihnen das persönlich auch fallen mag, in der Lage sein, eine aus den oben zitierten Gründen notwendige Entscheidung kalt, rücksichtslos, ja geradezu unmenschlich zu treffen. Dies ist die im klassisch-griechischen Sinne tragische Situation: zu wissen, daß man, wie immer man sich entscheidet, schuldig wird - entweder gegenüber dem Opfer, dessen Leben zu schützen ist, oder gegenüber der Gemeinschaft, deren Wohl man zu wahren, die man folglich vor künftigen Verbrechen zu schützen hat. Daß dies zum schwersten Moment im Leben eines Politikers werden kann, wird niemand bestreiten; abnehmen kann man diese Last den Politikern aber auch nicht, die müssen sie schon selber tragen.

Seit Jahrzehnten haben deutsche Politiker sich, unabhängig von der jeweiligen Parteizugehörigkeit, in solchen Krisensituation richtig und würdevoll verhalten. Leider aber ist es den heute Verantwortlichen schwerer gemacht worden, dieser Linie treu zu bleiben - vor allem durch den wundersamen Entführungs- und Befreiungsfall Osthoff mit all seinen Ungereimtheiten, Tölpelhaftigkeiten und Prinzipienlosigkeiten (wer zahlte Lösegeld?). Hoffen und beten wir, daß die beiden jungen Männer aus Leipzig dafür nicht mit ihrem Leben zahlen müssen.


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