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18.02.06 / Identitätsverlust / Handwerkersohn erinnert sich an Enteignung in der DDR

© Preußische Allgemeine Zeitung / 18. Februar 2006

Identitätsverlust
Handwerkersohn erinnert sich an Enteignung in der DDR

Wir erwarten von Ihnen verantwortungsbewußtes Handeln und Verständnis für diese Maßnahme als besten Ausdruck für patriotisches Handeln ihrerseits ... im Rahmen ihres Umzuges haben Sie die Sperrzone bis elf Uhr heute Mittag zu verlassen. Ihre persönlichen Sachen können sie zusammenpacken und auf die von uns bereitgestellten Lastkraftwagen laden. Ihre Geschäftsräume und die Lager werden versiegelt und von staatlichen Organen übernommen."

Diese wenigen Sätze veränderten am 2. Oktober 1961 radikal das Leben von Ernst-Otto Schönemann und seinen Eltern. Die Familie, die schon seit über 90 Jahren in dem brandenburgischen Ort ansässig war, mußte nun innerhalb von wenigen Stunden das Haus räumen und wurde zwangsumgesiedelt.

An all das erinnert sich der Autor Ernst-Otto Schönemann in "Zwangsaussiedlung im eigenen Land". Die Rahmengeschichte schildert die Bahnfahrt des Autors im Mai 1988 nach einem Besuch einer Verwandten in Westdeutschland und den damit verbundenen Komplikationen. Während er aus dem Zugfenster auf die an ihm vorbeigleitende Landschaft blickt, erzählt er immer wieder ein Stück seiner Familiengeschichte und geht auf Entbehrungen und die viele Arbeit ein, die seine Familie über Generationen hinweg geleistet hat, um den mittelständischen Handwerksbetrieb mit mehreren Mitarbeitern trotz zahlreicher Rückschläge aufbauen zu können. Schon als Schüler wurde der Junge von seinen Lehrern als Sprößling einer Ausbeuterfamilie beschimpft, und dementsprechend durfte er in der DDR auch nicht studieren.

Sehr detailliert schildert Schönemann die allmähliche Veränderung seines Umfeldes. "Am zweiten Feiertag ist im Hotel ,Stadt Hamburg', oder kurz gesagt bei Wittigs am Hohenzollerplatz, Tanz. Hotel, Gaststätte, Saal, Diele, Tanzgarten haben Tradition und sind sehr beliebt. An diesem Abend erfahre ich, daß es die letzte Veranstaltung im Saal ist. Auch wenn es der größte und schönste Saal der Stadt ist, er weicht der sozialistischen Produktion. Das Parkett und die ganze Inneneinrichtung soll rausgerissen werden und für Maschinen vom Nähmaschinenwerk Wittenberge Platz machen. Es ist ein schwerer Schlag für das ohnehin kärgliche kulturelle Leben und mit Sicherheit ein Verlust an Identität für die Bürger."

Stück für Stück wird den Menschen in der DDR ihr altvertrautes Leben geraubt. Mangel und Anpassung bestimmen ihren Alltag. Stimmungsvoll berichtet Schönemann, wie er noch kurz vor der Kollektivierung der Landwirtschaft einer traditionellen Bauernhochzeit beiwohnt, die von einer gewissen Endzeitstimmung überschattet wird. Zurecht, denn kurz danach wurden die Bauern gezwungen, ihre Selbständigkeit aufzugeben. Obwohl die Familie des frisch gebackenen Abiturienten sieht, was den Landwirten um ihnen herum widerfährt, hoffen Sie bis zuletzt, verschont zu bleiben, doch 1961 wird auch der Handwerksbetrieb enteignet. In der Nähe von Schwerin findet die Familie ein neues Dach über dem Kopf, das aber auch wahrlich nicht mehr ist. Baufällig, von Ratten bewohnt und mit einem Plumpsklo im Garten läßt es vor allem die Mutter Ernst-Ottos verzweifeln. Nie sollen seine Eltern ihr Trauma überwinden, und auch Ernst-Ottos Unversöhnlichkeit mit dem damaligen System liest man aus jeder Zeile seines Buches heraus. R. Bellano

Ernst-Otto Schönemann: "Zwangsaussiedlung im eigenen Land", Mein Buch, Hamburg, broschiert, 244 Seiten, 12,90 Euro


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