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25.02.06 / Wenn die alten Knochen reißen / Das Leben in einem ostpreußischen Dorf war geprägt vom Miteinander, aber auch vom kleinen Neid

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. Februar 2006

Wenn die alten Knochen reißen
Das Leben in einem ostpreußischen Dorf war geprägt vom Miteinander, aber auch vom kleinen Neid
von Eva Pultke-Sradnick

De Bagatzkesche ös hiede rein wedder wie vom Diewel behuckt", sagten an manchen Tagen die Leute im dem hügligen Dorf Klein-Wurmbach. An manchen Tagen war die zierliche Frau mit der etwas zu scharfen Zunge nicht zu leiden. Sie fand in jeder Suppe ein Haar, keiner konnte ihr etwas recht machen, sogar einen schleichenden Gang und schwarze stechende Augen bekam sie dann und stöhnte zwischendurch auf, als ob sie von jemand getreten wurde.

"Vleicht hätt se wat nött dem Schwarte, dem mött dem Peerdsfoot", raunte Linchen. Ihre Mutter verbot ihr solche gottlosen Reden und zackerierte laut und lange mit ihrer dreidammligen Tochter.

"Öck meen joa ok man bloß", sagte Linchen und dachte für sich, daß 65 Jahre für ihre Mutter auch schon eine Last wurden. Stimmte doch, oder?

Daß Hulda Bagatzke an solchen Tagen starke Rheuma-Attacken hatte, erzählte sie niemand, was ging es die anderen an. Das war ihre Sache, meinte sie. On de Ohlerke, ähr Mann, de hat dat Froage all längst oppgegäwe, oawer je wußd Bescheed. Er war ja auch schon alt und strich ihr abends vielleicht mal übers Haar, wenn sie vor Schmerzen wieder so dunkle Augen hatte. Auch er kannte die Beschwerden des Alters. Zu viel Schweinefleisch, zu viel fetten Speck, Aale und Schmalzbrot, dick mit Zippel bestreut. Letztere waren der einzige Vorteil in seiner sonst so derben Ernährung. Er wußte, sein Blut war zu dick, aber dafür trank er ja den Schnaps, den Koppskiekelwein und den selbstgebrauten Bärenfang. Dann spürte er, da kam Wallung auf, das nannte er dann die Durchblutung.

Und so huckte er nun, nachdem er seinen Siebzigsten großartig und bis zum Umkeiweln gefeiert hatte, auf seiner mit einer Schnitzerei aus Rosen geschmückten Bank vor der Haustür und wartete auf einen Vorübergehenden, auf ein bißchen Geschabber über dies und das. Die Bank war das Hochzeitsgeschenk für seine Hulda gewesen und sie fanden am Abend immer einen Ort der Zuflucht. Früher hatten sich noch die Kinder, sieben an der Zahl, dazwischengedrängt. Jetzt mußten sie wieder näher zusammenrücken, damit der Wind nicht so viel Spielraum bekam. Er ließ sich sein Pfeifchen schmecken, und Hulda hatte nichts dagegen, so-lange er ihr nicht die Gardinen vollräucherte.

Sein Tag hing ab von Wetter, Wind, Wolken, Sonne und Regen. Wenn er dann morgens um Fünf ausgeschlafen hatte, stand er leise auf und ging in seinem langen hellgrauen Barchentnachthemd nach draußen auf die offene Hofseite und prüfte die Windrichtung. Hulda hatte ihn wohl gehört, aber sie streckte sich noch ein bißchen aus, der Tag war ja noch lang genug. Nachher mußte sie unbedingt gleich die Karten legen, sie hatte einen ganz dummen Traum gehabt, den wollte sie noch mal hinterfragen. Daß sie "besprechen" konnte, wie die Leute meinten, das stimmte nicht. Vielleicht nur für ihr Haus, aber wenn etwas im Leben gelang, dann hing das auch mit dem Glauben, dem Wollen und Fühlen zusammen und hatte nichts mit Übersinnlichem zu tun. So sagte Hulda Bagatzke. Sie glaubte an ihren Herrgott und er würde schon alles für sie und ihre Familie recht machen. Sie hätte was abgeträumt, sagte sie dann zu ihrem Mann, aber der hatte für solche Fiesematenten nicht viel übrig. Er träumte nie, behauptete er. Dies schmetterte Hulda damit ab, daß er ja auch jeden Abend genug für die Würmerchens einnahm.

Ärgerlich stellte sie Brot und Schmalz auf den Tisch. Für sich noch Marmelade von der letzten Pflaumenernte.

"Da weär doch bloß dat letzt bätke Brannwien ute Buddel", knurrte Ferdinand, "wenn mi dat schoade sulld, denn kann de Wind ok Barg oppuste."

Hulda war nicht in Klein-Wurmbach geboren, sie kam von "hintrem Berg" aus Purgelgeitschen. Der Berg war natürlich nur ein kleiner Humpel mit ein paar Kaddighuschern, woran aber keiner Anstoß nahm. Beim Dorfschrumm hatte sie dann den forschen Ferdinand den hiesigen Dorfmädchen weggeschnappt, was manche ihr noch bis heute nachtrugen. Die Frauen erkannten sie schon an, aber trotzdem blieb sie eine Fremde.

"Brotneid on Briedgamsneid" hatte ihre Mutter immer gesagt, "dat sönd de grettste Neider! Paß op die opp, mien Schieperke."

Und jetzt hatte ihr Ferdinand so das Reißen, daß er im Bett liegen bleiben mußte. Hulda holte die bauchige grüne Flasche aus ihrem Regal und half ihrem Mann, sich auf den Bauch zu kullern, was nicht leicht war. Dann begann sie die braune Flüssigkeit einzumassieren. Zuerst stöhnte er zum Gotterbarmen, aber dann begann er wohlig zu röcheln. Als sie ihn zum Schluß mit Franzbranntwein abrieb, versuchte er sich aufzurichten, um entsetzt zu fragen, wie das wohl in seinen Bauch kommen soll. Widerwillig mußte er auch noch den Wacholdertee trinken. Was es aber auch alles für ekliges Zeug gab! Die Schnapsbuddel nahm Hulda wohlweislich an sich. Alles zu seiner Zeit.

Große Familie: Ein einfaches, aber glückliches Leben führte man einst auf dem Land. Foto: Archiv


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